Nachhaltige Mobilität
„Die Luftverschmutzung raubt uns den Atem!“
Am Donnerstag, den 22. August 2019, fand in der Rue de la Loi in Brüssel ein After-Work-Event statt, um Ministerinnen und Minister öffentlichkeitswirksam auf die Luftqualität aufmerksam zu machen. Zur Erinnerung: In einem Bericht führt die Europäische Umweltagentur (EUA) als Hauptursache für vorzeitige Todesfälle in Europa die Luftverschmutzung an.
Von Sang Sang Wu
Die im Jahr 2016 ins Leben gerufene Bürgerbewegung Bruxsel’Air hat am Projekt ExpAIR teilgenommen, dessen Ziel in der Messung der Luftqualität mit tragbaren Geräten bestand. Seitdem organisiert die Gruppe spielerische Aktivitäten, um in der breiten Öffentlichkeit ein Bewusstsein für diese Herausforderungen zu schaffen. Stefano Pironio, einer der Freiwilligen, die sich bei Bruxsel’Air engagieren, hält es für äußerst wichtig, dass die Menschen die Gewohnheit ablegen, alles mit dem Auto erledigen zu wollen: „50 % der Brüsseler Haushalte besitzen kein Fahrzeug. Das ist auch nicht nötig in der Stadt. Um mich mit den Kindern fortzubewegen oder meine Einkäufe zu machen, nutze ich ein Lastenrad. Gelegentlich nehme ich die U-Bahn, die Straßenbahn oder verwende die von Sharing-Anbietern zur Verfügung gestellten Tretroller. Das sind die Verkehrsmittel, die in Brüssel bevorzugt zum Einsatz kommen sollten.“ Er fordert nicht nur mehr Raum für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen, sondern auch energische Maßnahmen, um die Menschen dazu anzuregen, verstärkt auf umweltfreundliche Fortbewegungsmittel zu setzen: „Ein großes Hindernis ist die fehlende Sicherheit im Straßenverkehr. Die Polizei sollte diesem Problem Priorität einräumen. Wir könnten uns auch Anregungen von unseren Nachbarländern holen, die tolle Infrastruktureinrichtungen haben.“
Wer sind die Organisator*innen?
Critical Mass Brussels bringt Radfahrerinnen und Radfahrer zusammen, die – in der Hoffnung, die Anzahl Chloé Van Driessche von Critical Mass | © Sang Sang Wu der Autos in der Stadt zu reduzieren – Präsenz im öffentlichen Raum zeigen. Zur Förderung des Radverkehrs in der Stadt werden jeden letzten Freitag im Monat auf der ganzen Welt sogenannte „Kritische Massen“ organisiert. Bis wir von nachhaltiger Mobilität sprechen können, haben wir laut Chloé Van Driessche von Critical Mass Brussels jedoch noch einen langen Weg vor uns: „Verkehrsmittel sind nachhaltig, wenn sie keinen negativen Einfluss auf die Lebensqualität der Menschen haben. Dabei ist allerdings auch ihre Lebensdauer zu berücksichtigen. Bei E-Tretrollern liegt diese bei nur 30 Tagen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Fläche, die die einzelnen Verkehrsmittel verbrauchen: Ein abgestelltes Fahrzeug braucht so viel Platz wie sieben Fahrräder!“, wettert die Radfahrerin. Schnell, gesundheitsfördernd, wirtschaftlich: Das Fahrrad stellt die beste Alternative zum Auto dar. „Autofahrer in Brüssel verbringen bis zu 190 Stunden im Jahr in ihrem Fahrzeug. Das sind ganze acht Tage. Wir fordern die neue Regierung auf, umfangreiche Maßnahmen zu ergreifen, um die Menschen zu ermutigen, ihr Verhalten zu ändern.“Julio Sanchez von GRACQ | © Sang Sang Wu Die gemeinnützige Vereinigung GRACQ, die die Interessen der Radfahrer*innen bei öffentlichen Stellen vertritt, setzt sich dafür ein, das Radfahren in Brüssel und Wallonien sicherer und angenehmer zu machen. Julio Sanchez ist für die Vereinigung tätig und plädiert dafür, das Prinzip „STOP“ systematisch anzuwenden. So könnte eine Rangfolge der verschiedenen Verkehrsmittel geschaffen werden. „Fußgänger*innen haben immer Vorrang. Danach kommen Radfahrer*innen, öffentliche Verkehrsmittel und zuletzt Privatfahrzeuge. Für mich bedeutet nachhaltige Mobilität nicht, sich komplett vom Autofahren zu verabschieden, aber die Menschen sollten jedes Mal überlegen, welches Verkehrsmittel sich am besten eignet, um eine bestimmte Strecke zurückzulegen.“ Er engagiert sich dafür, dass die finanziellen Mittel zur Förderung der sanften Mobilität den für den Autoverkehr zur Verfügung gestellten Mitteln angeglichen werden. „Der Mangel an Infrastruktureinrichtungen schreckt die Menschen ab. Radfahrer*innen und Fußgänger*innen sollte mehr öffentlicher Raum zugestanden werden. Ein weiteres Problem stellen die Dienstwagen dar: Wird den Menschen diese Möglichkeit geboten, werden sie die Autos in ihren Alltag integrieren. Wir müssen den Arbeitnehmer*innen auch Zugang zu anderen Verkehrsmitteln geben.“
Marie Couteaux von der Bewegung BRAL | © Sang Sang Wu BRAL, eine städtische Bewegung, die sich für ein nachhaltiges Brüssel einsetzt, ist mit ihren Fachkenntnissen beratend tätig und betreibt Lobbying. „Unsere Stadt sollte das Wagnis eingehen, Maßnahmen zu setzen, die die Menschen von nicht nachhaltigen Verhaltensweisen, wie beispielsweise der systematischen Nutzung des Autos, abbringen. Ich spreche mich für eine Maut nach Zonen und eine Kilometersteuer aus. Außerdem haben wir hier in Brüssel mehr Parkplätze als in Paris! Durch dieses großzügige Angebot werden die Autofahrer natürlich ermutigt“, behauptet Marie Couteaux, eine für Mobilität zuständige Mitarbeiterin. Umweltfreundliche Verkehrsmittel sind ihrer Meinung nach nachhaltig, da sie keine Schadstoffe ausstoßen, die die Luftqualität beeinträchtigen. „Das Problem in Brüssel ist der zersplitterte Entscheidungsprozess. Da große Verkehrsachsen durch mehrere Gemeinden verlaufen und jeder Schöffe ein Wörtchen mitzureden hat, können Regelungen nur schwer umgesetzt werden, was die Dinge verzögert. Dasselbe gilt auf regionaler Ebene: Der Abschluss interregionaler Vereinbarungen geht nur sehr schleppend voran – ein strukturelles Problem, das besonders Brüssel betrifft, denn die Planung der Mobilität sollte regionenübergreifend erfolgen.“
Estelle De Bruyn | © Sang Sang Wu Die 25-jährige Brüsselerin Estelle De Bruyn nutzt das Fahrrad seit mehreren Jahren als Fortbewegungsmittel – zu Beginn, um die Strecke zwischen ihrem Wohnsitz und der Universität, an der sie ihr Studium absolvierte, zurückzulegen. Seitdem hat sie das Radfahren nie wieder aufgegeben. „Mein Ziel besteht darin, von Punkt A nach Punkt B zu gelangen und das Fahrrad ist der schnellste Weg, um dieses Ziel zu erreichen. Darüber hinaus handelt es sich um ein umweltfreundliches und kostengünstiges Verkehrsmittel“, erläutert die junge Frau. Ganz zu schweigen von dem Gefühl von Freiheit, das sie beim Radfahren verspürt. „Nachhaltige Mobilität bedeutet für mich, Verkehrsmittel zu nutzen, die einen geringen Einfluss auf die Umwelt haben und die für den jeweiligen Nutzer geeignet sind. Man sollte einen Unterschied machen zwischen jenen, die das Auto nutzen, ohne zu überlegen und jenen, die es wirklich brauchen.“ Eine wesentliche Grundlage, um die Menschen zu einem Umstieg anzuregen, wäre ihrer Meinung nach die Weiterentwicklung der öffentlichen Verkehrsmittel, damit sie verlässlicher und effizienter werden. „Manche meiner Kollegen nehmen das Auto, da sie nie wirklich wissen, wann sie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln im Büro ankommen würden. Das ist ein Problem“, bedauert die junge Frau.