Patricia Andriot im Gespräch
„Lokale Projekte können zugleich ökologische und soziale Probleme lösen“
Patricia Andriot ist nicht nur stellvertretende Vorsitzende des Netzwerks der Gebietskörperschaften für eine solidarische Wirtschaft (Réseau des collectivités Territoriales pour une Économie Solidaire, RTES), sondern auch stellvertretende Bürgermeisterin eines bäuerlichen Dorfs. Im Zentrum der Projekte ihres Zusammenschlusses von 8.000-Einwohner-Gemeinden steht der gleichberechtigte Zugang zu ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritten.
Von Aurélie Le Floch
Patricia Andriot
| Photo : Patricia Andriot
Inwiefern beziehen Sie bei der Ausübung Ihrer Ämter den gleichberechtigten Zugang zu nachhaltiger Entwicklung („sustainable equality“) mit ein?
Durch meine Funktionen kann ich mich dieser Frage sowohl aus einer nationalen als auch einer lokalen Perspektive nähern, und das schätze ich sehr. Auf nationaler Ebene, im RTES, arbeiten wir phasengleich mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Es besteht eine gewisse Diskrepanz zwischen der Formulierung dieser Ziele und dem, was wir tatsächlich erleben, aber durch konkrete Aktionen können wir die Ideen allmählich mit der Realität vor Ort verbinden!
Ich engagiere mich zum einen für eine Sensibilität für Umweltauswirkungen und zum anderen für die Entwicklung ländlicher Gebiete. Die soziale und solidarische Wirtschaft ist ein wirksames Mittel, um diese beiden Ansätze zusammenzubringen, wenn man die Wirtschaft in den Dienst des ökologischen Wandels stellt. Dieses Vorgehen entspricht dem Konzept der sustainable equality, bei dem es um die Verbindung sozialer und ökologischer Themen geht. Zugrunde liegt die Frage: Wie kann man einen ökologischen Wandel durchführen, der gesellschaftliche Probleme löst?
Wie können Ihre Aktivitäten auf lokaler Ebene diese Frage beantworten?
In meinem Zusammenschluss von Gemeinden kümmere ich mich insbesondere um das Projekt regionaler Ernährung, dessen Ziel es ist, Landwirtschaft und Ernährung wieder lokal zu verankern. Das Projekt startete, als es bei uns einen Fall von Wasserverschmutzung mit Pestiziden gab, der die Leute dazu brachte, die Nutzung landwirtschaftlicher Ressourcen infrage zu stellen. Parallel dazu wollte ein Koch in einer Sekundarschule der Region (im Collège Les Vignes du Crey in Prauthoy, im Département Haute-Marne) eine Maßnahme starten, um Abfälle und Verschwendung zu reduzieren, indem er für Schüler und Personal heimische Gerichte zubereitet.
Unser Projekt regionaler Ernährung liefert Ideen, um diese Art ökologischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Fragestellungen zu lösen: So kann man allen Kindern ein hochwertigeres und kostengünstigeres Essen anbieten und dabei die Nachhaltigkeit von Produktion und Konsum unterstützen. Indem wir den Anteil lokaler Bioprodukte bei den Gerichten um 40 bis 50 Prozent erhöht haben, konnten wir ihre Kosten um fast 30 Prozent senken. Gleichzeitig sind die Abfälle um 93 Prozent zurückgegangen, ebenso wie die Umweltverschmutzung durch den Transport der Lebensmittel über weite Strecken. Und dank der Initiative dieser Schule werden Arbeitsplätze vor Ort erhalten und sogar neu geschaffen. Durch genau solche Projekte lässt sich das Konzept der sustainable equality phasengleich umsetzen.
Wo liegen die Grenzen dieses Vorgehens?
In Regionen wie unserer werden solche Projekte zuerst von kleinen Gruppen initiiert, die nicht die gesamte Bevölkerung repräsentieren. Das bewirkt eine gewisse Spaltung zwischen einem Teil der Zivilgesellschaft, der sich für innovative lokale Projekte einsetzt, und den anderen Akteuren der Region. Derselbe Teil der Bevölkerung engagiert sich übrigens auch am meisten bei kulturellen und digitalen Projekten (Festivals, Eröffnung von Fablabs und Co-Working-Spaces usw.). Das Ziel der Vereine und anderen Trägerstrukturen dieser Projekte ist es natürlich, sich an möglichst viele Menschen zu richten, aber auf dem Land bleibt ein bestimmter Prozentsatz der Bevölkerung von diesen Innovationen noch unberührt, auch wenn alle Einwohner indirekt davon profitieren. Diese Leute glauben noch oft, die betreffenden Projekte wären zu teuer oder zu weit von ihren wahren Bedürfnissen entfernt.
Wie könnte man diese Situation verbessern und dieser Wahrnehmung entgegenwirken?
Die lokalen Körperschaften spielen eine wichtige Rolle, um die Produktion und den Konsum anders zu organisieren. Wir brauchen mehr lokale Initiativen, die in dieser Richtung arbeiten, und sie müssen noch besser unterstützt werden. In der Tat kümmern sich die Behörden immer mehr um diese Themen, um auf den steigenden Druck durch die Zivilgesellschaft zu reagieren. Zum Beispiel müssen öffentliche Märkte einen bestimmten Anteil an nachhaltigen Produkten oder Leistungen anbieten. Ebenso zeigt die Europäische Union wirklich den Willen, die Energiewende zu unterstützen und Armut zu bekämpfen, und ihre Maßnahmen sind weitgehend wirksam – auch wenn die sozialen Ungleichheiten heute immer größer werden.
Dennoch gibt es weltweit eine Diskrepanz zwischen dem Wunsch, etwas zu verändern, und der Angst, das existierende Modell zu sehr infrage zu stellen. Deshalb gehen die notwendigen Veränderungen bisher nur schrittweise und in Form von Versuchen voran.
Das Zusammenspiel zahlreicher Aktionen der Zivilgesellschaft und der Behörden, ebenso wie die Darstellung in den Medien, kann einen Schneeballeffekt erzeugen, sodass die Prinzipien der sustainable equality die neue Norm werden. Alle Sektoren sind betroffen, von der Nahrungsmittelindustrie über die Bau- und selbst die Textilbranche bis zur Energieversorgung. Die jungen Generationen spielen hierbei eine große Rolle; ihnen sind diese Probleme deutlich bewusst, und das gibt Hoffnung, denn so kann sich auch in den Köpfen etwas verändern.