Martina Perzl und Martin Thalhammer im Gespräch
Walk and talk through Europe's climate
Weinbau in der Savoie, in der Nähe von Yenne | Foto (Ausschnitt): © Martin Thalhammer, 2012
Der Climate Walk wurde von jungen Akademiker*innen in Österreich, den Wanderers of Changing Worlds, ins Leben gerufen. Ihr Ziel ist es, Europa zu durchwandern und dabei die Einheimischen zu ihren Erfahrungen mit dem Klimawandel zu befragen. Im Interview erzählen Martina Perzl und Martin Thalhammer über den Ursprung des Projekts, den Bezug der Teilnehmer*innen zum Wandern und die Mitmachmöglichkeiten.
Von Raphaëlle Vaillant
Martina, wie seid ihr auf die Idee des Climate Walks gekommen?
Martina Perzl: Alle Mitglieder des Kernteams beschäftigen sich auf verschiedensten Ebenen mit Nachhaltigkeit – sowohl wissenschaftlich, aktivistisch als auch privat. Die größte Herausforderung, die auf die Menschheit zukommt und die sich verschärfen wird, ist die Klimakrise. Daher die Frage: Wie können wir Menschen für die Klimakrise sensibilisieren? In den Industriestaaten der Welt mit dieser Sensibilisierung zu starten ist deshalb essentiell, weil hier am ressourcenintensivsten gelebt wird.
Was ist das Konzept des Climate Walks und was kann man darunter verstehen?
Martina Perzl: Die Idee des Climate Walk besteht darin, die lokalen Auswirkungen des globalen Klimawandel zu sehen und zu spüren. Das geht am besten, wenn wir uns zu Fuß fortbewegen. Wir wollen sehen und verstehen, nicht nur was Klimawandel mit der Landschaft macht, sondern auch, was es mit der ansässigen Bevölkerung macht. Wir wollen erfahren, wie die Leute die Veränderung wahrnehmen, ob eine Veränderung stattgefunden und wenn ja, ob sie unmittelbar davon betroffen sind. Wenn dadurch das Potential entsteht, ein Bewusstsein für die Relevanz des Klimawandels zu schaffen und Menschen zur Handlungenbereitschaft aufzurufen, dann ist es uns das wert, durch ganz Europa zu gehen.
Wir sind gespannt auf die Auswirkungen eures Projekts! Wann habt ihr mit dem Wandern angefangen, und wieso?
Martina Perzl: Wir alle haben einen Bezug zum Wandern und sind damit aufgewachsen. Es steckt mehr oder weniger in der modernen österreichischen Kultur, Berggipfel zu erklimmen oder einfach über Felder und durch Wälder spazierend die Seele baumeln zu lassen. Wanderwege und Wanderrouten sind Orte, wo sich Menschen begegnen. Zum Weitwandern aber sind einige aus unserem Team gekommen, weil sie sich zum Ziel gesetzt haben, mehrere Jakobsweg-Touren oder sonstige Weitwanderrouten in Europa zu beschreiten.
Was symbolisiert das Wandern für euch?
Martina Perzl: Wandern bedeutet, permanent überrascht zu werden, hinter jedem Hügel, hinter jedem Baum liegt das Unerwartete. Wir betrachten das Weitwandern als eine ganz andere Art, sich zu bewegen. Es fordert Körper und Geist gemeinsam heraus, eine längere Reise anzutreten. Dies birgt das Potential zur persönlichen Entwicklung und ermöglicht, seine eigenen Grenzen zu akzeptieren. Beim Wandern genießt man auch die Einfachheit des Lebens. Wandern bedeutet auch Gemeinschaft: Landschaften und Menschen, die uns begegnen und/oder begleiten, prägen unseren Weg, und wir prägen sie wiederum. Das ist ein sehr schöner Prozess, aus dem man viel Kraft schöpfen kann, auch wenn es auf jeder Wanderung viele Hürden zu überwinden gilt. Außerdem ist Wandern ein ausgezeichneter Ausgangspunkt, um uns für die Auswirkungen von menschlichen Eingriffen in die Umwelt zu sensibilisieren.
Welche Spuren des Klimawandels lassen sich beim Wandern erkennen?
Martin Thalhammer: Auf Wanderungen kann der Klimawandel indirekt über Wetterereignisse, sichtbare Veränderungen in Ökosystemen und Gespräche mit betroffenen Menschen erfahrbar werden. Auf meinen Wanderungen wie am Via Gebennensis (GR 65) von Genf bis Le Puy-en-Velay hat sich der Klimawandel immer wieder in Form von extremen, für die Jahreszeit und Region unüblichen Wetterphänomenen gezeigt. So musste ich Ende April 2012 auf rund 700 Meter über dem Meeresspiegel durch kniehohen Schnee stapfen.
Winterliches Wetter im Frühling | © Martin Thalhammer, 2012 Um dem Klimawandel auf die Spur zu kommen, sind vor allem wiederholte Wanderungen geeignet. Dabei gerät in den Blick, was sich an ein und demselben Ort über einen Zeitraum hinweg verändert. Eine andere Problemstellung, auf die ich im Zuge der Etappen durch die Weinbauregion Savoie aufmerksam wurde, ist die Herausforderung, vor dem Hintergrund eines immer schwieriger einzuschätzenden Klimas langfristig erfolgreich Weinbau zu betreiben. So haben mir Bäuer*innen im Gespräch geschildert, dass Wetterereignisse wie Hagel, Starkregen und dadurch ausgelöste Hangrutsche den Weinbau in der Region vor Herausforderungen stellen.
Der Bezug zu französischen Wanderwegen ist spannend. Was kann Menschen allgemein zum Wandern motivieren?
Martina Perzl: Routen müssen den Menschen attraktiv erscheinen. Das heißt, sie müssen leicht zugänglich sein, niederschwellige Etappen haben, und vielleicht auch etwas Spannendes an sich haben: Welche Geschichten haben diese Routen zu erzählen, was kann man dort erfahren oder wahrnehmen? In diese Richtung geht auch unser geplanter Travel Guide.
Im Sommer 2021 fand bereits der Climate Walk – Geh’ma, Austria! statt. Wie hat sich diese erste Wandererfahrung angefühlt?
Martina Perzl: Es war schön und zugleich aufregend, das Projekt endlich ins Feld zu bringen und all das, was wir innerhalb kürzester Zeit vorab geplant und organisiert haben, umsetzen zu können. Wir wollten mit dem Climate Walk – Geh’ma, Austria! nicht nur herausfinden, wie Menschen in Österreich den Klimawandel wahrnehmen, sondern auch, welche unserer Ideen funktionieren und wie uns Leute am Weg begegnen. Natürlich war es auch eine große Herausforderung - sowohl körperlich aufgrund der teils sehr anspruchsvollen Strecken und dem Equipment am Rücken, als auch mental.
Der nächste Climate Walk findet im kommenden Jahr statt. Was sind die Mitmachmöglichkeiten?
Martina Perzl: Ihr könnt uns auf verschiedene Weisen unterstützen, ob durch Geld-, Waren- oder Dienstleistungsbeiträge. Beim Climate Walk, der am 5. Juni 2022 am Nordkapp startet, sind alle dazu eingeladen, uns einen Teil des Weges zu begleiten – sei es durch aktives Mitwandern, dem Folgen unserer Social Media-Kanäle, der Teilnahme an Workshops oder der Unterstützung bei der Suche nach Übernachtungsmöglichkeiten. Jeder einzelne Beitrag ist wertvoll! Den genauen Ablauf zu Anmeldung, Terminen und Mitwirkmöglichkeiten werden wir im Laufe des nächsten Jahres bekannt geben.
Sollte man beim nächsten Walk mitmachen: Welche besonderen Eigenschaften sind beim Weitwandern erforderlich?
Martina Perzl: Wandern fördert all jene Eigenschaften, die wir für die nächsten Jahre brauchen werden: Achtsamkeit, Unaufgeregtheit, Neugierde, Kreativität und Freude.