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Mai 2023
Karosh Taha: Im Bauch der Königin

Das Buch 'In the Belly of the Queen' liegt mit rotem Lippenstift und Nagellack auf einer Jeanshose
© V&Q Books

Karosh Tahas experimenteller zweiter Roman Im Bauch der Königin besteht aus zwei miteinander verbundenen Geschichten, die in beliebiger Reihenfolge gelesen werden können und an Ali Smiths Beides sein erinnern.

Noch bevor sie das Buch aufschlägt, muss die Leserin von Karosh Tahas Im Bauch der Königin eine Entscheidung treffen. Wie Taha erklärt: „Eine Geschichte kann aus allen Richtungen oder aus gar keiner Richtung geschrieben und gelesen werden.“ Dementsprechend bleibt es der Leserin überlassen, ob sie in den Roman zuerst aus der Perspektive von Amal oder von Raffiq eintaucht: Zwei jugendliche Hauptfiguren, die Ereignisse aus völlig unterschiedlichen Blickwinkeln erzählen.

Einen ähnlich kreativen Erzählstil hat auch Ali Smith in ihrem Roman Beides sein (übersetzt von Silvia Morawetz) vorgewiesen. Zwar lässt sie die Entscheidungskraft nicht ganz bei der Leserin, aber auch andere Aspekte ihres Romans zeigen sich in Tahas Im Bauch der Königin: Junge ProtagonistInnen auf der Suche nach der eigenen Identität, unmittelbarer Zugang zu den Gedanken dieser Figuren, genau verfasste Dialoge. Obgleich Smiths Abstecher in die italienische Renaissance wenig mit Tahas Schauplatz – eine kurdisch-deutsche Gemeinde – gemeinsam hat, teilen beide Romane jedoch die Thematisierung des Konzeptes von „Zugehörigkeit“ und stellen genau die Frauen in den Mittelpunkt, die (gewollt oder ungewollt) als „Außenseiterinnen“ positioniert werden.

In Tahas Roman ist diese Frau Shahira, die Mutter von Amals und Raffiqs Freund Younes. Shahira wird oft als Hauptprotagonistin bezeichnet, bleibt aber im gesamten Roman eine rätselhafte Figur. Auch wenn sie eine große Rolle spielt, wird die Leserin konsequent aus ihren Gedanken ausgeschlossen; wir sehen Shahira also immer nur durch die Augen anderer Figuren. Dennoch übt diese temperamentvolle Frau, die sowohl gefürchtet als auch geächtet wird, eine besondere Macht auf beide Erzähler aus. Raffiq und Amal sind von ihr gleichzeitig beeindruckt als auch verblüfft; ihr eigener Sohn will ihr entkommen, braucht aber auch ihre Nähe. Shahira ist nicht nur die zentrale Achse des Romans sondern auch in vielerlei Hinsicht die ihrer eigenen Gemeinde, doch ist sie auch gleichzeitig der Inbegriff einer Frau, die sich selbst überlassen ist.

Taha präsentiert uns ausschließlich mit diesem externen Bild von Shahira, und erkundet dadurch die Konzepte von Zugehörigkeit, Gemeinschaft, Identität und Migration. Auch die Sprache spielt dabei eine wichtige Rolle: In den kleinen Unterschieden zwischen Wörtern, wie z. B. in der Variante von „Tante“, die Amal als Bezeichnung für ihre Stiefmutter wählt, aber ebenso oft in der Abwesenheit der Sprache, vor allem in der Stille um Shahira. Wiederkehrende Symbole ziehen sich durch beide Geschichten: Schmuck, Blumen und die Farbe Rot, die etwa in Nagellack, blutigen Nasen und Colaflaschen wiederzufinden ist.

Im Bauch der Königin zeichnet sich durch eine gewisse Spannung aus, durch unverwechselbare Stimmen und einen realistischen Handlungsort, der den Kampf des jeweiligen Erzählers um das Gefühl der Zugehörigkeit besonders stark untermauert. Vor allem Amals Erzählung nimmt uns mit auf eine Flutwelle von Gedanken, als sie sich mit dem plötzlichen Verschwinden ihres Vaters auseinandersetzten muss und später dann ihn und seine neue Familie in Kurdistan besucht. Dort sieht sie sich erneut in einer Reihe von sozialen Einschränkungen (und Überschreitungen) gefangen: Eine sehr spezifische Situation, die trotzdem universell verständlich ist.

Wenn wir uns einmal entschieden haben, wo wir anfangen wollen, gibt es keinen Weg zurück, aber in jedem Fall bleibt Tahas Roman eine beeindruckende Leistung. Von seiner einzigartigen Struktur bis hin zu den eindringlichen Stimmen seiner Figuren erinnert uns Im Bauch der Königin daran, dass es immer mehr als nur eine Möglichkeit gibt, eine Geschichte zu erzählen.
 

Über die Autorin

Eleanor Updegraff liest extrem gerne, besonders übersetzte Literatur. Sie ist Ghostwriterin, Übersetzerin aus dem Deutschen, Lektorin und Buchrezensentin, sowie Autorin von Kurzgeschichten und Essays. Sie ist in Großbritannien aufgewachsen und wohnt nun seit 2015 in Österreich. Wenn sie nicht gerade liest, sitzt sie im Kaffeehaus oder läuft um einen österreichischen See herum.


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