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Interview
In Conversation with Christine Sun Kim: Teil 2

Schild am Himmel mit der Aufschrift "The Sound of No Fight".
© Lee Baxter for Manchester International Festival, UK

Da Christine Sun Kims erste Sprache die Amerikanische Gebärdensprache (ASL) ist, sind viele ihrer früheren Werke eine Hommage an ihre persönlichen Erfahrungen als Taube* Person – Kim setzte die ASL, Körpersprache sowie grafische und musikalische Notationen als Mittel ein, um ihre Vorstellungen und ihre Beziehung zu Sprache als Taube* Person zum Ausdruck zu bringen. Ihre Kunst ist geprägt durch schwarz-weiße, skizzenhafte Wandbilder, die mithilfe von Richtung Bewegung und Klang evozieren.
 
In den letzten Jahren ist Kim von der Klangkunst zu neuen Interessengebieten übergegangen und hat damit ihre Vielseitigkeit demonstriert. Auch wenn sich die Visualität ihrer Werke zu verändern beginnt, kreisen sie weiterhin um das Thema Sprache und werfen Fragen darüber auf, wie wir miteinander kommunizieren, vor allem aber, wie wir unsere Kommunikation verbessern können.

Im zweiten Teil des Interviews gehen wir den Fragen nach, was es bedeutet, nicht nur Künstlerin, sondern auch Mutter zu sein, welche ihrer Werke Kim am meisten bedeuten und welche Gefühle sie bei den Menschen hervorrufen möchte, die ihre Kunst betrachten. 

Mit besonderem Dank an die Dolmetscherin Denise Kahler-Braaten.

Von Lucy Rowan

Mutterschaft kristallisiert sich als ein Thema heraus, das Sie in Ihrer Arbeit gern weiter ausloten möchten. Wie schaffen Sie es, Mutterschaft und Ihr künstlerisches Schaffen miteinander zu vereinbaren? Was muss sich Ihrer Meinung nach in unserer Gesellschaft verbessern, damit Künstlerinnen, die auch Mutter sind, mehr Unterstützung zu Teil wird?

Da fallen mir zwei Dinge ein. Zunächst einmal habe ich einen wunderbaren Partner. Wir ziehen an einem Strang. Er ist toll und so hilfsbereit! Wir versuchen, uns in die Kinderbetreuung zu teilen. Ich glaube, wenn er nicht wäre, wäre mein Leben ein Desaster und ziemlich chaotisch. Mein Lebensgefährte heißt Thomas Mader, er ist ebenfalls Künstler, und gelegentlich arbeiten wir gemeinsam an Projekten. Daher ist es schön, dass er mit hier in London ist. Das ist ein Aspekt.

Zum Zweiten ist die Kinderbetreuung in Berlin kostenlos oder sehr günstig. Als ich das festgestellt habe, dachte ich, cool, dass mir das kein Loch in den Geldbeutel frisst. Das ist schon einmal beruhigend. Auch die Lebenshaltungskosten sind erschwinglicher, und beides zusammen hilft ungemein.

Manchmal finde ich es anstrengend, nicht nur als Mutter, sondern auch als Taube Person. Vielleicht frage ich da häufiger mal, ob jemand aushelfen, einen Babysitter organisieren oder auf unsere Tochter Roux aufpassen kann. Mir ist schon bewusst, dass ich aus institutioneller Sicht viel verlange. Die Einrichtungen kämpfen mit finanziellen Nöten und den Nachwirkungen der Covid-Pandemie. Ich verstehe, dass das nicht so einfach ist, aber ich werde trotzdem nicht damit aufhören. Ich werde nicht aufhören, um Hilfe zu bitten!

Unabhängig von der Mutterschaft wurde diese Residenz speziell für Kunstschaffende eingerichtet, die sich als Frau identifizieren. Warum sind solche Programme Ihrer Meinung nach von Belang? Haben Sie persönliche Erfahrungen mit der Geschlechterungleichbehandlung in der Kunstwelt gemacht?

Das ist eine wichtige Frage. Zu Beginn meiner Laufbahn habe ich mich auf Klangkunst konzentriert. Jetzt bin ich breiter aufgestellt, aber anfangs war ich da wirklich sehr fokussiert. Diese Domäne war von hörenden weißen Männern besetzt. Ich glaube, das ist in der Malerei und anderen Medien auch so. Ich hatte immer das Gefühl, dass sie dachten: „Ja! Sie ist eine Person of Colour. Sie ist behindert. Sie passt ins Schema. Also nehmen wir sie, denn damit erfüllen wir die Quotenregelung!“ In dieser Hinsicht habe ich mich immer als Vorzeigekünstlerin gefühlt. Als hätte ich gewissermaßen einen Sonderbonus, und ich verstehe ja, dass das manchmal eben so funktioniert. Aber das war eine schlimmere Art der Unterdrückung als andere.

Doch in den letzten Jahren hat sich da meiner Meinung nach etwas getan. Die Menschen scheinen bewusster geworden zu sein. Insgesamt scheint ein größeres Bewusstsein zu herrschen, wenn auch vielleicht noch nicht in den Bereichen, wo wir es gern hätten. Aber ich habe das Gefühl, dass es von allen Seiten kommt, man kann sich dem nicht entziehen. Ich denke, beides spielt möglicherweise in meiner Kunst noch eine große Rolle. Dass ich Taub bin und dass ich eine Frau bin.

Was die Geschlechterungleichheit angeht, finde ich es toll, dass es ein Programm für Kunstschaffende gibt, die sich als Frau identifizieren. Die Gesellschaft muss so etwas fördern und weiterhin Programme unterstützen, in denen der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt. Niemand ist weniger wert als andere. Trotzdem gibt es immer noch viele Orte, wie zum Beispiel Museen, an denen Künstlerinnen selten mit einer Einzelausstellung vertreten sind. Aber das betrifft auch die wirtschaftlich unterschiedlich gestellten Schichten in der Gesellschaft. Ich habe das Gefühl, dass hier in Europa das Klassensystem deutlicher ausgeprägt ist – es existiert auch in den USA, aber hier ist es interessanterweise offensichtlicher.

Achten sie in Ihrem künstlerischen Schaffen sehr genau darauf, dass wir die Botschaft verstehen, die Sie uns vermitteln wollen? Oder gehen Sie das eher locker an?
 
Ich führe ständig einen inneren Kampf darum, mich so klar wie möglich auszudrücken, denn besonders, wenn ich mit anderen zusammenarbeite, hören sie meine Stimme durch eine andere Person. Dabei geht meine Stimme manchmal verloren, und nicht nur als Künstlerin, denn Kunst kann ja sehr flexibel und zwanglos sein, darüber muss ich mir nicht solche Sorgen machen. Aber in der Vergangenheit habe ich die Erfahrung gemacht, dass andere nicht genau wussten, was ich brauche oder was ich will, und das beeinträchtigt letztlich meine Ideen und Grundrechte. Ich achte also weiterhin sehr genau darauf. Ich glaube, ich bin jetzt an einem Punkt in meiner Laufbahn angelangt, an dem tun kann, was ich will, und das ist schön. Aber es bleibt eine Restangst, missverstanden zu werden.
 
Es geht nicht darum, was dieses oder jenes in der ASL (amerikanische Zeichensprache) bedeutet. Nein, es geht eher darum, dass ich mich mit dem befassen will, was mich interessiert und das durchdringen will. Doch am Ende frage ich mich immer, wie ich mein Werk dem Publikum zugänglich machen kann. Denn es ist nun einmal so, dass andere nicht die gleiche Identität oder die gleichen Erlebnisse haben wie ich. Manchmal sind meine Erfahrungen als Mutter oder als Taube Person sehr spezifisch und in dieser Hinsicht sehr eingegrenzt. Ich muss also einen Weg finden, mein Werk zu öffnen, das richtige Format wählen, damit es für das Publikum greifbar wird.
 
Sobald andere einen Zugang dazu haben, können sie es selbst interpretieren. Beispielweise habe ich 2018 eine Reihe von Zeichnungen mit dem Titel Deaf Rage geschaffen, und ich hatte kurz Angst, dass sie zu sehr auf mich zugeschnitten sind. Aber viele haben mir gesagt, dass sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben, obwohl sie nicht Taub sind. So waren sie als Frauen vielleicht auch wütend und fühlten sich ungehört. Daher glaube ich, dass es wichtiger ist, in anderen ein Erleben oder ein Gefühl hervorzurufen. Dabei geht es nicht unbedingt um die Sprache, die ich verwende oder nicht verwende. Aber wenn andere diese Erfahrung oder dieses Gefühl nachvollziehen können, dann freut mich das.
 
Der Verlust der Stimme zieht sich in den verschiedensten Formen durch Ihre Arbeit, und genau deshalb ist sie für so viele Menschen von Bedeutung. Fällt Ihnen ein bestimmtes Kunstwerk ein, das Ihnen besonders am Herzen liegt und warum es so ist?
 
Neulich war ich im Queens Museum in New York. Dort gibt es ein riesiges Wandbild, wahrscheinlich das größte, das ich bislang gemacht habe. Das Konzept dahinter orientiert sich ein bisschen an den Bewegungslinien von Comics, falls Sie wissen, was ich meine. Sie spiegeln wider, wie viel Energie aufgewendet wird, um einen Ball zu werfen, einen Faustschlag auszuführen oder auch nur, um zu gehen oder zu rennen. Ich habe die Idee der Bewegungslinie aufgegriffen und auf die Zeichensprache angewendet – wie viel Energie wird verbraucht, wenn wir gebärden und Raum nutzen. Von meinen jüngeren Werken ist das wohl eines, das ziemlich gut ist und auf das ich stolz bin.
 
Und ich bin immer noch stolz auf ein älteres Werk, One Week of Lullabies for Roux. Das ist etwa vor fünf Jahren entstanden. Da war ich gerade Mutter geworden, und ich hatte so ein Babyphone mit Kamera gekauft, damit ich Roux‘ Schlaf überwachen und sie in ihrem Zimmer sehen konnte. Viele dieser Geräte sind, glaube ich, vorprogrammiert. Sie haben verschiedene Funktionen, bei denen auf Knopfdruck ein bekanntes Schlaflied abgespielt wird, damit das Baby besser einschlafen kann. Aber es gefiel mir nicht, Roux etwas vorzuspielen, zu dem ich nicht einmal Zugang habe und das mich nicht wirklich interessiert.

Also habe ich mir ein paar Gedanken gemacht und beschlossen, selbst etwas für sie zu schreiben. Ich erstellte eine Liste mit Anweisungen und bat sieben Künstler*innen, die auch Eltern sind, mir ein Schlaflied nach diesen Vorgaben zu komponieren. Kein Text, niedrige Frequenz und so weiter. Ich hatte verschiedene Parameter definiert, und daraus wurde ein Ausstellungsprojekt, bei dem man sich die sieben verschiedenen Schlaflieder anhören kann. Eigentlich soll man Kinder damit natürlich zum Einschlafen bewegen, doch wenn man sich die Aufnahmen tatsächlich anhört, bewirken sie wohl eher das Gegenteil, ha. Aber es ging mehr um das Konzept an sich. Die Idee, andere Eltern zu bitten, etwas zu komponieren, das auf „unseren“ Vorstellungen, anstatt auf der gängigen Vorstellung beruht, was ein geeignetes Schlaflied für „unsere“ Kinder ist. Auf dieses Projekt bin ich auch ziemlich stolz.
 


Wer sich über Kims Ausstellungen und den Entwicklungsstand der Fahne, die Kim mit ihrer Tochter Roux für das Goethe-Institut gestaltet, auf dem Laufenden halten will, sollte in den kommenden Wochen ihre Residenzseite und die Sozialen Medien verfolgen.

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