Archiv und Erbe als Substanz des Schaffens
Im Rahmen des Projektes Dia:Forme sprachen wir mit der Malerin Irma Markulin
Die bisherigen Künstlergespräche über jeweils unterschiedliche künstlerische Praxen, künstlerische Entwicklungen, persönliche Verhältnisse gegenüber der Stadt und die jeweiligen Identitäten unserer Gesprächspartnerinnen im Rahmen des Projektes Dia:Formen stellen eine Tatsache, die für mich am interessantesten ist, dar: die Entdeckung etwas ganz Neuen.
Im Unterschied zu Nika Radić und BooBoo Tannenbaum, deren Arbeiten und Persönlichkeiten uns mehr oder weniger bekannt sind, waren mir die Namen der Malerin Irma Markulin und ihrer Arbeiten vollkommen unbekannt. So begegneten wir im Gespräch für Vizkultura einer ganzen neuen Künstlerwelt und einem ganz neuen, dem heimischen Publikum höchstwahrscheinlich unbekannten Werk, das sich durch seine Referenzen und seinen Kontext auf äußerst starke Weise mit dem Erbe des Balkanraums auseinandersetzt. Ich glaube, dass die Arbeit von Irma Markulin unserem heimischen Kontext gerade aus dem Grund „unsichtbar“ geblieben ist, da sie „ab ovo“ hier, in Berlin, entwickelt wurde. Ich hoffe, dass sich diese Tatsache dank diesem Interview ändern wird und dass wir in Zukunft ihre Arbeiten häufiger bei Ausstellungen in kroatischen Galerien betrachten können.
In den Arbeiten von Irma Markulin sind stark das Erbe und die Biografie präsent: der Kontext des visuellen Einsaugens, des Aufzeichnens, der Referenzen und des Bewusstseins über die Vergangenheit, die der Mensch, und vor allem der Künstler, durch das Aufwachsen und die Entwicklung auf dem (vom Krieg geprägten) Balkan unvermeidbar aufnimmt. In Berlin kommen einem die Kontextualisierung der eigenen Herkunft und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit irgendwie natürlich vor, weil einem die Stadt und ihr Erbe diese automatisch nahelegen. Daher wundert es auch nicht, dass Markulin nach der Auswanderung aus Bosnien, wo sie geboren wurde, und Kroatien, wo sie aufwuchs und ihre künstlerische Ausbildung begann, ihren künstlerischen Weg in Deutschland gerade auf dem Sammeln von allem, woran sie sich erinnert, von allem Erlebten oder (später) ins Bewusstsein Gekommenen und dann durch die Arbeiten wieder Kontextualisierten aufgebaut hat. Wenn ein Wort auszuwählen wäre, das am besten die Bilder, die Projekte und die Arbeit von Irma Markulin beschreiben würde, dann wäre das sicherlich der Begriff „Archiv“, der durch Wiederholungen, Collagen, Motive, den Kontext und die Formen, wo die Autorin geschickt mit dem eigenen oder dem allgemeinen Erbe balanciert, weiter erörtert wird. Dieses gewisse Leitmotiv, das permanent für ihre Arbeiten charakteristisch ist, zu dem sie konsistent und gerne immer wieder zurückkehrt, hat diese Leidenschaft zur Archivierung direkt in ihre Persönlichkeit eingetragen. Wir besuchten Markulin in ihrem Berliner Atelier, im Keller eines Familienhauses im Stadtviertel Weißensee, in dem sie mit ihrem Ehemann und Sohn zusammenlebt, wo sorgfältig und vorsichtig das Archiv ihrer Arbeiten, Bilder, Installationen, Veröffentlichungen und des sonstigen archivierten Materials ihres Werkes, das wir Ihnen im Anhang vorstellen werden, zusammengeführt worden ist.
Wie hat deine Berliner Geschichte angefangen? Wie wichtig war für deine Arbeit und Entwicklung deine Ankunft hier – nachdem du zuerst die Auswanderung aus dem Land, in dem du geboren wurdest, erlebt hattest und danach auch aus dem Land, in dem du studiert hast? Die Menschen in dieser Stadt scheinen sich ihrer Vergangenheit und all dessen, was sie ihnen gebracht hat, sehr bewusst zu sein, und sie scheinen sehr bereit zu sein, sich mit ihr als einem Bestandteil ihres Alltags auseinanderzusetzen – hat dir dieser Berliner Kontext geholfen?
Alles begann mit einem „zufälligen“ Besuch in Berlin. Damals war ich als Austausch-
studentin, im Rahmen eines Soros-Stipendiums, in Prag. Ich verbrachte ein Semester (2004-2005) an der UMPRUM (Akademie für Kunst, Architektur und Design, Prag), als ich privat kurz nach Berlin ging und sofort wusste, dass ich hier bleiben wollte.
Ich bin noch nach Zagreb zurückgekehrt, um mein Studium abzuschließen (2006 an der Akademie der bildenden Künste), und bin eine Zeitlang immer nur kurz nach Berlin gefahren. Aber schließlich beschloss ich, permanent dort hinzuziehen, als ich Vollzeitstudentin an der KHB wurde. Das war 2007. Wenn ich mich jetzt daran erinnere, finde ich es toll, wie sich das alles so spontan, unplanmäßig entwickelt hat. Wie du auch selbst sagst, haben mich der Kontext und die Geschichte dieses Ortes - Deutschlands, Berlins und ihres Erbes - dazu inspiriert, mich mit meiner eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen und mich dabei auf meine Autobiografie zu konzentrieren. Außerordentlich wichtig war mir gerade die Geschichte der Stadt, und noch mehr ihr Einfluss auf unsere Geschichte (1914 -1945), bzw. die Art und Weise, auf die sie diese Geschichte bewältigen. Insbesondere die Tatsache, dass Berlin wie ein mobiles Archiv ist, in dem die Fassaden, Straßen und Denkmäler ein sichtbarer Bestandteil des Ganzen sind, hat mich fasziniert. Alle Archivunterlagen sind hier leicht zugänglich, transparent, und es ist einfach, alles in Erfahrung zu bringen. Mir hat das alles sehr gefallen, es war mir für den Kontext und die Richtung, in der ich auch selbst angefangen hatte, zu arbeiten, wichtig, während in Zagreb so etwas überhaupt nicht möglich war. Natürlich muss ich dazu sagen, dass hier meine Geschichte über mein eigenes Trauma und eine Art Instrumentalisierung meiner Biografie von unvermeidbarer und bedeutungsvoll war.
Ich kam 1996 zur Einschreibung in die Schule der angewandten Künste in Zagreb, und in diesen Jahren war alles noch ein bisschen hardcore für mich - es war alles ziemlich schwierig, weil sich alles um „Wo kommst du her, wer ist dein Vater, wo war er in dem und dem Jahr...“ drehte. Dieses Trauma der eigenen Herkunft konnte ich in einer solch patriotischen Umgebung nicht so einfach bewältigen und ich wollte auch nicht darüber sprechen. Ich dachte einfach, dass die Kunst keine Zugehörigkeit zu einem bestimmten Land kennt. Trotzdem liegen nach den Kriegsjahren noch immer viel Pulverdampf und emotionale Spannungen in der Luft.
Als ich 2001 das Studium an der Akademie der bildenden Künste begann und später diese Themen, die mich interessierten, zu entwickeln versuchte, sah ich ein, dass sehr wenige Kollegen durch das Medium der Malerei persönliche Themen übertragen. Mir schien es so, dass sich mit dem Thema des Archivs aus der persönlichen Perspektive, d.h. der Frage der eigenen Identität, an der Zagreber Akademie fast niemand befasste. Die Malerei war damals als Medium für die Beschäftigung mit solchen persönlichen Themen allen irgendwie old school, also langweilig. Mir gelang es dort in Kroatien nicht, diese meine Richtung - die ganz gewiss von meiner eigenen Vergangenheit geprägt ist, weder Illustration noch Propaganda ist und sich gleichzeitig gerade mit mir befasst - zu finden. Es war vielleicht auch notwendig, diese Umgebung und ihre Vorurteile zu verlassen, um neu anzufangen. In Berlin gelang das dann ganz schnell. Ich erforschte Archive, besuchte zahlreiche Ausstellungen, um zu sehen, wie manche Archive oder durch Archive inspirierte Arbeiten präsentiert wurden. Das habe ich, so kommt es mir nun vor, dort bei uns sehr vermisst - das Gefühl für eine Kunst im politischen und sozialen Kontext, eine Kunst, die biografisch ist und aus sehr persönlichen Themen hervorgeht.
Meine Biografie ist einfach so - sie ist durch den Krieg und alles, was ich damals durchlebt habe, geprägt. Wenn ich nach Bosnien komme, fühle ich mich wie eine Außenseiterin. Genauso fühle ich mich in Kroatien, und manchmal auch in Berlin. Dieses ständige Nicht-Dazugehören verleitet dich die ganze Zeit dazu, dich mit deiner eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen - denn in Zagreb bist du Bosnierin, in Bosnien bist du Kroatin, und hier bist du Ausländerin. Du bist einfach gezwungen, die ganze Zeit über deine Zugehörigkeit und Identität nachzudenken. Wenn ich nicht eine solche Biografie hätte, wenn ich jemand wäre, der in Paris geboren wurde, würde ich mich mit all dem ganz gewiss nicht befassen. Trotzdem muss ich anmerken, dass der Flüchtlingscharakter in meiner Arbeit wirklich überhaupt keine Rolle spielt. Ich denke hierbei an den Flüchtlingscharakter im dem Sinne, dass ich jetzt eine Vertreterin von etwas/jemandem sein soll... Das bin ich ganz gewiss nicht. Der Ausgangspunkt meiner Arbeiten ist die Biografie, und die Arbeit entwickelt sich im technischen und konzeptuellen Sinne unabhängig von der Zugehörigkeit. Trotzdem bin ich auch Teil einer großen Künstlerfamilie, deren Mitglieder ihre Arbeit außerhalb der Grenzen ihres Geburtslandes, und auch gerade deswegen, entwickelt haben (wie z.B. M. Hatoum).
Wie waren deine ersten Erfahrungen nach deiner Ankunft in Berlin, was ist dir für deine künstlerische Arbeit und deinen Ansatz als Autorin wichtig gewesen? Gab es etwas, das dich besonders überrascht hat?
Zuerst, als ich hierher kam, fühlte ich mich wie unter einem enormen Druck: Du musst alles rechtzeitig schaffen, den Job, das Stipendium, neue Arbeiten... Es war mir wichtig, meinen eigenen Ausdruck zu entwickeln, eine Präzision und Praxis der Malerei. Da hier alles so mechanisch schien, wählte ich als Arbeitskonzept bewusst die Malerei durch Wiederholung der Pinselstriche, wo durch das Malen pastös eine Textur geschaffen wird, sodass die Wiederholung der Striche ein Ausdruck von Dressur war, wie bei Kraftwerk! Deswegen haben, denke ich, meine Arbeiten mit den Motiven des Staffellaufs diese wichtige physische Komponente - das ist wie eine repetitive Mechanisierung der Bewegungen. Diese Mechanisierung der Bewegung war gewissermaßen der Stil, für den ich mich bewusst entschieden habe, um mich auszudrücken, beispielsweise durch Körperbewegung bei Staffelläufen, durch diese Entindividualisierung. Je älter ich werde, umso mehr gehe ich, total autobiografisch, in diese Richtung. Es war mir sehr wichtig, den Drill als positiven Impuls zu benutzen.
Wenn du schon Überraschungen erwähnst - nach meiner Ankunft in Berlin habe ich mich zum ersten Mal mit der Tatsache auseinandergesetzt, dass es Künstler gibt, die bis zu 20 Assistenten als Beschäftigte haben. Das war mir vollkommen unverständlich, diese Tatsache, dass es normal ist, und dass eine Folge davon eine wachsende Mass Production, wie sie vom Kunstmarkt diktiert wird, ist. Sofort brach dieser Künstlerkult, wie ich ihn wohl kennengelernt hatte, wie sie ihn uns durch die Ausbildung mehr oder weniger dargestellt hatten, für mich zusammen: ein farbenbeschmierter, ein unverstandener Einzelgänger, der seine Arbeit durch reines Talent mystifiziert. Als ich in 2006-2007 hierher an die UdK kam, war ich in der Klasse von Anselm Reyle, der das genaue Gegenteil davon war: ein Orangensaft trinkender Superstar, der ins Gym geht und schon Anfang Dreißig seine Arbeiten für Millionen verkauft. Das war für mich, als ich mit 30 Jahren hierher kam, vollkommen wow und vollkommen unerwartet! Damals begann definitiv die Entmystifizierung des Künstlermythos und eine neue Vorstellung von einer Maler-Persona, die plötzlich zu einem gesunden Popstar mit einer Marketingstrategie wird und keinen Absinth trinkt.
Wo siehst du die Hauptunterschiede in den Ausbildungssystemen, die du selbst dort und hier erfahren und kennengelernt hast – was hat deine Arbeit mehr verändert, was hat dich am meisten inspiriert?
Durch das hiesige Studium in Berlin wurde mir bewusst, dass es sehr wichtig ist, wie etwas gemalt wird und wie gleichzeitig die eigene malerische Praxis zu kontextualisieren wird. In Zagreb schien es mir, dass alles auf Praxis, Praxis, Praxis beruhte, wie das Aktzeichnen 20 Stunden pro Woche. Hier wurde ich zum ersten Mal gefragt: „Was hat das mit dir zu tun?“ beziehungsweise was ich mit meiner Arbeit sagen möchte. Bis dahin hatte mich das noch nie jemand gefragt! Als ich das begann einzusehen, fing ich damit an, den technischen Drill aus Zagreb mit meiner Biografie zu kombinieren und so das Konzept, das hinter meinen Arbeiten steht, zu schaffen. Es war klar, dass für eine gute Arbeit beides wichtig ist. Ich musste wieder einen Ausbildungsprozess durchmachen und erhielt ein Diplom beim Bachelorstudium an der KHB (2007 -2009) sowie einen Meisterschülerabschluss (2010). Beim hiesigen Studium hatte ich das Gefühl, dass ich Philosophie und Kunstgeschichte studiere, weil ich ständig verschiedene Fragen beantworten und meine eigene Arbeit in den Kontext der Kunstwelt setzen musste. Während des Studiums befasste ich mich mit Theorie und Analyse, und weniger mit der Perfektionierung meiner Technik und mit Malen. Trotzdem war das wichtig und ich vermisste es. Gleichzeitig finanzierte ich mich, indem ich für Künstler Leinwände grundierte und als technische Assistentin arbeitete; so verdiente ich meinen Unterhalt, da ich kein Stipendium hatte. Kenntnisse der Maltechnik und des Malerhandwerks waren exotisch, da sie nicht an der Fakultät gelehrt werden, sondern eher eine Rarität aus dem Osten sind.
Noch ein bedeutender Unterschied bei der künstlerischen Ausbildung ist, dass Hunderte von Studenten an Kunstfakultäten zugelassen werden. Es ist nicht wie bei uns, wo eine kleine Gruppe von zehn oder etwas mehr Studenten zugelassen wird und sich die Leute jahrelang herumplagen, um hineinzukommen. Hier werden beispielsweise an den künstlerischen Fachrichtungen der Akademie im ersten Studienjahr ungefähr hundert Studenten zugelassen. Trotz dieser hohen Zahl kommt es erst nach dem Abschluss zu einer Selektion, wenn du wirklich zu arbeiten anfängst und der Kunstwelt gegenüber trittst – also erst, wenn du ganz einfach überleben musst. Dann weißt du absolut und gewiss, dass von den einhundert, die die Kunstakademie abschließen, ziemlich viele an Arbeitsplätzen enden werden, die überhaupt nichts mit Kunst zu tun haben, buchstäblich als Putzleute am Flughafen oder als Kellner. Trotzdem ist es für einige ganz normal, mehrere Jobs zu haben. Jedoch ist die Frage, ob sie nach all dem im Beruf bleiben, ob sie diese Jobs verwenden, um ihre eigentliche Arbeit zu finanzieren, oder ob sie am Ende die Kunstszene gänzlich verlassen. Denn um in Berlin als Künstler zu überleben, braucht man einen Marathongeist.
Ich habe auch verschiedene Jobs gehabt, als ich den Meisterschülerabschluss erhielt, von Babysitterin bis hin zu Reiseführerin. Hier ist es sehr schwierig, sofort nach der Uni nur im eigenen Beruf zu bleiben und als selbständiger Künstler zu funktionieren. Das bedeutet, eine Galerie zu haben, die einen vertritt, kontinuierlich auszustellen, sich zu positionieren.
Im Kontext der Ausbildung selbst sind die Unterschiede enorm. An der Fakultät, solange du noch studierst, musst du dich entgegensetzen, musst du eine andere Meinung als deine Professoren haben, da du ansonsten nicht aktiv bist. Sie erwarten, dass du widersprichst, dass du dich etwas fragst, dass du nicht zustimmst, dass du sauer bist... Und darin sehen sie deine Entwicklung, während du dich bei uns, wie mir scheint, einer Meinung fügen musst, um irgendwohin zu gehören. Dort gibt es diese Objektivität nicht, da du zu jemandem gehörst, während sie hier in deinem Studium sehen möchten, dass du dich mit etwas befasst, dass du hinterfragst, dich wunderst, warum etwas so und nicht anders ist, dass du einige Sachen zuspitzt, dass dies dein Fortschritt ist. Als ich meine ersten öffentlichen Vorlesungen hatte, hätte ich fast anfangen zu weinen, weil ich mich vor all diesen Leuten, die dich so sehr mit Fragen ausquetschen, wie nackt fühlte. Ich wusste nicht, wo ich bin, ich hatte niemals einen solchen Ansatz gehabt, ich hatte das Gefühl, dass sie mir einfach zu nahe gekommen waren, wozu ich nicht bereit war. Doch auf diese Art versuchten sie, mit Fragen und Kommentaren, nur Einblicke zu gewinnen, womit ich mich befasste. Analyse bis zu den Knochen! Ich sah ein, dass es mir peinlich war, über meine Arbeit öffentlich zu diskutieren. Bald wurde mir klar, dass gerade die Analyse und die Diskussionen zum Studium und zur Ausbildung gehörten und dass sie total notwendig sind, da du dich ansonsten nicht entwickeln kannst.
An den Kunstfakultäten bei uns ist es immer ein großes Problem, dass du immer nur mit der crème de la crème, nur mit einer kleinen Schicht von gleichgesinnten Intellektuellen in Berührung kommst, was für ein allgemeines Weltbild keinesfalls hinreichend ist. Anzufangen, jemanden auszubilden, wenn er schon an der Fakultät und eine entwickelte Persönlichkeit ist, ist einfach zu spät. Deswegen ist es eine absolute Wahrheit, dass wir in einer Welt leben, in der es unvermeidbar ist, von Grund auf anzufangen - also vom Kindergarten - um jemanden auszubilden und ihn auf all das vorzubereiten, was später kommt, und das ist die Pointe von allem!
Gerade diese Ausbilderrolle, die du hast, scheint mir sehr interessant und wichtig. Wie siehst du dich in selbst in der Rolle als Lehrerin und wie wichtig ist dieser Ausbildungskontext für dich - inwiefern hat er dich gestaltet und dich in eine andere Richtung geführt?
Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist für mich eine tolle Erfahrung, um von der eigenen Arbeit Abstand zu nehmen. Ich habe das Gefühl von Produktivität; der Austausch mit Jugendlichen ist eine super Reflexion über die eigene Arbeit, manchmal ist sie viel besser als eine geschriebene Kunstkritik. Nach dem Studium der Freien Kunst studierte ich in 2016/17 Ästhetische Forschung an der Alice Salomon Hochschule. Das war eine experimentelle Fachrichtung, die sich gerade mit der Übertragung der künstlerischen Erfahrung und der künstlerischen Praxis in die Schule befasst. Bald nach dem Abschluss fing ich an, als Kunstlehrerin zu arbeiten. Natürlich unterrichte ich Kunst, aber ich kann dir nicht sagen, wie genau wir das, was ich unterrichte, nennen. Durch den Unterricht, den ich halte, versuche ich, Kunstkultur im Kontext der anderen Fächer zu lehren. Das bedeutet, dass Kunst kein Fach an sich ist, sondern sich mit Mathematik, Erdkunde, Englisch verbindet... So verbinde ich, beispielsweise, die Geometrie mit der Kunst Sol LeWitts. Das ist nur ein Beispiel.
Eine besondere Herausforderung ist es, dieses den Kindern außerhalb der sturen pädagogischen Praktiken zu übertragen. Die ästhetische Forschung, die ich praktiziere, ist eine neue, auf Erfahrung und Erlebnis basierende Unterrichtsweise. Dieser natürliche Kreativitätsimpuls, über den die Kinder verfügen, geht später verloren. Dieses Fachübergreifende ermöglicht geradezu die Eigenerfahrung der modernen Kunst (die Verflechtung von Soziologie, Erdkunde, Geschichte usw.). Das ist hier im Schulwesen sehr stark erkennbar, und daher wird durch eine solche künstlerische Ausbildung von der Grundschule an die Kunst durch Verbindung und Verflechtung von geradezu allem und allen Kombinationen verstanden. Das freut und interessiert mich sehr: wie mein Beruf, dieses Handwerk, z.B. die Malerei und die graphischen Techniken, mit der Praxis der Massenmedien und der Produktion zu verknüpfen sind. Das Ziel ist es, dass die Kinder diese Erfahrungen morgen in ihre Arbeit übertragen, ob es sich um ein Elektroautodesign oder eine Handyapplikation handelt. Ich denke, dass die Substanz von all dem gerade die echte zeitgenössische Angewandte Kunst ist, wo es das Ziel ist, dass „angewandte“ nicht als ein Begriff zur Dekoration dasteht, sondern zur Verknüpfung der Kunst mit der Technologie oder mit anderen Bereichen. Mir gefällt diese Rolle des schaffenden Lehrers sehr, und moralisch und ethisch fühle ich mich super, wenn ich sehe, dass diese Kinder etwas super kapiert haben - dieses Gefühl (des Austauschs) ist mir häufig lieber, als wenn jemand ein Gemälde von mir kauft. Ich denke, dass es bedeutend ist, dass das Wissen fluktuiert, dass es weitergeht - und das ist hier auch gerade so und es verleiht einem ein gutes Feeling.
Ein solcher Ausbildungsansatz hört sich sehr interessant an und ist für uns und den kroatischen Kontext ziemlich schwer zu verstehen, wo immer noch Diskussionen über die Erhöhung der Anzahl der Kunsterziehungs- oder sonstigen künstlerisch-kreativen Stunden in den Schulen herrschen, wobei sich nichts ändert. Muss es, für den Kontext des Verständisses, denn so sein? Was ist dir am Ausbildungsansatz, von welchem du jetzt auch selbst Teil bist, besonders interessant?
Wohl das Kombinieren, Erforschen, das Verständnis der Raumwahrnehmung, der Formgeometrie, durch verschiedenste Beispiele, die nicht immer exakt sind, d.h. sie werden nicht mit einer definitiven Lösung aufgegeben. Wenn ich diese Kinder sehe, wie sie auf solche Einstellungen reagieren oder auf welche Art sie zu Schlussfolgerungen kommen, glaube ich irgendwie, dass für sie ihre gesamte Ausbildung und spätere Arbeit einfacher und natürlicher sein wird. Ich glaube, dass die künstlerische Praxis und die künstlerische Strategie ihnen bei anderen Arbeiten helfen werden, die nicht unbedingt künstlerisch sein müssen. Alles in allem ist dies ein wundervoller Ansatz zur Ausbildung und Kunst, und ich spüre in dieser Rolle wirklich, wie furchtbar wichtig es ist, dass du als Künstler deine Praxis und Erfahrung weitergibst, und wenn auch nur bei einem banalen Beispiel, das mit der Entstehung des Regenbogens verbunden ist. Eigentlich ist nichts banal, sogar der Regenbogen mit Chemie, Optik und Physik verbunden ist und nicht nur auf die sieben Regenbogenfarben zurückgeführt wird. In einer solchen Position ist es für mich wichtig, mein Revier nicht aufzugeben, denn dort bist du ein autonomer Künstler, während du die Kinder über deine Erfahrung des Weltverständnisses und die Praxis der künstlerischen Wahrnehmung durch die Hinterfragung der Welt um dich herum unterrichtest. Dadurch ergänzt und bereicherst du dich gleichzeitig selbst.
In der Praxis arbeiten die Kinder im Rahmen dieser Ästhetischen Forschung, ohne das Endprodukt zu kennen, alles dreht sich um den Arbeitsprozess. Sie zerreißen zum Beispiel Papier und nehmen Ton in die Hand, ohne zu wissen, was am Ende das Produkt sein wird. Dieser Prozess, in dem die Kinder nicht wissen, was sie schaffen und sie das vielleicht vorübergehend auch frustriert, sie jedoch trotzdem weitermachen, ist sehr wichtig. Das ist analog wie auch bei Künstlern: du möchtest etwas machen, es geht nicht, es geht nicht und wieder geht es nicht... Aber du musst lernen, zu versagen, enttäuscht zu werden, damit du das wieder anpacken kannst. Wenn die Kinder eine Schablone haben, wenn sie das Ergebnis kennen, machen sie bei einem Misserfolg nicht mehr weiter!
Nachdem alle üblichen (Ausbildungs-) Barrikaden beseitigt wurden, siehst du ein, in welchem Maße all das vernetzt ist und wie super es ist, dass du dir beispielsweise mit der Sportlehrerin gemeinsam überlegst, wie eine Performance auszuführen ist. Dies ist eine furchtbar große Freiheit, und gleichzeitig ist da die vollkommene Normalität der Leute, welcher ich sehr positive Gefühle entgegenbringe. Das ist einfach die Philosophie, die hier verstanden wird - dass sich alles organisch entwickelt. Die deutsche Gesellschaft ist sich bewusst, wo und wie sie den Künstler für viel größere Visionen einsetzen kann, sodass nicht alles nur im Sinne der Akademie, sondern im Sinne einer Entwicklung der vollen Potenziale betrachtet wird.
Mich interessiert, wie es bei dir mit Ausstellungen aussieht - wie häufig kommt es dazu, wie wichtig sind sie für dich und in welchem Kontext? Und wie siehst du das ewige brennende Thema in der Kunst: Verkauf von Arbeiten vs. bedeutende Ausstellungen?
Letztes Jahr hatte ich sogar acht Ausstellungen, vier davon waren eigenständig. Das erste Mal stellte ich solo bei der Vienna Contemporary - der Internationalen Kunstmesse in Wien - aus. Das ist eine Situation, in der die Galerie dich vorstellt (Projectspace Satellite Sarajevo / Galerie Krupic-Kersting II) und alle dich studieren und erforschen... Mir ist das immer noch ein etwas komisches Gefühl, in dem die Künstler in einen Kontext gebracht werden, von jemandem angesehen, eingeschätzt zu werden... Schnell siehst du ein, dass bei solchen Messen nicht nur deine Arbeit eine wichtige Rolle spielt, sondern auch eine Reihe anderer Dinge. Das ist wie bei Fußball, oder sogar einer Börse, wo es zu Situationen kommt, in denen man dich fragt: „in welchem Team bist du?“. Bei einer Kunstmesse beschränkt sich der Erfolg auf den Verkauf. Natürlich ist es wichtig, eine Galerie zu haben und beim Art Fair präsent zu sein, jedoch scheint es mir, dass meine Arbeiten eher etwas für Ausstellungen sind, die sich mehr in der Domäne der Forschung und Theorie befinden und auch ihrer Arbeitsthematik nach nicht so kommerziell sind.
Wenn man viele richtige Ausstellungen hat, dann ist das für ihn als Künstler bedeutend. Ich habe in den letzten paar Jahren bei jurierten, kuratierten Ausstellungen in nichtkommerziellen Berliner Galerien ausgestellt, wie der Galerie der Schwartzschen Villa, der Galerie Pankow und der Kommunalen Galerie Berlin, um nur einige zu nennen. In solchen Räumen auszustellen, die dem Künstler seine eigenen Ausstellungen abseits vom Kunstmarkt ermöglichen, ist sehr wichtig, da zu solchen Ausstellungen Journalisten, Professoren und Kuratoren kommen, die dich dann zu neuen Ausstellungen einladen. Das ideale Szenario ist, dass sie nach der Ausstellung einen guten Artikel über dich schreiben, damit du die notwendige Recognition bekommst. Das ist natürlich für die Arbeit sehr wichtig, jedoch bekommst du für eine solche Ausstellung insgesamt ungefähr 150 bis 300 Euro, manchmal einen Katalog, und für die gesamte Werkproduktion musst du die Kosten hauptsächlich selber tragen - das versteht sich von selbst. Trotz einer solchen Situation war mir dies persönlich für meine Bestätigung wichtig und ich kann sagen, dass ich mich dadurch entwickelt habe.
Das andere Extrem sind die Art Fairs, wo dir klar ist, dass es, wenn die Galerie ihren Stand bzw. die Teilnahme an der Messe 12.000 Euro bezahlt, ganz logisch ist, dass sie bei dieser Messe einen Gewinn erwarten. Wegen dieses so vorgegebenen Kontextes sind sie unter ständigem Druck und du als Künstler bist unter zeitlichem, materiellem und produktivem Druck, sodass wir hier von zwei Extremen sprechen: einerseits der kuratorisch-theoretischen Seite, die dir für die geistige Entwicklung deiner Arbeit wichtig ist, die also der eigentliche Sinn von allem ist, und dann ist da wiederum auch diese andere, kommerzielle Seite. Beide sind wichtig, und bisher habe ich es geschafft, zweigleisig zu fahren. Jedoch bin ich auf eine gewisse Weise auch frustriert, da du, wenn du nur von solchen Menschen umgeben bist und wenn Geld die einzige Sprache ist, anfängst, dich zu fragen, was du eigentlich machst, wohin du gehst, und irgendwie kapselst du dich dann ein in dieser Selbsthinterfragung. Die Tatsache, dass du verkaufst, ist überhaupt kein Qualitätsbeweis, sondern häufig ein Trend, auf den du überhaupt keinen Einfluss hast, ähnlich wie bei Aktien an der Börse.
Glaubst du, dass es im Hinblick auf den von riesigem Kapital gesteuerten Markt manchmal vorkommt, dass zeitgenössische Künstler in einer Richtung arbeiten, die gerade im Trend ist, dass sie wegen der Nachfrage so arbeiten, wie es manche Endverbraucher, ob Kunden, Galerien, Käufer oder Medien, wollen, bevorzugen, erwarten? Außerdem interessiert mich, was du derzeit als ein Muss auf der Szene siehst?
Schau mal: Wenn du Namen hast, wie zum Beispiel gerade Anselm Reyle, den ich erwähnt habe, und wenn du, wie er, in einem oder zwei Monaten zehn selbständige Ausstellungen hast, schaffst du es physisch einfach nicht, all das selbst zu machen. So war es angeblich auch bei Rembrandt. Das bedeutet, dass der Erfolg von damals und jetzt und der Kunstmarkt irgendwie gleich geblieben sind, nur gibt es jetzt viel mehr Künstler. Für sie ist es normal, dass sie, wenn sie den Markt nicht befriedigen können, Assistenten beschäftigen. Das ist natürlich eine gute Entmystifizierung des Künstlers als Kult, damit es nicht zur „Jetzt-bin-ich-Gott“-Einstellung kommt.
Meine Arbeit beruht vollständig auf meiner Biografie, und ich kann diese Arbeit nicht einem Assistenten anvertrauen. Vor allem deswegen, da zahlreiche meiner Arbeiten als Work-in-Progress, als eine Fortsetzung meiner eigenen Geschichten und meines eigenen Striches mit dem Pinsel, den ich nicht jemand anderem in die Hände drücken kann, entstehen.
In Bezug auf diese Frage zu dem Markt, bzw. was jetzt aktuell ist, glaube ich, dass gerade ein großes Revival des Begriffes Woman Artist vor sich geht. Es scheint mir, als würde jede Galerie, jedes Museum, jede Institution Frauen aus dem Keller ans Tageslicht bringt, und das wird jetzt zu einem absoluten Muss. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, aber aus zahlreichen Beispielen und eigenen Erfahrungen scheint es mir, dass es so ist. Das ist cool, die Kunstgeschichte ist es uns schuldig. Ein zweiter großer Trend besteht aus Künstlern, die die Akademie nicht abgeschlossen haben - ein Urtalent, das nicht durch Ausbildung geformt wurde, das nicht die konventionelle Richtung des Schaffens einer eigenen künstlerischen Biografie besitzt. Das ist jetzt hier Mode, das lockt angeblich derzeit die Sammler an.
Vielleicht ist die Ungewissheit das größte Problem - wenn du deine Arbeit für den Markt bereitstellst, hast du keine Ahnung, was geschehen wird. Wie wenn du ein Bumerang wirfst und dir nicht sicher bist, was zurückkommt. Was selbständige Künstler betrifft, vor allem diejenigen, die nicht aus dem deutschen Kontext stammen, ist es am Anfang sehr schwierig, solange du noch nicht etabliert bist, wenn du niemanden hinter dir stehen hast. Auch wenn es zu einer gut besuchten Ausstellung kommt, Presse und ähnliches - wenn hinter dir nicht die Botschaft, dein Land und sogar auch die Politik steht, ist es ohne einen Hintergrund schwierig, da mit zu kämpfen. Ich spreche jetzt über meine Position, die ich über all diese Jahre hindurch beobachtet habe.
Ein großes Problem ist es, dass heute regelrecht jede Arbeit schwindelerregende Preise erreichen kann. Dann wird ein Sammler sie kaufen, jedoch nicht, weil sie ihm gefällt oder in seine Sammlung passt, sondern um sie weiterzuverkaufen. Viele Kunstsammler möchten anonym bleiben, sie möchten außerhalb der Galerie kaufen, um Steuern zu umgehen, woraus dann ein Schwarzmarkt entsteht. Viele Leute dealen mit Arbeiten und schädigen auf diese Weise die Künstler, die ganz am Anfang sind. Das nennt man hier „jemanden verbraten“, ohne dass er schon dazu bereit ist, denn es gibt Kunstsammler, die die Leute buchstäblich von der Akademie wegzerren. Das kann keinesfalls für die jungen Leute oder für den Markt überhaupt gut sein. Dieser Handel ist so sinnlos geworden, dass die Leute nicht mehr in Galerien gehen, da sie nicht mit dem Ziel kaufen, etwas an die Wand zu hängen, das ihnen gefällt und wohinter sie stehen, sondern mit dem Ziel, Gewinn zu erwirtschaften. Hier ist die Kunst zum sozialen Status geworden, genau wie es der Besitz eines guten Autos ist. Das ist dieses Extrem des Kunstmarktes, das hier vollkommen brutal und sehr präsent ist.
Wie ist deine Erfahrung mit Galerien - hast du eine Galerie, die dich vertritt, in welcher du ansässig bist? Was sind die Vorteile, und was sind die Nachteile einer solchen Beziehung, und was würdest du sagen, wie wichtig ist es, eine Galerie zu haben?
In Berlin ist die Situation nicht so, dass du dich beispielsweise bei einer Galerie melden und bei ihnen an die Tür klopfen kannst. Niemand sucht nach Künstlern, sie werden durch einen langen Zeitraum hindurch verfolgt und gewählt. Gleichzeitig kannst du in der Art-Welt ohne eine Vertretung und Galerie kaum ernst genommen werden - deswegen sind die Galerien ein so wichtiger Faktor. Ich bin bei der Krupic-Kerstig Galerie, mit Sitz in Köln, die eine bestimmte Anzahl von Künstlern und einigen Gastkünstlern hat, mit denen sie Gruppenausstellungen veranstaltet und ihren Wirkungssradius erweitert. Bei ihnen gefällt es mir, dass ihnen die Kunst im political Kontext sehr wichtig ist und dass sie Künstler vertreten, die sich mit Installation, Fotografie, Malerei, Bildhauerei befassen... Mir ist es besonders wichtig, dass eine Galerie einen kuratorischen Ansatz hat, dass sie nicht nur auf Gewinn ausgerichtet ist. Ich glaube, dass ich von allen Künstlern, die sie im Programm haben, sogar die jüngste bin. Sie sind in Köln ansässig, und gerade eröffnen sie noch einen Raum in Sarajevo.
Ich bin froh, eine Galerie zu haben, die sich wirklich darum bemüht, für mich Ausstellungen zu veranstalten, Kataloge zu produzieren... Es ist wahr, dass sie sich, wie auch alle anderen Galerien, 50% nehmen, obwohl es auch Galerien gibt, die sich bis zu 75% vom Kunstverkauf nehmen, ohne dir die Produktionskosten zu bezahlen, während manche Galerien diese bezahlen. In solchen Beziehungen beruht vieles auf gegenseitigem Vertrauen.
Was ich anmerken muss ist, dass jede Galerie, ungeachtet dessen, wie gut sie ist, vom Verkauf und Erfolg des Künstlers lebt, für den sie gewissermaßen zuständig ist. Aber trotzdem wäre ich ohne Galerie ohne jeglichen Kompass. Ich würde sagen, dass die Galerie eine Art Plattform für das Museum ist - was sehr wichtig ist, denn wenn du dahin kommst, dass du in einem Museum ausgestellt wirst, ist das wirklich das Höchste, dann gehört deine Arbeit zum kulturellen Gut.
Die Galerie hat Kontakte und Beziehungen mit der internationalen Szene, sie ist der Vermittler und letztendlich ist sie auch die Verbindung zu internationalen Ausstellungen. Sie akkumuliert alle diese Bereiche, mehrere Faktoren, die dir einen Anstoß geben. In diesem Gewebe entwickelst du dich und wächst. Ohne Galerie ist es viel schwieriger. Ich sage nicht, dass die Tatsache, eine Galerie zu haben, ein eindeutiger Qualitätsbeweis ist, aber in jedem Fall ist Professionalität und Szenenpräsenz fast ausschließlich durch eine Galerie möglich.
Von allen deinen Arbeiten möchte ich am liebsten die Arbeit Heldinnen erwähnen, die mir ziemlich spannend erscheint. Sie beruht auf einer Art Porträts von Frauen, die der Öffentlichkeit zum Großteil unbekannt sind. Erzähle mir etwas mehr über diese Arbeit, die ein regelrechtes Work in progress ist - erzähl´ uns bitte, wie sie entstanden ist und in welcher Phase sie sich gerade befindet?
Heldinnen ist eine Arbeit, die auf die buchstäblichste Weise meine Verliebtheit in die Archivfotografie zeigt. Das Projekt ist eine Art von Archiv, und wiederum separiert es sich am meisten vom Archiv, da es nicht so buchstäblich ist, es kopiert nicht, sondern befasst sich mit der Transformation der Fotografie. Eigentlich entstand diese Arbeit, als ich durch das Gebiet des ehemaligen Jugoslawien reiste und mich im Rahmen des Elsa-Neumann-Stipendiums des Landes Berlin, unter dem Namen NaFöG bekannt, das ich in 2012/2013 erhielt, mit den Denkmälern der Volksbefreiungsarmee befasste. Dieses Stipendium erhalten die besten Studenten, nachdem sie den Meisterschülerabschluss erworben haben, und es ist für Künstler gedacht, die sich in bestimmten Künstlerbereichen spezialisieren möchten, d.h. die sich mit Forschungsarbeit zu einem bestimmten Thema befassen. In diesem Prozess, als ich viel gereist bin und Denkmäler besichtigt habe, wurde ich von diesem Kult des Heldentums, der Nostalgie und der Unmöglichkeit, die Geschichte territorial zu akzeptieren, gefesselt. Je mehr ich mir diese Denkmäler ansah, wo Tausende von Menschen begraben sind, kam ich dem Kult des einzelnen Helden immer näher. Danach kam ich im Museum „25. Maj“ in Belgrad mit den Heldinnen des Volksbefreiungskampfes in Berührung, mit der Liste und den Porträts von 91 ermordeten Frauen. Mich nahm gefangen, wie wunderschön sie waren, und wie wunderbar die Porträts von diesen schönen Frauen sind, die fast aussehen wie Schauspielerinnen oder Pin-up-Mädchen. Fast alle Fotos hatten diese 60er-Jahre-Ästhetik. Obwohl es keine erhaltenen Porträts mehr von ihnen gibt, hat mich das inhaltlich sehr fasziniert. Ich konnte sie keineswegs mitnehmen, mir wurde weder erlaubt, sie zu fotografieren noch sie zu kopieren, jedoch brannten sie sich in mein Gedächtnis ein. Sie waren alle sehr jung, als sie starben, und ihre einzelnen Geschichten bedeuteten mir mehr, als ein Denkmal am Sutjeska-Fluss mit einer Liste dieser Verstorbenen. Tatsache ist, dass Denkmäler oft zerstört wurden, Namensplaketten abgeschraubt wurden, an einigen Orten von Moslems, an anderen Orten von Kroaten oder Serben. . . Diese ethnische Trennung ist für mich unakzeptabel! Und wenn wir über Heldinnen sprechen, käme Nada Dimić als kroatische Heldin in Frage, und wäre dies auch denkbar für die Montenegrinerin Vukica Mitrović? Ich wollte alle zusammen ausstellen und malen, alle 91 von ihnen - ungeachtet dessen, welche von ihnen in Zrenjanin, welche in Podgorica, und welche am Pantovčak in Zagreb geboren wurde. Ich fand ihre Geschichte furchtbar, die in allen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens instrumentalisiert wird. Für mich ist es ein großer Fehler unseres Erbes, dass von fast hundert Frauen nur ein paar Namen bekannt sind.
Nach diesen Gesichtsausdrücken von Helden und Heldinnen weißt du nicht, wem sie gehören, solange du nicht die Namen kennst. Mir ging das so auf die Nerven, dass nur einige Namen akzeptiert oder als zu einem bestimmten Volk gehörend angenommen werden können, und ich wünschte mir Gleichberechtigung.
Ich wollte Diapositive entwickeln, und vor Ort verlangten sie von mir 60 Euro pro Foto, da sie verstanden hatten, dass ich an einem vom Berliner Senat finanzierten Projekt arbeitete. Natürlich - als ich einsah, dass ich diese Fotos nicht bekommen konnte, wuchs in mir die Wut, und ich fragte mich, wie man jetzt kein Plagiat machen, und gleichzeitig die Authentizität der Porträts bewahren kann. Wie kann man die Komplexität der Geschichte aus diesen Porträts zusammensetzen? Dann lud ich Kopien vom Internet herunter, druckte sie aus und begann, sie zu zerknittern, ich wollte zeitlich sehen, was mit diesem zerknitterten Papier geschieht, das an die architektonische Denkmalform der Volksbefreiungsarmee erinnert, wie zum Beispiel bei den Arbeiten von Bakić. Und da kam dieser Klick: dass dieses zerknitterte Papier eigentlich ein Monument an sich ist, wie ein Objekt. Dieses zerknitterte Papier schien die architektonischen Sozialismusformen durch stilisierte, gebrochene Gussbetonformen zu repräsentieren. Es war eine riesige Herausforderung für mich, das als Malerin zu machen, wobei ich gleichzeitig wusste, dass ich keine Porträts machen wollte. Deswegen malte ich die Bilder verkehrt herum, d.h. ich stellte sie auf den Kopf, damit ich nicht der Figuration folgte. Eigentlich malte ich den Schatten, denn alle diese Arbeiten existieren ohne Schatten nicht. Ich bin mir der Biografien dieser Heldinnen vollkommen bewusst und fühle folglich, dass dies nicht nur irgendeine Arbeit ist, sondern ein großes Projekt, das Verantwortlichkeit und eine eigene Einstellung zur Geschichte bedingt. Du hast einfach eine Verantwortung gegenüber diesem Erbe und eine Verantwortlichkeit gegenüber deiner Berufung als Künstler, so dass du in etwas hineintauchen und es erforschen möchtest. An ihnen ist meine Entwicklung und mein Prozess und dieser zeitliche Abstand sichtbar, da sie nicht gleichzeitig und auf gleiche Weise erarbeitet wurden. Diese Arbeit entwickelte sich, wie auch ich mich entwickelte, und sie entwickelt sich immer noch. Deswegen wird ein langer Zeitraum notwendig sein, um alle 91 fertigzustellen. Obwohl ich genau weiß, was ich mit jeder von ihnen machen möchte, möchte ich keineswegs diesen Stanz-Effekt (bei welchem jede gleich aussieht), sondern eine zeitliche Veränderung erreichen, sodass wie im Zeitraffer der zeitliche Verlauf und der Prozess der Entstehung sichtbar werden.
All diese Elemente des Erbes und des Krieges, des Vorkriegs, des Nachkriegs und von allem, was uns mit unserer Kindheit im Gedächtnis eingebrannt ist, kommen in diesem Berliner Kontext sehr häufig zum Ausdruck, von den Flohmärkten, dem visuellen DDR-Erbe und dieser Ikonografie bis hin zur Tatsache, dass die Stadt im touristischen Sinne überwiegend als Archiv und Speicher funktioniert. Fällt dir das auf?
Ja, das ist wie ein großer Spiegel, immer präsent. Sie versuchen ständig, sich selbst ihre Geschichte zu erklären, und es scheint mir, dass sie dies auf eine wirklich nüchterne Weise tun und sozusagen eine Objektivität erreichen, obwohl sich in den letzten zwei Jahren der Antisemitismus und Neonazismus wirklich verbreitet haben, was also trotzdem bedeutet, dass nicht jede Generation ein politisches Bewusstsein hat.
Jedoch gibt es in Berlin eine riesige Anzahl von verschiedensten Denkmälern, eine große Anzahl von russischen - mir scheint es aber so, dass niemand jemals daran denken wird, sie abzureißen, nur weil jemand einmal jemanden besiegt hat oder weil sie denken, dass Putin die EU gefährdet. Bei uns ist es gerade das Gegenteil: du hast das Gefühl, dass das gezeigt wird, was jemandem passt, und das Unerwünschte wird vertuscht. Denkmäler und Straßennamen werden gelöscht, sie geben sich Mühe, um den Leuten ihre eigene Vergangenheit aus dem kollektiven Gedächtnis und Erbe wegzunehmen.
Vielleicht wäre es gut, deine Arbeit mit Wandgemälden bzw. Mosaiken in Berlin zu erwähnen und zu beschreiben. Gerade das scheint mir hervorragend: dass wir die Unterscheidung zwischen sehr persönlich gebundenen Arbeiten, die wiederum thematisch ziemlich wichtig sind, und auf dem Archiv beruhen, und der Geschichte, die du hier aufgefunden hast, als konkretes Beispiel haben: dafür, dass du die Themen, die dich auf einer sehr persönlichen Ebene intrigieren, auch in einem ganz anderen Kontext entdecken kannst?
Ja, ja, das hast du wirklich sehr gut gesagt. Da ich mich systematisch mit dem Archiv befasse, konnte das keineswegs an mir vorbeigehen, ohne dass ich reagiere. Diese Mosaiken blieben mir noch aus dem Kindergarten in Erinnerung, ich erinnere mich auch heute noch an sie als etwas, das super war. Sie hatten einen handwerklichen Wert, und wenn ich dann sehe, dass jetzt, heute, jemand dieses Denkmal, das an der Fassade gemalt wurde, zerstören will, nur weil eine Gebäudeisolierung durchgeführt wird - das ist für mich total absurd. Das Buch, auf das ich mich berufe, Kunst in der Großsiedlung, Kunstwerke in öffentlichen Raum in Marzahn und Hellersdorf, 2009, ist eigentlich ein Archiv von solchen Riesenmosaiken, die sich hauptsächlich an Gebäuden im Berliner Viertel Marzahn befanden. Es handelt sich um ein wirklich brutal eindrucksvolles Wohnviertel. Hier hat sich die offensichtlichste Idee Corbusiers zu Anfang des humanen und effektiven Lebensstandards in der DDR zu einer regelrechten Katastrophe entwickelt. An den leeren Fassaden dieser riesigen bewohnbaren Titanics wurden Mosaiken angefertigt, die bei Paraden wichtig waren - um ein Bild, ein wichtiges Motiv und Thema zu zeigen. Motive waren oft Kinder, Blumen, Pioniere, Frauen... Das war für mich auch furchtbar interessant, dass es viele Frauen-Motive gab - diese unerwartete Gleichberechtigung, da im westlichen Teil die Einstellung zur Frau irgendwie vollkommen anders war: „Bleib zu Hause, werde Hausfrau und Mutter“.
Im Vokabular dieser Motive gefielen mir einerseits diese Frauen mit diesen befehlenden Gesichtern, und andererseits, dass alles wie ein Teppich der am Gebäude angebracht ist und die Fassade ergänzt, funktioniert. Das Gebäude ist ein typischer Kubus und dann hast du diesen Teppich, der für mich als ein Bild im öffentlichen Raum einfach total interessant ist. Wandgemälde gibt es heute kaum mehr, vor allem nicht mit solchen sozialen Kontexten, und als ich die Möglichkeit bekam, in dieser Galerie auszustellen, war das erste, das ich gesagt habe, dass ich etwas mit diesen Wandgemälden machen möchte, da es etwas ist, das mich sehr interessiert. Zum Glück existiert dieses Buch, in dem ich wirklich alle diese Mosaiken sehen konnte. Durch meine Arbeit wollte ich den Kontext zeigen und deswegen nahm ich auch Buchstaben aus dem Buch, damit man sieht, dass es ein Buchausschnitt ist, dass das eigentlich sozusagen wieder das Malen eines Archivs ist. Der Künstler ist jemand anderer, er lebt nicht mehr, und deswegen habe ich das spezifische Motiv und den Textausschnitt genommen. Zuerst habe ich diese Arbeiten in schwarz-weiß gemacht, und mir wurde sofort klar, dass sie ziemlich pathetisch sind. Dann habe ich eingesehen, dass Schwarz auch Weiß werden muss, dass die ganzen Bilder weiß sein müssen, wie eine Art von Verneinung der Übertragung, Rekontextualisierung. Ich arbeitete daran sehr lange und es war optisch furchtbar anstrengend, mit so hellen Farben zu arbeiten. Sie sehen so milchig aus, als wäre über ihnen ein Nebel, und das wollte ich auch eigentlich, dieses Verschwinden, diesen Zeitraffer - den Zeitpunkt, in dem die Bilder so hell werden, dass sie fast verblassen.
Mich interessiert noch, warum wir noch nie deinen Namen und deine Arbeiten bei einer Ausstellung in Kroatien gesehen haben? Habe ich Unrecht? Was denkst du - warum ist das so?
Was das Ausstellen in Kroatien betrifft, so habe ich eigentlich noch nie eine konkrete Anfrage bekommen. Ich habe mich bei manchen Ausschreibungen für Gruppenausstellungen beworben, aber ich glaube, ich habe nicht einmal eine Antwort auf meine E-Mails und Bewerbungen erhalten. Es ist mir nicht klar, warum das so ist, denn es scheint mir irgendwie logisch, wegen des Charakters meiner Arbeiten und der Themen, mit denen ich mich befasse - denn wo sonst soll ich all meine Bilder ausstellen, wenn nicht dort? Obwohl ich anmerken muss, dass sich diese Arbeiten in erster Linie auch auf die Ostblockländer im Allgemeinen beziehen. Sie sind als Ergebnis von hiesigen Untersuchungen entstanden, und in Kroatien würden sie einen neuen Kontext bekommen, der nicht ausschließlich an die DDR gebunden ist. Viele Motive, vor allem die Serie Blendung mit den Motiven unserer heruntergekommenen Fabriken, Bunker oder Ölleitungen, oder die Serie Heldinnen, würden so eine neue Interpretation bekommen, aber es scheint mir, dass niemand meine Arbeiten unabhängig von meinem Namen, der den Menschen in Kroatien nichts bedeutet, betrachtet hat, und das ist ein Problem. Ich habe später von vielen Kollegen erfahren, dass es häufig so funktioniert - wenn ihnen der Name unbekannt ist, sehen sie sich die Arbeit nicht näher an.
Das ist sicherlich nicht gut und ich hoffe bzw. ich bin mir sicher, dass dieses Interview dies zumindest ein wenig ändern wird. Kannst du mir am Ende noch sagen, wie du dich selbst auf der hiesigen Art-Szene siehst und wie zufrieden du mit dem bist, was du bisher erreicht hast?
Ich kann sicherlich sagen, dass ich froh bin, bei vielen kuratierten internationalen Ausstellungen angenommen worden zu sein und ausgestellt zu haben, an welchen internationale Künstler, die ich auch selbst bewundere, von einer Jury ausgewählt worden sind und teilnahmen. Für mich ist es sehr wichtig, an solchen Orten Anerkennung und eine gute Aufnahme zu finden.
Hier sehen sich die Kuratoren wirklich deine Arbeit an und sie interessiert wirklich der Kontext, aus dem sie entstanden ist. Für mich ist es gut, dass ich bisher auf ein paar Ausstellungen präsentiert wurde, bei welchen Kuratoren beteiligt waren, die wirklich eine Ahnung haben und hinter meiner Arbeit standen. Das hat mir die Kraft geschenkt, nicht aufzugeben.
Seit 2017 bin ich Mitglied des VdBK (Verein der Berliner Künstlerinnen), eines Berufsvereins für Künstlerinnen, der 1897 gegründet und u von Käthe Kollwitz und Paula Modersohn-Becker aufgebaut wurde. Diese Form von Anerkennung ist auch wichtig, genau wie das kontinuierliche Ausstellen. Jeder Künstler möchte eine Ausstellung haben und seine Arbeit zeigen. Das machst du nicht wegen dir selbst; du suchst ein Publikum und möchtest Kommunikation. Ich glaube nicht, dass irgendjemand nur arbeitet, um zu verkaufen, sondern du arbeitest, weil du das Bedürfnis hast, die Welt zu erklären. Ich halte die Arbeit eines Malers für Selbstreflexion. Das ist wie eine Art Beichte, häufig wird es sehr anstrengend und du fragst dich, ob du das Richtige tust. Du brauchst einfach ein Publikum, das kritisch ist - du stellst aus, um Kritik zu bekommen, die dir dann den Antrieb zur weiteren Hinterfragung gibt.
Ich bin stolz darauf, Anerkennung für meine Arbeit bekommen zu haben, unabhängig davon, wo ich geboren wurde und wo ich studiert habe. Ich glaube, dass ich sagen kann, es hier geschafft zu haben, und zwar als ein Niemand - ohne bekannte Eltern, ohne einen künstlerischen Kontext, eine Elite-Ausbildung oder einen starken Background. Das ist für mich der beste Beweis, dass alles seinen Sinn hat.