Kunst im offenen Feld von Bedeutung und Interpretation
Ein Interview mit der Multimedia-Künstlerin Ana Bilankov
In der fünften „Folge“ unserer Interviewreihe im Rahmen des Dia:Forme-Projektes führte ich ein Gespräch mit Ana Bilankov. Diese multimediale Künstlerin hat von allen unseren bisherigen „Berliner“ Gesprächspartnerinnen definitiv den längsten Aufenthalt und die längste Dienstzeit in Berlin – sie zog nämlich nach Berlin vor nahezu 20 Jahren. Ihre Arbeit zeichnet sich durch betonte Multimedialität aus und ihr Opus schuf sie in den Medien Fotografie, Video und Experimentalfilm sowie künstlerische Installationen und Text. Wie im Folgenden zu lesen ist, ist gerade die textliche Artikulation ihrer Überlegungen und Konzepte als ein untrennbarer Teil ihrer Kunstwerke überaus wichtig und unumgänglich bei ihrer Wahrnehmung. Deshalb werden die Ausführlichkeit und die detaillierte Ausarbeitung in Anas Antworten wahrscheinlich nachvollziehbar sein. In diesem Gespräch versuchten wir, eine Reihe wichtiger Themen abzuhandeln, in denen uns die Künstlerin fast von Anfang an von ihrem deutschen bzw. Berliner Prozess, ihrer künstlerischen Entwicklung sowie den Kontexten und Situationen, die sie spannend findet, erzählte. Dabei konzentrierte sie sich auf die in Berlin entstandenen (oder von der Stadt inspirierten) Werke sowie Werke, an denen sie gerade arbeitet, aber auch auf gegenwärtige Projekte, die sie kürzlich in inländischen Galerien ausgestellt hat. In den zwanzig Jahren, seit Ana Bilankov Berlin als ihre Basis und Wirkungsstätte definiert, hat sich viel verändert, sowohl in der Berliner Kunstszene als auch in der Stadt selbst. Was noch interessanter ist, sind sicherlich die bürokratischen Umstände, die heute für „Künstler in Migration“ fast gar kein Problem mehr darstellen, doch ehemaligen Migranten aus Kroatien das Handeln tatsächlich erschwert haben. Im Folgenden wird darüber hinaus auch von der Bedeutung von Poesie und Politik für ihre Arbeit, Displacement als Komfortzone sowie Träumen als Auslöser die Rede sein.
Fangen wir von Anfang an. Da du die längste Dienstzeit von unseren bisherigen Berliner Gesprächspartnerinnen im Rahmen des Dia:Forme-Projektes hast, kann man sagen, dass du eine Pionierin unter allen inländischen Künstlern und Künstlerinnen bist, die hier leben und arbeiten. Wie ist es dazu gekommen, dass Berlin zu deiner Heimat und Basis wurde?
Ana Bilankov: Berlin wurde zu meiner Basis Ende 1999, als ich am Institut für Kunst im Rahmen der Universität der Künste ein Postgraduierten-Studium aufgenommen habe. Es war eine lange Reise vom jugendlichen Traum eines Zagreber Teenagers, der davon träumte, eines Tages dorthin zu gehen, wo „alles geschieht“, bis hin zum Sich-Niederlassen bzw. zur Versetzung in diese Stadt. Ich war fasziniert von den damals progressiven und avantgardistischen Kulturereignissen der zweiten Hälfte der 80er Jahre, wie dem Wirken der Neuen Wilden in der Malerei oder dem kompromisslosen Spiel der Einstürzenden Neubauten mit Pressluftbohrern und verschiedensten anderen Gegenständen. All dies stand im Zusammenhang mit meiner damals „existenzialistischen“ Identifikation, beispielsweise mit der Adaption des Dramas Die Hamletmaschine von Heiner Müller, das im Jahr 1989 uraufgeführt wurde, also kurz vor dem Mauerfall, oder mit dem Film Der Himmel über Berlin von Wim Wenders aus dem Jahr 1987. Im selben Jahr nahm ich, meiner Intuition folgend, das Studium der Kunstgeschichte und Germanistik an der Philosophischen Fakultät der Universität Zagreb auf.
Mithilfe eines DAAD-Stipendiums im Rahmen des Austausches der Universität Zagreb und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz kam ich Ende 1992 für zwei Semester nach Deutschland. Nach Ablauf des Stipendiums wollte ich länger in Deutschland bleiben und so fing ich an, alle möglichen Jobs anzunehmen, um zu überleben, und parallel dazu meine letzten Prüfungen und die Diplomarbeit für Zagreb vorzubereiten. Im Jahr 1993 reiste ich zum ersten Mal nach Berlin, das damals tatsächlich den Vorstellungen entsprach – verdreht und in allen Tönen, der Osten und der Westen am gleichen Ort, von der Trabant-Tour mit einem Bekannten um den Alexanderplatz herum, ausgefallenen Clubs in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte, die heute unter den Touristen sehr beliebt ist, bis hin zum Kult-Literaturcafé neben Ku'damm und dem Film Eraserhead von David Lynch, der Punkt Mitternacht im Kant Kino zu sehen war.
Und dann, drei Jahre nach dem ersten scharfen Schnitt, als der Krieg begann, ereignete sich ein weiterer schicksalhafter „Schnitt“ in meiner Biografie, als mein Bruder auf tragische Weise starb. Zu diesem Zeitpunkt drehte sich mein Leben um 180 Grad und das Einzige, das einem noch übrig bleibt, ist die Suche nach neuen Wegen, so kopfüber laufen zu lernen. Nachdem ich einige Zeit in Zagreb verbrachte, konnte ich mein Diplom erwerben und nach Mainz zurückkehren. Alle bis zu diesem Zeitpunkt „normalen“ Gegebenheiten, die intellektuellen und diskursiven Überlegungen, all dies funktionierte nicht mehr für mich und wirkte sogar absurd und sehr fremdartig in dieser Phase. Und dann geschah die Kunst, aber nicht mehr theoretisch wie damals, sondern aus einem anderen Blickwinkel. Auf der Suche nach einem neuen Raum für die eigene Artikulation begann ich, mich seriöser mit Fotografie zu beschäftigen. Ich entdeckte eine dunkle Kammer, wo ich nächtelang mit schwarz-weißen Realitätsfragmenten in abstraktesten geometrischen Formen experimentierte und nahm das Fotografie-Studium an der privaten Wiesbadener Freien Kunstschule mit einem vom Bauhaus inspirierten Programm auf. Zu diesem Zeitpunkt, also in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, entstanden auch meine ersten Ausstellungen. Das war auch die Genesis meiner Verwandlung von der Theoretikerin zur Praktikerin, bzw. zur Künstlerin und als solche wurde ich in das bereits genannte postgraduale Studium in Berlin aufgenommen.
Ich finde die Tatsache interessant, die du bereits hervorgehoben hast, und zwar dass du in Berlin gelebt und deine Karriere begonnen hast, lange bevor dieser Prozess durch den EU-Beitritt Kroatiens bürokratisch vereinfacht wurde. Heute ist es für deine Kollegen wahrscheinlich undenkbar, aber du hast einen buchstäblich migrantischen Kontext erlebt, sogar mit der Möglichkeit der Abschiebung und Auseinandersetzung mit echten rechtlichen Problemen. Die Reaktionen auf diese Bedingungen und Ereignisse sind natürlich in einigen deiner Werke sichtbar. Wie siehst du das heute und wie wichtig war diese Erfahrung für dein Opus?
In Berlin habe ich leider das gesamte migrantische Hard-Core-Paket erlebt. Das war der Anfang des Jahres 2000, als die deutschen Ausländerämter die letzten verbliebenen Flüchtlinge aus Kroatien und Bosnien zurückwiesen. Ich war auch „zufällig“ hier mit meinem kroatischen Pass, der damals einem afrikanischen oder nahöstlichen Pass gleichwertig war. Mir wurde ein vorläufiges Dokument erteilt und mitgeteilt, dass mir der Termin der Abschiebung gemeldet wird, denn es käme nicht in Frage, dass ich jetzt noch etwas in Berlin studiere. Der Ausdruck Abschiebung klingt in der deutschen Sprache so schrecklich, dass ich zuerst dachte, etwas Falsches gehört zu haben. Das passiert doch nur anderen und nicht mir und darüber konnte ich nur in der Zeitung lesen. Und dann begann ein anstrengender Aufenthalts- und Existenzkampf mithilfe meiner Professoren von der Berliner Universität der Künste, die glücklicherweise politisch links orientiert waren und mich „retten“ wollten. Sie schrieben Briefe und begleiteten mich dorthin, da ich wegen dieser rassistischen Torturen unter Schock war. Nach einigen Monaten jedoch wurde irgendwie eine Einigung auf Chefebene der Universität der Künste und der Berliner Ausländerbehörde erzielt.
Nach dem Abschluss des Studiums war der nächste große Schritt, ein Künstlervisum zu bekommen. Im deutschen Recht gab es eine Klausel, die besagte, dass Künstler, Köche, Sportler und ähnliche Einzelpersonen eine Aufenthaltserlaubnis bekommen können, wenn nachgewiesen wird, dass ihre Qualifikationen einzigartig und wichtig sind und sie dabei in erster Linie keine Konkurrenz für die deutschen Staatsbürger sowie für alle anderen arbeitslosen EU-Bürger auf dem Arbeitsmarkt darstellen. Etwa zehn renommierte deutsche Kulturinstitutionen, mit denen ich bis dahin zusammengearbeitet habe, schrieben über meinen einzigartigen und wichtigen Beitrag zum deutschen kulturellen Umfeld. Aufgrund dieser Briefe konnte der Berliner Kultursenat lediglich eine Empfehlung geben, dass mein Aufenthalt und künstlerischer Beitrag für die Berliner Kulturszene wichtig sind. Erst aufgrund dieser Empfehlung kann von der Ausländerbehörde ein Künstlervisum ausgestellt werden, jedoch nur, wenn man genügend Finanzmittel, Verträge und Ähnliches vorweist, mit denen man sich finanzieren wird. Und das ist in unserer Branche nicht gerade einfach. Dieses Visum musste ich jedes Jahr oder alle zwei Jahre verlängern. Man lebt also dauerhaft unter diesem Damoklesschwert und man ist sich nicht sicher, ob man das nächste Mal bleiben darf oder abgeschoben wird. All diese Jahre waren sehr stressig und destabilisierend, diese Unfähigkeit, sich am gewählten Ort „niederzulassen“. Und so lebt man ständig zwischen diesen beiden Möglichkeiten: I am leaving/arriving. So heißt auch eine meiner Fotoserien, die in den Jahren 2000/2002 entstanden ist und in der ich in einem Chiaroscuro-Ambiente meines damaligen Zimmers meine Koffer packe und weggehe/ankomme. Dies dauerte bis 2008, als ich eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung bekam.
All das Erlebte stellt natürlich das „Arbeitsmaterial“ bzw. das Footage-Material für meine Kunstwerke dar. Das beschriebene Setting des Verhörraumes, in dem über dein Schicksal entschieden wird, habe ich beispielsweise während der KulturKontakt-Residenz in Wien 2008 in unserem damaligen Atelier gefunden. Indem ich tagelang mit einer Kamera den klaustrophobischen Raum zwischen den Gebäuden mit offenem Himmel an der Spitze abgebildet und eine Parallele mit meinem subjektiven, physischen und inneren Raum in der poetischen Geschichte im Hintergrund gezogen habe, entstand das Video A Story. Dieses Video wurde im selben Jahr, zu meiner großen Freude, mit dem ersten Preis der Revue des kroatischen Film- und Videoschaffens (kroat. Revija hrvatskog filmskog i videostvaralaštva) in Zagreb ausgezeichnet. Das war damals wirklich eine Überraschung für mich, denn es handelte sich um das erste Video überhaupt, das ich auf Drängen des Cutters zu einem Filmfestival geschickt habe und das als etwas Wesentliches auch in diesem Filmkontext erkannt wurde. Bei dieser Gelegenheit nannte mich der Filmkritiker und Philosoph Marijan Krivak in seiner Rezension „Dichterin der Filmsprache“. Für mich bedeutete dies zugleich einen wichtigen Durchbruch in Bezug auf die Erweiterung des Handlungsfeldes und in Richtung der Welt des Experimentalfilms. Es fühlt sich großartig an, wenn man plötzlich sein Video auch auf der großen Leinwand eines Kinosaals sieht.
Sowohl du als auch deine Kollegen, die über deine Arbeit schreiben, betonen oft die Poesie als eines der Merkmale deiner Werke, trotz ihrer Experimentierfreudigkeit und Gegenwärtigkeit. Du hast den ganzen Prozess der Existenz innerhalb äußerst links orientierter Kollektive und Umgebungen in einer Phase deiner Ausbildung und Karriere erwähnt. Außerdem hast du erwähnt, dass Poetik hier oft als bourgeois betrachtet wird. Mich interessiert dein Kommentar dazu. Muss unbedingt die Formel Politik gegen Poetik lauten und bist du der Meinung, dass politisch gestaltete Kunst a priori weniger kommerziell ist?
Ich denke, dass Poesie keineswegs der Experimentierfreudigkeit und Gegenwärtigkeit widerspricht, ganz im Gegenteil. Meiner Meinung nach wird sich Poesie als ein wichtiger Wert und eine Kategorie aufdrängen, damit sie dieses gegenwärtige digitale Eiltempo und die pünktliche repräsentative Oberflächlichkeit ausbalanciert, gewürzt mit katastrophalen wahren und falschen lokalen und internationalen Nachrichten (Fake News), die wir täglich konsumieren. Und wir fühlen uns mehr und mehr leer und passiv, isoliert und unverbunden auf menschlicher / humaner Ebene.
Die Poesie ist still und schweigsam, sie ist ständig irgendwo in den (Zwischen-)Räumen um uns herum, sie ist unsichtbar und schüchtern und deshalb muss man wach sein, denn sie muss gesehen, erkannt und aufgewühlt werden. Sie entzieht sich auch oft Erklärungen, genau wie jetzt. Die Besucher meiner Ausstellungen oder Screenings können sie mit ihren Gefühlen und Sinnen erleben, denn die Poesie kommuniziert auf diese Weise, sie ist subtil. Sie werden sich vielleicht in meinen Werken wiedererkennen, in ihre inneren Welten schauen und sich Fragen über dieses oder jenes stellen.
In meinen Artist's Statements schreibe ich über die Bemühung, Poetik mit Politik bzw. die poetische Form mit engagierten Inhalten zu verbinden, und bin immer auf der Suche nach neuen Antworten. Es ist keine leichte Aufgabe und ich befinde mich wieder in diesen hybriden Zwischenräumen. Aber findet die Kunst nicht gerade in diesem Zwischenraum, diesem offenen Bedeutungs- und Interpretationsfeld statt?
Die Politik ist natürlich auch als Hintergrund meiner Projekte wichtig, da diese größtenteils auf der Erforschung bestimmter aktueller geopolitischer und historischer Schichten eines bestimmten Milieus basieren, in denen sie entstehen. Die Politik ist laut, sie schreit, sie ist durchdringend und vorteilhaft, oft aber auch wortgetreu. Explizite politische Kunst ist en vogue. Diesen Eindruck habe ich zumindest in Berlin, dieser politisch äußerst korrekt gesinnten Atmosphäre, was einerseits positiv ist, andererseits aber manchmal zu fiktiv ist und jeden Sinn für Humor vernichtet. In einem solchen Kontext kann die subjektive poetische Geschichte das Siegel einer „bourgeoisen“ Geschichte bekommen, weil sie „die Welt nicht direkt rettet“.
Ich habe meine Berliner Anfänge und mein „Heranwachsen“ in den linksorientierten Kulturkreisen erwähnt, am meisten repräsentiert durch mein Engagement im Künstlerkollektiv und der Initiative zur Mediation zeitgenössischer Kunst Kunstcoop©, die von 2000 bis 2002 im Rahmen des Kunstvereines und der Galerie Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in Kreuzberg wirkte. Die Gruppe setzte sich aus sieben Künstlerinnen vom Institut für Kunst im Kontext zusammen. In dieser Zeit haben wir etwa vierzig Projekte realisiert – von theoretisch-praktischen Workshops über Kunstgespräche bis hin zu performativen Vorträgen und partizipativen Kunstprojekten in der Öffentlichkeit, die sich meistens auf aktuelle sozialpolitisch engagierte Ausstellungen bezogen haben, und zwar vorwiegend mit dem nicht-künstlerischen Publikum. Unsere Arbeit haben wir als eine Bereicherung der Kunst durch den Beitrag von Personen verschiedenster sozialer Schichten wahrgenommen, wodurch wir eine Kommunikation nach außen und innen bzw. aus dem Kunstsystem und zu ihm geschaffen haben. Daraus entstanden ein Buch und eine Website mit der Dokumentation sämtlicher Projekte, die mittlerweile zur Pflichtliteratur für Künstler und Theoretiker geworden ist, die sich mit der Mediation zeitgenössischer Kunst beschäftigen.
Diese Erfahrung war sehr wichtig für mich und tatsächlich haben wir es – bahnbrechend und damals noch voller Ideale vom „Aufbrechen des White Cube“ – geschafft, die Grenzen ein wenig zu verschieben und den „educational turn“ im deutschen Kultursystem angesichts der späteren größeren Finanzierung solcher Projekte zu antizipieren. Mehrere Kolleginnen aus der Gruppe haben später wichtige theoretische Beiträge zu diesem Diskurs geleistet, während ich meine eigene Kunstproduktion fortsetzte, weil diese für mich wichtiger war.
Um zu deiner Frage zurückzukommen: Ich habe nichts gegen „Kommerzialismus“, wenn die Kunst gut ist, unabhängig von ihrem Omen. Fast jeder Künstler möchte seine Werke verkaufen. Irgendwann brauchte ich einen amerikanischen Impuls durch mehrere Residenzen, um zu verstehen, dass das völlig in Ordnung ist, denn Berlin hat mir das leider nicht beigebracht (in der erwähnten Szene waren das Kaufen und Verkaufen von Kunst fast ein Tabu). Für Berlin wäre es wünschenswert, viel mehr private und institutionelle Käufer zu haben.
Deine Karriere bzw. dein Werk zeichnen sich durch die Tatsache aus, dass sie oft im Rahmen von Residenzen, an denen du teilgenommen hast, entstanden sind – von Stipendien des Senats von Berlin bis zu einer Reihe vorübergehender internationaler künstlerischer Aufenthalte von Moskau bis New York. Dieses Displacement ist sicherlich eine der Eigenschaften und ein gemeinsames Merkmal einer großen Anzahl deiner Werke. Können wir sagen, dass die Residenzen und Versetzung für dich eine Art Komfortzone sind?
Die Versetzung als eigene Komfortzone – klingt absurd, ist aber tatsächlich so. Man springt immer wieder in dieses unbekannte kalte Wasser und schwimmt, im Freistil… Für mich ist jede Residenz eine Herausforderung und eine kreative „Kluft“, in der neue Ideen entstehen. Diese Versetzung, in der der Prozess des Suchens, Findens und Verlierens des Leitfadens und wiederum des Findens und Suchens des gewissen Etwas beginnt, ist interessant und intensiv, aber nicht immer angenehm, weil man sich mit den Teilen seines entblößten Ich auseinandersetzt, außerhalb seiner Basis und alltäglichen Routine, die man gerade verlassen hat. Dies alles impliziert sowohl die organischen Phasen der Zweifel als auch der partiellen Misserfolge, die einen wesentlichen Teil des Prozesses ausmachen. Bei einem Vortrag im letzten Jahr in Berlin war ich sehr erfreut darüber, aus dem Mund einer großen Dame, Laurie Anderson, zu hören, wie sie gerade diesen absurden Moment nennt, in dem man intensiviert in den Residenzen verweilt. Während ihres Aufenthalts in der NASA begegnete sie beispielsweise hochrangigen Wissenschaftlern, die auch etwas suchen, aber nicht wissen, was. Oder sie irrte wochenlang durch die österreichische Provinz auf der Suche nach einer Idee und der Kurator wollte natürlich möglichst schnell die Antwort auf die ewige Frage bekommen: „What is your idea/project about?”.
Mir ist klar, dass Berlin als Stadt ebenfalls deine Arbeit direkt beeinflusst, was in den Fotoprojekten Night Cities Series und Without Title (Berlin Teufelsberg) oder dem Video Blue Black Berlin sichtbar ist. Inwieweit ist die Stadt auch nach so vielen Jahren faszinierend und inspirierend für dich und in welchem Maße erlaubt dir Berlin immer noch das Displacement und eine gewisse natürliche Reaktion eines Autors angesichts seiner Größe und ständigen Veränderungen?
Berlin ist mir wichtig wegen seiner Aufrichtigkeit und manchmal Dreistigkeit, seiner „leeren Plätze“ einer dumpfen und ausgelöschten Vergangenheit an Orten inmitten der Stadt, wo einst die Mauer stand und wo ich mich lang umsehen konnte, wenn das für mich nötig war, welche aber jetzt allmählich verschwinden. Berlin duldet weder Affektiertheit noch Illusionismus. Wer hierher kommt, um großzutun oder etwas vorzuspielen, wird abgestoßen. Hier gibt es keinen Erfolg über Nacht, man muss Stein für Stein täglich zusammentragen. In dieser Hinsicht ist die Stadt oft derb, und sie legt einem herausfordernde Hindernisse in den Weg, um den Willen und die Beharrlichkeit zu testen. Manchmal ist sie immer noch erstaunlich, immer weniger retro und oft nicht sexy. Der Pluralismus und die Gedankenfreiheit sowie Tausende von Künstlern, die hierher kommen, um zu leben und dadurch schöpferische Kraft zu schaffen, aber auch eine enorme Konkurrenz auf dem Kunst- und Kulturmarkt darstellen, machen diese Stadt ebenfalls aus. Sie wird zunehmend den Touristenscharen ausgesetzt, die hierher kommen, um Partys zu machen. Dadurch ändert sich die ganze Stadt, sie verwandelt sich in eine Jugendherberge und wird kapitalisiert, während die revolutionären Kräfte glücklicherweise immer noch nach Bedarf mobilisiert werden können, wie bei der kürzlichen großen antirassistischen Demonstration. Beim zuletzt Genannten überwältigt mich immer wieder der Stolz, eine Berlinerin zu sein und das gibt mir die Kraft, weiter zu machen. Manchmal fühle ich mich nämlich isoliert und desillusioniert, als ob ich mich immer in einer Ausgangs- bzw. Nullposition befinden würde, in der Masse dieser Schöpfer um mich herum untergegangen bin oder mich nicht von der Stelle rühren würde. Oder als ob ich vor dieser unsichtbaren Wand stehen würde.
Ich denke, dass du als Erste die erstaunliche Tatsache erwähnt hast, dass die Zahl der Künstler, die in Berlin tätig oder ansässig sind, sogar 20.000 beträgt! Ich glaube, dass dies für jeden, und besonders für die Leute aus der inländischen Szene, eine gewisse Realität in die Situation bringt und diese Dynamik und die Größe der Kunstszene gut erklärt, gleichzeitig jedoch über ihre Vielfalt in jedem Kontext spricht. In welchem Maße ist eine solche Umgebung wichtig, inspirierend oder anstrengend für dich? Oder ist sie bereits real für dich?
Ich habe gerade die Zahlen überprüft und festgestellt, dass die Information über 20.000 professionelle Künstler, die in Berlin ansässig sind, schon mehrere Jahre alt ist, sodass davon auszugehen ist, dass diese Zahl jetzt viel größer ist. Genauere Daten aus dem letzten Jahr fand ich nur für die Zahl der bildenden Künstler, die auf etwa 10.000 geschätzt wird. Diese Zahl ist ebenfalls sicherlich höher, weil hier nicht alle, sondern nur offiziell registrierte Künstler verzeichnet sind.
Die Szene ist riesig, abwechslungsreich, partikularisiert und ständigen Veränderungen ausgesetzt. Die Menschen sind vorwiegend in kleineren Kreisen um „ihre“ kulturellen Einrichtungen versammelt, bzw. nach Interessen oder Standorten gruppiert, wobei sich diese Szenen oft nicht überschneiden. Ich bin eher eine unabhängige Spielerin, die gern Einblick in mehrere Szenen hat und nicht unbedingt zu einer bestimmten Szene gehören möchte. Oft wünsche ich mir jedoch das Gegenteil, mehr zu etwas Konkretem zu „gehören“, weil es für mich einfacher wäre. Es ist nicht einfach, ohne die hiesige institutionelle Unterstützung von Museen und Galerien sowie Kuratoren alleine als Künstler auf der Bühne zu tanzen und deine Arbeit in der zunehmenden Überproduktion von allem und jedem um dich herum zu fördern, was ein unvermeidlicher und wichtiger, aber äußerst undankbarer Teil der Arbeit ist. Eigentlich halte ich es für nötig, dass sich einige wichtige Dinge ändern, mehr im Sinne einer Team- und Zusammenarbeit und zumindest einiger teilweise institutioneller Rahmenbedingungen, und dass ich in diesem komplexen Prozess der künstlerischen Produktion nicht die ganze Arbeit alleine machen muss. Denn täglich sowohl den eigenen Handlungsrahmen als auch das „Bild“ selbst bzw. das Wirken zu gestalten, also gleichzeitig Produzent, Organisator / Manager, Akquisiteur, Finanzier, Promotor und, das Wichtigste zuletzt, auch Autor von neuen Ideen und Werken zu sein, ist eine sehr anstrengende und in der Tat eine nicht nachhaltige Position geworden. Natürlich ist es für mich inspirierend und selbstverständlich, kleinere oder größere Veranstaltungen wie die Berlinale, Berliner Biennale oder Transmediale, wo sich die ganze Welt versammelt, zu besuchen sowie Teil davon zu sein.
Als ich die Zahlen für die vorangegangene Frage überprüft habe, habe ich auch die neueste, in diesem Jahr veröffentlichte Studie gefunden, die auf Umfragen basiert und die bestätigt, was ich immer wieder sage, mir aber die Menschen, insbesondere aus Kroatien, nicht glauben: in Berlin ist es sehr schwierig, von Kunst und kreativer Arbeit zu leben und die Situation ist für mich wie auch für andere Tausende von Künstlern äußerst unangenehm. Eine Umfrage des Bundesverbandes Bildender Künstler Berlin zeigt, dass nur jeder zehnte Künstler in Berlin von seiner Kunst leben kann. Und dann liegt auch noch das Einkommen von diesen 10 % unter dem durchschnittlichen deutschen Jahresgehalt. In all dem sind die Künstlerinnen leider noch benachteiligter, weil sie im Schnitt weniger als ihre männlichen Kollegen verdienen und auch weniger Einzelausstellungen haben.
Ich möchte nicht behaupten, dass es in Kroatien besser oder schlechter ist, aber dort gibt es immer noch eine Art von kontinuierlicher Unterstützung für Ausstellungen, Projekte, Bücher und Ähnliches, und zwar auf Staats- und Stadtebene sowie auf Ebene einiger Stiftungen. In Deutschland werden nur große Projekte ab 200.000 Euro aus dem enormen staatlichen Kulturbudget finanziert und als Künstler/in kommt man ohne die Unterstützung einer größeren Institution nicht an dieses Geld. Die unabhängige Berliner Kunstszene kämpfte jahrelang darum, dass das Geld aus der neu eingeführten Touristensteuer, die von den genannten Touristenhorden gesammelt wird, nicht im Finanzkrater des Humboldt-Forums und des neuen Stadtschlosses endet, sondern ein Teil davon auf Berliner Künstler verteilt wird, auf die diese Stadt so stolz ist und auf denen sie ihr Marketingimage aufbaut. Tatsächlich gelang es ihnen, einen Teil dieses Geldes beispielsweise in Forschungsstipendien des Berliner Senats für Kultur und Europa zu stecken, denn die künstlerische Unterstützung Berlins als Stadt ist im Vergleich zu einer großen Anzahl von Künstlern außerordentlich begrenzt. Ich kann mit Stolz sagen, dass auch ich einen Teil dieses Kuchens letztes Jahr bekommen habe, und zwar für die Forschungsarbeit zum neuesten Projekt.
Die Präsenz in Kroatien ist mir ebenfalls wichtig, weil die Szene sehr klein und übersichtlich ist. Hier hat man einen „Namen“. Wenn man eine Einzelausstellung oder ein Screening macht, ist man in zwei Tagen bekannt: sowohl im Fernsehen und Radio als auch in den Zeitungen, die darüber schreiben. Das kann man in Berlin nicht haben. Wird doch mal ein Artikel mit einem großen Foto des eigenen Werkes und einem Text über die ganze Seite der Berliner Zeitung veröffentlicht, was einmal mit einer Ausstellung in einer Galerie in Berlin Mitte der Fall war, dann ist das ein Präzedenzfall. Aber auch das bringt später nichts. Man sollte diese Art von „Anonymität“ und immer wieder die Ausgangs- bzw. Nullposition lieben lernen, denn vielleicht treibt diese einen voran…
Dieses parallele Wirken in Kroatien ist nicht nur meine eigene, sondern auch die Strategie der meisten in Berlin lebenden Künstler, die zum Teil aus Projekten, Galerien oder Jobs in ihren Heimatländern (oder in Westdeutschland) finanziert werden. Doch mein Mutterland ist leider kein reiches Land der „westlichen Welt“ mit der ganzen funktionierenden institutionellen, strategischen, repräsentativen und finanziellen Lobby, die einen auf dem internationalen Kunstmarkt „vermarktet“. Man ist alleine, der weibliche „Kämpfer“ inmitten eines nicht gerade feinfühligen Systems. Manchmal jedoch bekommt man die finanzielle Unterstützung und Genugtuung, dass man seine Werke in einem der renommierten Ausstellungsräume in Kroatien ausstellen kann.
Unter dem „Brand“ eines Künstlers aus Kroatien zu wirken, ist übrigens leider überhaupt nicht so begehrenswert auf dem aktuellen internationalen Kunstmarkt. Es sei denn man beschäftigt sich explizit mit „postkommunistischen“ Themen oder ist im Bereich der sogenannten West Balkan Art tätig, für die ich nicht genau weiß, was es ist. Doch meine Arbeit kann nicht in diese Schublade gesteckt werden. Jetzt, als Künstler, kommt man besser an, wenn man beispielsweise aus arabischen Ländern oder aus Afrika kommt, denn nach Berlin kommt erst jetzt der postkoloniale Diskurs, wie in der letzten Biennale für zeitgenössische Kunst zu sehen ist. Dieser Diskurs steht mir seit Langem nahe, noch seit meinem ersten ernsthaften Video Sweet Home aus dem Jahr 2002, das im Kontext von Bristol, England, entstanden ist. Darüber schrieb ich auch im Rahmen meiner Magisterarbeit an der Universität der Künste und damit beschäftigte ich mich intensiv durch vorbereitende Bildungsblöcke für die Documenta XI in Kassel vom Kurator Okwui Enwezor, bei der ich Führungen und Vorlesungen hielt.
Deine letzte kroatische Ausstellung fand vor zwei Monaten im Multimedialen Kulturzentrum (MKC) in Split statt. Erzähl uns ein wenig mehr über diese Ausstellung und die Werke, die du dort gezeigt hast.
Die Ausstellung unter dem Namen Smiling Sun wurde nach der neuesten zweikanaligen Videoinstallation benannt und sollte als Überblick über meine aktuellen multimedialen Werke dienen, die während meiner Residenzaufenthalte in New York entstanden sind. Wie auch sonst typisch für meine Werke, hinterfrage ich auch in diesen Videos, Fotografien und der Installation die Phänomene der Identität, des Ortes und der Zeit (sowohl spezifisch als auch abstrakt) sowie individuelle, kollektive und psychogeographische Erinnerungen.
Die Idee für das neueste Werk Smiling Sun entstand während der Residenz in der Pioneer Works-Stiftung in New York im Jahr 2015, wo ich an der Erforschung der Geschichte des Kreuzfahrtschiffes arbeitete, das als Galileo Galilei in Genua im Jahr 1961 „geboren“ wurde. Nachdem es während seines Lebens mehrmals Namen, Eigentümer und Kontinente sowie die Geschlechtszugehörigkeit (angesichts der grammatischen Vielfalt der Sprachen) änderte, wurde das Schiff im Jahr 1999 in den Gewässern Indonesiens versenkt. Meridian, das dritte Schiff in einer Reihe seiner Identitäten, war das erste Promi-Kreuzfahrtschiff, das entlang der Route New York – Miami – Karibische Inseln segelte und an dem einst auch mein Bruder in der letzten Phase seines Lebens arbeitete. Auf diese Weise umfasst die Geschichte des Schiffes auch die Dimension der eigenen persönlichen Geschichte und des Verlustes.
Deine letzte Zagreber Ausstellung mit dem Titel Prostori, priče, geografije ili (Ne)mogućnost jedne knjige (Räume, Geschichten, Geographien oder (Un)Möglichkeit eines Buches), die Ende 2017 stattfand, artikuliert eigentlich eine ziemlich bizarre Situation, die mit der Finanzierung von kulturellen Projekten verbunden und meiner Meinung nach in vielen Bereichen der Kultur in Kroatien ständig präsent ist. Erzähle den Lesern ein bisschen mehr über das Konzept der Ausstellung und das Buch und sag mir bitte, ob die Ausstellung selbst etwas bewirkt und verändert hat - können solche Aufrufe, egal wie „still“ diese sind, Änderungen beeinflussen?
Die Ausstellung am Institut für zeitgenössische Kunst in Zagreb war als eine Auswahl meiner Fotos aus dem Buch Spaces, Stories, Geographies / Prostori, priče, geografije (Räume, Geschichten, Geographien) sowie dessen Vorstellung geplant. Es handelt sich gleichzeitig um ein künstlerisches Buch und eine Monographie meiner Werke der letzten zwanzig Jahre, die in einer nicht chronologischen Reihenfolge und in der Ästhetik des Experimentalfilms in zehn Kapiteln geordnet sind, zusammen mit theoretischen Texten der renommierten Kunsttheoretikerin und zugleich Mitredakteurin Leonida Kovač sowie des Filmkritikers und Philosophen Marijan Krivak. Und das alles in einem sehr originellen Design von Ivana Vučić (Hamper Studio), die in der Endphase ebenfalls die Rolle der Mitredakteurin übernahm. Das Buch hätte Ende letzten Jahres erscheinen sollen, denn nach mehrjähriger Arbeit und verschiedenen Versuchen, finanzielle Mittel zu sammeln, war es endlich möglich, dieses zu drucken.
Und dann kam es leider zu einer Wende in der Zusammenarbeit mit einem angesehenen Zagreber Verleger, mit dem ich früher jahrelang geschäftlich zusammengearbeitet habe, indem ich ihm Fotos für das Cover seiner Bücher gab, und mit dem ich auch befreundet war. Von Anfang an war sowohl mir als auch ihm klar - und es wurde auch laut ausgesprochen - , dass von meinem künstlerischen Buch niemand Gewinn machen wird, weil es ein teures und exklusives Produkt ist. Dementsprechend hätte das Buch in einer kleineren Auflage gedruckt werden sollen, soweit es die finanziellen Mittel zuließen. Doch als letztes Jahr die Zeit kam, das Buch mit den dafür vom Kulturministerium der Republik Kroatien und der Stadt Zagreb genehmigten zweckgebundenen Geldmitteln endlich zu drucken, teilte mir der Verleger mit, dass er „an diesem Projekt nicht mehr interessiert ist“.
Das Buch konnte also nicht gedruckt werden und seine geplante Vorstellung verwandelte sich in der Ausstellung in eine Rauminstallation unter dem Namen Knjiga (Odsustvo) _ Engleski/Hrvatski_228 str._225 x 290 cm (Buch (Abwesenheit) _ Englisch/Kroatisch_228 S._225 x 290 cm), mit einem Metall-Gold-USB-Stick und eingraviertem Titel „The Book“, der museal am Postament im Kubus aus Plexiglas ausgestellt ist. Neben dieser (Un)Möglichkeit und der „turbofuturistischen“ Erscheinung des Buches selbst war an der Wand ein kurzer offizieller Text ausgestellt, zusammen mit meinen Danksagungen an Mitarbeiter und alle, die das Projekt unterstützt haben, sowie mit der Erklärung, dass das Buch fertiggestellt war, aber die genehmigten staatlichen zweckgebundenen Mittel leider nicht ihren Weg vom Verleger zur Druckerei gefunden haben. Das stärkste visuelle Element in der Galerie neben den Fotografien war eine über dem USB-Stick hängende Discokugel. Sie drängte sich als eine Idee in meinem Wunsch, die Bizarrerie all dieser kafkaesken unangenehmen Umstände, in denen ich mich befand, in einen reduzierten und absurden visuellen Ausdruck zu überführen, während ich monatelang mit der Intransparenz des Verlegers, aber auch des gesamten bürokratischen Systems des Kulturministeriums im Hintergrund kämpfte. So wurde die „Vorstellung“ des Buches zum stillen Spaß unter den Lichtern der rotierenden Discokugel.
Brachte ein solcher subtiler „Aufruf“ ohne Namen bzw. die Benennung des Problems etwas? Im Allgemeinen nicht, denn auch mein letztes in einer Reihe von mehreren Ersuchen an das Kulturministerium, Wege zu finden, das genehmigte Geld zweckgebunden auszugeben, erhielt eine negative Antwort. Hier wird der Künstler von niemanden geschützt, da der Vertrag nur zwischen dem Verleger und dem Ministerium geschlossen wird. Ob sich der Verleger, bei dem das zweckgebundene Geld für den Druck „feststeckte“, und zwar nachdem ich jahrelang hart gearbeitet habe, indem ich sowohl in seiner als auch in allen anderen möglichen Rollen bei der Herausgabe eines so großen und komplexen Buches jonglierte, darüber überhaupt aufgeregt hat und wo dieses Geld am Ende gelandet ist – das weiß ich nicht. Nur das Stadtamt für Kultur unterstützte mich dabei, dass dieses zweckgebundene Geld nicht verzockt wird, und deswegen bin ich ihm sehr dankbar.
Ja, ich möchte es auf jeden Fall veröffentlichen, denn in den letzten fünf Jahren haben sowohl meine Mitarbeiter als auch ich viel Mühe, Arbeit und Geld investiert. Jetzt bin ich auf der Suche nach einem seriösen Verleger sowie Finanzier für zusätzliche Mittel, um diejenigen Mittel zu ersetzen, die ins Wasser fielen. Wenn also jemand von ihnen zufällig dieses Interview liest, kann sich gern bei mir melden.
Der Titel des Buches Prostori, priče, geografije (Räume, Geschichten, Geographien) beschreibt deine Interessengebiete und Kunstwerke wirklich gut. Ist dieser völlig autobiographisch und können diese drei Wörter am einfachsten deine Handlungsfelder und Interessengebiete einschränken?
Dieses ganze Projekt begann ja auch mit diesem konkreten Titel für das Buch bereits vor vielen Jahren, als er sich mir in einem Ideenblitz aufdrängte. In all diesen Kunstwerken im Buch, die eine mehr oder weniger sichtbare „Geschichte“ hinter sich haben, sowie in vier äußerst autobiographischen fiktionalen Geschichten navigiere ich zwischen den verschiedenen Innen- und Außenräumen sowie (psycho)geographischen Orten, in denen ich mich zeitweilig aufgehalten und für mich geschaffen habe oder in denen ich lebe – von Berlin, Moskau und New York bis Wien, Bristol, Florida und Zagreb. Im Hintergrund ist meine bereits beschriebene migrantische, nomadische Existenz, diese Suche nach einem Ort, irgendwo dazwischen, „in between“, in Kluften, in denen meine Kunst entsteht. Und natürlich läuft alles in der Gegenwart ab, in Bezug auf die Geschichte und irgendeine zukünftige Zeit.
Ich würde sagen, dass deine Werke mit dem Beobachten, Dokumentieren und Reagieren auf den Kontext der Stadt oder des Raums beginnen, indem sie zu einer Art Reaktion auf eine bestimmte Situation und einen (Nicht-)Ort werden, wie eine Art flanierendes Feedback für das Gelebte und Erlebte. Habe ich Recht? Wie kommentierst du das?
Ja, das hast du schön formuliert. Wie eine Art wechselseitiger Aneignung / Eroberung und sogar auch Verführung. Oft werden diese heterotopen, hybriden Orte oder Nicht-Orte / Zwischenorte zum Spiegel eines Teils meines eigenen „Ich“, woraus dann neue Ideen und Werke entstehen. Dieser Prozess ähnelt dem Herbeirufen des Punctums (aus dem Kult-Fotobuch von Roland Barthes Camera Lucida / Die helle Kammer), dieses unsichtbaren Pfeils, der eine deiner sensiblen Stellen trifft. Nach diesem intuitiven und subjektiven Moment der Begegnung und dem Erkennen einer Korrelation zwischen persönlichem und historischem Gedächtnis im Kontext des aktuellen (politischen) Moments beginnt der Prozess der Erforschung des Themas und des Kontextes, die sich mir auf diese Weise aufgezwungen haben, sowie die parallele Suche nach visuellem Material, meist in Form eines bewegenden und unbeweglichen medialen Bildes. Dieser Prozess ist am Anfang sehr intensiv, intuitiv und fast ungreifbar, wie eine Reise, deren Ziel man nicht kennt. Impulse aus der Außenwelt interagieren mit meinem persönlichen psychologischen Raum und beginnen, eine wechselseitige abstrakte Geschichte zu erzählen.
Gemäß dem oben beschriebenen kreativen Prozess übertragen meine mehrschichtigen Werke in der Wahrnehmung die Botschaft meistens nicht explizit. Sie laden den Betrachter vielmehr dazu ein, den phänomenologischen und psychologischen, konkreten, aber auch metaphysischen Raum „hinter“ reiner Erscheinung zu berühren und zu erleben und sich auf die eigene Reise zu begeben.
Als ich das PDF deines fertigen Buches gelesen habe, stellte ich fest, dass diese Texte, Notizen, Beschreibungen, Tagebücher, Künstlerstatements sowie fiktionale Geschichten äußerst wichtig sind und einen untrennbaren Teil der Artikulation eines bestimmten Kunstwerkes darstellen, was leider bei den Autoren nicht oft vorkommt. Wie wichtig ist für dich der Text als Ergänzung zu deiner Arbeit und ist der Grund für diese Konzentration auf den Text und die Wörter dein Bildungshintergrund bzw. die Kunstgeschichte?
Ja, der Text ist für mich oft wichtig und ich würde sagen, dass es sich hier eher um den Einfluss des Germanistikstudiums mit Schwerpunkt auf der deutschen Literatur sowie die poetische / schriftstellerische „Genetik“ meiner Familie handelt als um das Studium der Kunstgeschichte. Meine Eltern lernten sich im Philosophiestudium in Zagreb kennen. Beide arbeiteten als Gymnasiallehrer. Mein Vater war ebenfalls Dichter und schrieb Literaturkritiken, während meine Mutter Englisch unterrichtete, übersetzte und Haiku-Poesie schrieb, für die sie mehrere Auszeichnungen in Japan erhielt. Ihre früheren geselligen Treffen mit Freunden aus Kreisen der Literatur und Kunstkritik endeten oft mit dem Rezitieren von Gedichten, während wir als Kinder in ihrer Nähe spielten. Wie bereits aus meinem Film U ratu i revoluciji (In Krieg und Revolution) bekannt, schrieb mein Großvater außerdem mehrere historische und geographische Bücher und er war politisch sehr engagiert und wachsam.
Was das damalige Studium der Kunstgeschichte in Zagreb betrifft, brachte mir dieses nicht bei, wie man kritisch denkt und dies schriftlich reflektiert, denn das gesamte damalige autoritäre Schulsystem basierte auf dem Auswendiglernen und Bestätigen des Wissens vom Professor und sehr wenig auf der Bildung einer eigenen kritischen Denkweise. Erst später wurde mir im deutschen Bildungssystem klar, wie wir auch dadurch anders sozialisiert waren. Die Analysen an der Uni waren vorwiegend verbal, ganz zu schweigen von der enormen Büffelei der Tatsachen aus Tonnen von Büchern und einigen seltsamen Skripten für jede Prüfung, welche man später ohnehin vergessen hat. Niemand hat uns das wissenschaftliche Schreiben beigebracht, was beispielsweise an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz für jede Seminararbeit gemacht wurde, sodass ich dies erst dort lernte. Dies hat zu meiner Entscheidung beigetragen, die Diplomarbeit aus der Literatur im Rahmen des Germanistikstudiums bei Prof. Žmegač zu schreiben, den ich sehr schätzte und der auch in den germanistischen Kreisen in Mainz ein sehr hohes Ansehen genoss. Das Germanistikstudium in Zagreb war übrigens sehr schwierig, fast am Rande einer traumatischen Erfahrung. Ich verschlang die deutsche Literatur und liebte die grammatikalisch klare, komplexe und strukturelle Analyse von langen und mehrschichtigen deutschen Sätzen – das war meine Hauptmotivation, nicht aufzugeben. Und wahrscheinlich wusste ich intuitiv bereits zu dieser Zeit, dass mich das Leben nach Berlin verschlagen wird. In meiner Diplomarbeit beschäftigte ich mich mit dem Thema „Poetisieren der Antike in Gottfried Benns Poesie“, resultierend aus mehreren interessanten Seminaren aus dem Ästhetizismus von Nietzsche & Co. an der Germanistik in Mainz. Poesie und Ästhetizismus – das ist mein Hintergrund vor Berlin.
Statt am Anfang unseres Gesprächs werde ich am Ende noch erwähnen, dass mich dieser Begriff der „privaten Archäologie“, also deine eigenen persönlichen Geschichten und das Trauma sowie die Rekonstruktionen familiär bedeutender und wichtiger Ereignisse interessieren, die oft Auslöser für Werke, Forschungen und Projekte waren bzw. sind. In welchem Maße ist dies für dich unerlässlich, befreiend und vielleicht auch therapeutisch wichtig für das eigene Handeln und den eigenen Ausdruck?
Diesen Begriff der „privaten Archäologie“ dachte ich mir in der Notwendigkeit aus, das Konzept für eines meiner Werke aus meinem amerikanischen Opus zu artikulieren, das aus der Geschichte über den Versuch entstand, nicht existierende Spuren aus der letzten Lebensphase meines Bruders zu finden, als er in den Vereinigten Staaten arbeitete. Das erste multimediale Werk zu diesem Thema Going Back and Forth (vierkanalige Videoinstallation, Diaschau und Tagebuch) entstand während der Residenz am Atlantic Center for the Arts in Florida im Jahr 2006 und wurde gleich danach im kreisförmigen Raum der Galerie der erweiterten Medien im Rahmen der Kroatischen Gesellschaft bildender Künstler (Galerija PM HDLU-a) in Zagreb ausgestellt. Diesen amerikanischen Zyklus rundete ich mit den anderen, bereits erwähnten Werken in der kürzlich stattgefundenen Ausstellung namens Smiling Sun ab.
Verlust, Tod, Krieg, Verschwinden, Trennung, Abwesenheit, Bedrohung, Unmöglichkeit, Sehnsucht, Begegnungen, Verliebtheit – all das sind natürlich starke Auslöser, sowohl im Leben als auch in der Kunst. Bei mir verwandeln sie sich in die Notwendigkeit kreativer Schöpfung, Reflexion und Auffindung von künstlerischen Formen im Zusammenhang mit einem bestimmten Ort, einer bestimmten Zeit, politischen Gegebenheiten sowie historischer Erinnerung. Die stärksten und engsten Anregungen werden häufig aus dem eigenen und familiären Erbe im gesellschaftspolitischen Kontext generiert, wie z. B. in dem bereits erwähnten Film U ratu i revoluciji (In Krieg und Revolution). Einige andere, wie jene aus dem russischen Zyklus, beschäftigten sich mit der Frage, was von der großen Utopie geblieben ist, bzw. was wir heute in jenen „leeren Orten“ finden können – das resultiert aus der Erfahrung von uns allen aus diesen Gebieten, den sogenannten postsozialistischen Subjekten.
Sich mit Kunst zu beschäftigen bedeutet für mich, in einem ständigen Transformationsprozess zu sein. Wie ein Alchemist bzw. eine Alchemistin sucht man nach Möglichkeiten, Blei in Gold zu verwandeln. Oder, zum Beispiel, die Aufnahmen von New Yorks toxischen Kanälen voller Müll in die Schönheit einer postindustriellen Hafenlandschaft unter den Lichtern von nächtlichen Scheinwerfern zu transzendieren, ohne dabei die kritische Wahrnehmung aus den Augen zu verlieren, in dem Wunsch, bescheiden zur Verschiebung der Grenzen beizutragen – sowohl der persönlichen als auch der kollektiven. All dies setzt einen manchmal frei und kann auch therapeutisch wirken, aber manchmal nimmt es einen auch fest: In jenen Momenten, in denen man in die tiefen traumatischen persönlichen und kollektiven Bewusstseinsschichten eintaucht, aus denen man zum Glück früher oder später wieder an die Oberfläche kommt. Mit der „Festnahme“ meine ich auch die konstante unangenehme parallele Realität des Systems, in dem man wirkt. Diese Art von „Freiheit“ und die institutionelle Unabhängigkeit, die man erkämpft hat, können so auch zum Gefängnis werden. Denn wir alle in diesem Geschäft sind immerhin Teil eines Systems und eines Establishments, das die Spielregeln vorschreibt. Man muss also entscheiden, ob man nach diesen vorgegebenen Regeln spielt oder nicht oder alternative Handlungsformen finden. Meine Suche wird fortgesetzt.