Wer sich die wellenförmigen, hellblauen und hellgrünen Plastikgegenstände anschaut, weiß entweder sofort, was das ist – oder hat keine Ahnung davon. Dazwischen gibt es nichts. In der Regel werden sie von denjenigen erkannt, die sie schon benutzt haben; die anderen rätseln nur, und auch die Benennung der Gegenstände bringt sie der Lösung nicht unbedingt näher: Enthaarungsspachtel.
Spachtel, 2 Stück (Geschenk von L. M.) Polypropylen, Elastomer (12 x 5 x 1 cm, 9 x 5 x 0,5 cm) Hersteller / Vertrieb: Veet ©, 2000er Jahre, Objektfoto: Krisztina Sarnyai
| © Krisztina Sarnyai
Im Alltag wird diese Bezeichnung nicht oft gebraucht; wenn man also das Gerät nicht kennt, kann man es auch nicht mithilfe der Benennung identifizieren. Es handelt sich um Gegenstände, denen wir meist keinen Namen geben – wir sagen dann nur: „Ding“, „etwas“. Von seiner alltäglichen Existenz her ist der Enthaarungsspachtel ein begleitendes Objekt, versteckt in einer kleinen Schachtel neben einer Cremetube. Man kann mit ihm den Inhalt der Tube auftragen, verstreichen, glätten – daher der Name Spachtel –, und wenn die Creme verbraucht ist, wird er zu überflüssigem Ramsch, zu angespültem Müll. Wir werfen ihn weg. Die Formgestaltung und der Gedanke, die im Objekt kodiert sind, sind jedoch zu mehr als zu dieser Kurzlebigkeit berufen. In diesem Objekt verdichtet sich eine Form des weiblichen Körpers, der weiblichen Schönheit, des Samtartigen – und zugleich auch ihre in der Konsumgesellschaft vermittelte Idee, wie auch die Negation oder mögliche Kritik dieses Idealbildes. Nehmen wir aber den Gegenstand gründlicher in Augenschein! Gehen wir der Frage nach, auf welche Weise ein Museum, das sich mit der Objektkultur des Alltags beschäftigt, und seine Sammlung beim Verständnis behilflich sein können, und auf welche Weise die zeitgenössische Kunst imstande ist, weiterführend zum kritischen Denken anzuregen! Ob diese verschiedenen Tropen einander inspirieren können?
Behaarung ist Wollust.
Die subjektiven Text-Zitate in diesem Beitrag stammen aus der Klanginstallation der Austellung „Durchschnittliche Abweichung“ von Dorottya Vékony. Darin erzählt eine 38-jährige Frau von ihrem Verhältnis zu ihrem Körper, und wie sich dieses ändert.
Das Wort „Spachtel“ geht – als Entlehnung – auf die Verkleinerungsform des lateinischen Wortes „spatha“ zurück, das wiederum vom griechischen Wort „spathe“ („Klinge“) abstammt. Seine Bedeutung ist an die Funktion der oben kurz beschriebenen Gegenstände geknüpft, also an: Auftragen, Verstreichen, Glätten. Der Enthaarungsspachtel ist in erster Linie ein Objekt für die Frau im Kontext der Schönheitspflege. Die wellenartige Form, die Kombination der weichen und rigiden Materialien sind praktisch, ästhetisierend und metaphorisch zugleich; sie weisen auf die weiche Art der Nutzung hin und beschwören zugleich die sensiblen, geschwungenen Körperteile herauf: die Wölbungen der Achselhöhle und der Bikinilinie, an denen die Haut besonders empfindlich ist, wo die Rasur und das Ausreißen der Haare schmerzvoll sind und eine Entzündung verursachen können. Der wellenförmige Bogen trägt die Botschaft: Es ist möglich, den Schmerz erträglich zu machen. Zwischen der poetischen Form und der alltäglichen Wirklichkeit herrscht aber eine unauflösbare Spannung, die sich gerade im Zuge des alltäglichen Gebrauchs zeigt: Die dem Objekt innewohnende Poesie wird durch den strengen Geruch der Creme und den Anblick des die Haare auflösenden chemischen Prozesses auf wirksame Weise abgebaut. Scheinbar kann also der Spachtel den Schmerz domestizieren, ersetzt er doch solche Utensilien der Enthaarung wie das scharfe Rasiermesser, das heiße Wachs und den elektrischen Epilierer. Dennoch basiert der Spachtel auf einer Illusion: auf der Illusion einer möglichen und freien Wahl. Woran er nichts ändert, sind die Jahrzehnte, Jahrhunderte, Jahrtausende alten Erwartungen in Bezug auf den weiblichen Körper, in denen die Glattheit und die Unbehaartheit eine herausragende Rolle spielen.
Eva ist geboren, sie war garantiert behaart. Das kann gar nicht sein, dass sie nicht behaart war.
Ausschnitt aus der Ausstellung „Durchschnittliche Abweichung“ von Dorottya Vékony; Klanginstallation, Galerie aqb, Budapest, 2019 | Foto: Áron Weber, www.everybodyneedsart.com
Gesicht, Achselhöhle, Beine, Oberschenkel, Bikinilinie, Vulva: Glattheit, Faltenlosigkeit, Kahlheit. Das scheint eine einfache Formel zu sein. Die verschiedenen Körperregionen regen aber unterschiedlich stark zum Diskurs an: über die gesellschaftliche und politische Rolle des weiblichen Körpers, über die Mode, über die Freiheit, über die Befreiung und über den Protest. Ob wir in den beiden Museums-Spachteln die Geschichten von Kritik und Widerstand wiederfinden? Ob diese scheinbar unbedeutenden Objekte mit ins Geschichtenerzählen einzubeziehen sind, wenn es beim Übergang zwischen sichtbaren und unsichtbaren Welten um die Wahl, um die Herrschaft über den Körper und um die Kommunikation geht?
Für mich ist das nicht natürlich, ich möchte nicht behaart sein.
Die Spachtel gelangten – zusammen mit anderen ähnlichen Objekten – im Frühjahr 2006 im Rahmen einer thematischen Sammlungskampagne in das Museum für Völkerkunde. Die Eigentümerin der Objekte schenkte der Sammlung neben den Spachteln zwei Waschpulver-Dosierer, als Lebensmittelbehälter wiederverwendete Mascarpone-Dosen sowie Eiscreme-Stiele. All diese sind Einwegerzeugnisse begleitenden Charakters, Verpackung oder Hilfsmittel, und ohne Ausnahme aus Plastik hergestellt. Sie sind schwer zu benennen und haben das Schicksal, kurzlebig und bald wegzuwerfen zu sein. Ihre Anhäufung erfolgt jedoch nach einer Logik, und zwar nach dem Archivierungsmuster „Das könnte noch zu etwas zu gebrauchen sein“. Die kleinen Utensilien haben eine weitere Gemeinsamkeit: nämlich dass sie Fragmente des weiblichen Haushalts sind. Für die Stifterin der Objekte wurden sie gerade wegen ihres fragmentarischen Daseins und wegen ihres ephemeren Charakters interessant. Es ging ihr also nicht um die in die Objekte hineinprojizierbaren, kritisch zu betrachtenden Umweltaspekte, sondern genau um das Gegenteil: Die Objekte wurden ihr wichtig, um sie hervorzuheben und auf sie zu zeigen. Wie sie also im Museum in neuem Licht präsentiert wurden. Sichtbar zu machen und zu benennen sind die Grundlagen der Museumspraxis und des Sammlungswissens. Es stellt sich aber die Frage, ob während der Museumsarbeit bewusste und kritische Register zu den einzelnen Objekten erstellt werden können, ohne dass ihre ursprünglichen Nutzer unmittelbar hierüber erzählen.
Venus ist völlig unbehaart, kein bisschen behaart, nirgendwo. Und dann kam der Courbet und malte eine mit Achselhaaren.
„Das offene Buch der Zauberobjekte“ entstand im Sommer 2018 als gemeinschaftliches Werk im Sommer-Kunstcamp „Köz.kemp’18“ in Erdőbénye. Die ethnografischen Charakteristika des persönlichen Geschichtenerzählens vermischen sich darin auf spannende Art und Weise mit Intentionen des künstlerischen Schaffens. Der Band ist ein Kunstbuch als Einzelexemplar, in dem die Künstlerinnen mit je einem eigenen Gegenstand – mit dem Abdruck desselben – und mit ihrer persönlichen Geschichte von der rituellen Sphäre des Alltags erzählen; all dies im Bezugssystem von Wiederholung, Schutz, Erinnerung, Familienerbe, Glück, Übergang, Ganzheit und Teil. Im letztgenannten „Unterkapitel“ finden wir ein Fotogramm und eine persönliche Liste mit dem Titel „Haarung“ („Szőrözés“) von Zsuzsanna Simon. Auf dem Fotogramm sind die Abdrücke ihrer eigenen Achsel- und Schamhaare zu sehen. Sie hat die abgeschnittenen Haare unmittelbar unter ein Vergrößerungsglas gelegt und hat dazu einen auf einer Aufzählung basierenden, aber einen dramaturgischen Bogen aufweisenden Text geschrieben, in dem der persönliche Kontext des Bildes aufgezeichnet ist.
Das offene Buch der Zauberobjekte, 2018 | Objektfoto: Krisztina Sarnyai | © Krisztina Sarnyai
Die bildlich-textliche künstlerische Intention baut auf die Intimität, den persönlichen Charakter und die Radikalität auf: vom eigenen Körper abgeschnittene Teile, handgeschriebener Text, Bekenntnis, Ehrlichkeit, Zweifel und Unsicherheit. Privat und öffentlich gleichermaßen. Persönlich und politisch, fehlbar und kritisch. Eigene und gesellschaftliche, ewige und generationsbezogene Erfahrungen: „Achselhaar; Schamhaar; baut den Begriff des Gegenstands ab; bestimmt mein Leben; ich versuche, mit der Behaarung zusammenzuleben; ich versuche, mich auch so schön zu sehen; man soll dafür keine Zeit opfern und keinen Schmerz empfinden; ich löse die Situation auf; für andere inspirierend sein; Hemmungen überwinden, Beispiel geben; es ist schwer, es zu tragen; ich fühle mich beraubt; es ändert die Kleidung und die Bewegung; das Ziel ist, all das aufzulösen; das lebe ich.“
Die Arbeit der Künstlerinnen, die ihre Message mit ihrer eigenen Behaarung verkünden, kann nicht von den in der Populärkultur hörbaren und sichtbaren, kritischen, oft radikalen Stellungnahmen getrennt werden. „Big girls have bush“, also „Große Mädchen tragen Busch“ – sagt Ali Pfefferman in einer Szene der amerikanischen TV-Serie „Transparent“ (2014, Staffel 1, Episode 7). Ali vertritt im Film als Aktivistin eine transgender-orientierte Lebenseinstellung. Anfangs kann sie ihren Platz nicht finden, danach nimmt sie ein Studium der Gender Studies auf. Sie ist auf der Suche nach der für sie passenden Form der Sexualität und interessiert sich für die Auflösung der Geschlechtergrenzen. Sie ist von Natur aus Aktivistin, überzeugt und kritisch. Von Staffel zu Staffel trägt sie Achselhaare in der Serie, in der zitierten Szene zeigt sie sogar ihre Schambehaarung. Die ihre Rolle spielende amerikanische Schauspielerin Gaby Hoffmann lässt auch im Alltag ihre Achselhaare aufblitzen – mit derselben Natürlichkeit, wie wir das bis zum Anfang der Neunzigerjahre auch selbst getan hatten. Was uns damals natürlich vorkam, gilt heute als kritische Äußerung. Die frei erlebte Wahl wurde heute wieder zur Mode: genauso, wie eine offen für die Prinzipien von selbstbewussten, kritischen und freien Frauen einstehende Haltung. Die gut sichtbare Achselbehaarung wurde zu einer populären Ikone.„Love is enough.”
Tibor Horváth: Love is enough (Filzstift auf Papier)
| © Frazon Zsófia
Die Wurzeln der Ablehnung der gegenüber dem Körper gehegten gesellschaftlichen Erwartungen sowie die Wurzeln der Konfrontation und des aktiven Widerstands gehen auf die Sechzigerjahre zurück. Seitens der Künstlerinnen, Aktivistinnen und Frauen des Alltags wurden und werden aber – im Dialog der Freiheit und Befreiung – den unterschiedlichen Flächen der offen gezeigten weiblichen Körperbehaarung auch heute jeweils unterschiedliche Rollen und Gewichtungen zugewiesen. Das Vorzeigen der Behaarung, die in der Achselhöhle wächst, eignet sich vollends zur Artikulation des Widerstandes gegenüber den gesellschaftlichen Erwartungen, zum Ausdruck und zur Demonstration der Attitüde einer freien weiblichen Aktivistin. Hier reihen sich die zwei Fotografien von Zsuzsanna Simon ein, die ihre schöpferische Arbeit beim Dekorieren ihrer Achselbehaarung zeigen: nach Teenager- und Techno-Manier. „Ich versuche, mich auch so schön zu sehen.“
Simon Zsuzsanna: Ugly or Beauty?, Smink: Ádám Anna
| © Simon Zsuzsanna
Wesentlich mehr Tabus und normative Erwartungen betreffen aber die Behaarung der Bikinilinie und die Intimbehaarung. Der Spruch „Große Mädchen tragen Busch“ weist ferner auch auf die die Verhaltensweise bestimmenden Generationsunterschiede hin. Dass also Alter und die erlebten Erfahrungen dabei helfen können, sich von den gesellschaftlichen Erwartungen zu entfernen und den eigenen Weg zu finden. Und nicht selten zwinkern wir uns währenddessen gegenseitig zu.
Am beruhigendsten ist das Gekicher der Frauen darüber.
Sei es noch so überraschend – aber die Behaarung der weiblichen Beine findet im Vergleich zur Achsel- und Intimbehaarung am wenigsten Akzeptanz: Wir tun uns am schwersten, uns von der Norm der Glattheit der Beine wegzubewegen; das macht uns am ehesten ausgeliefert. Was auf dem Papier, im Film, in Texten und in Kunstwerken funktioniert, funktioniert nicht morgens im Oberleitungsbus, nicht im Schwimmbad und nicht in Intimbeziehungen. Die Rationalität versagt, und es bleibt die Konvention, der wir uns als folgsame und ausgelieferte Körper fügen – wie der französische Ideenhistoriker Michel Foucault die Beziehung zwischen Körper und Macht in seinen Werken beschreibt.
Das behaarte weibliche Bein ist eines der größten Tabus.
Die alltäglichen Wirklichkeiten und die künstlerischen Intentionen nähren sich also gegenseitig, man kann sie ineinander lesen – aber nicht vollkommen einander gleichsetzen. Die wellenartig gebogenen, blauen und grünen Enthaarungsspachtel haben den komplexen wissenschaftlichen Diskurs betreffs des gesellschaftlichen Körpers nicht von vornherein mit ins Museum gebracht, der Kontext kann aber durch das Anbringen anderer Bilder und Texte hergestellt werden. Während der Museumsarbeit – Dokumentation, Archivierung, Forschung und Ausstellung – kann also die Möglichkeit für die Integration verschiedener Tropen geschaffen werden, die Grenzen sind jedoch auch weiterhin nicht vollkommen durchlässig. Die sich mit dem Alltag befassende Ethnografie und die gesellschaftskritische zeitgenössische Kunst sind sich in dieser Tätigkeit gute Partner. Wir können mit ihrer Hilfe die Begrenztheit der Objekte für das Hineinströmen unserer Erfahrungen öffnen. Wir können Räume schaffen für Kritik und Ironie, und können versuchen, die in Tabus und in der Normativität feststeckenden Narrative aufzulösen. In die „offenen Objekte“ sind neue Gedanken integriert, die Objekte transportieren diese in die Sammlung, bauen sie in die Sammlungsgeschichte und in das Sammlungswissen ein. So kann der Enthaarungsspachtel als Museumsakteur und Medium für die freie und mutige Akzeptanz der Flächen und der Form des weiblichen Körpers, für einen Dialog über den gesellschaftlichen und kulturellen Mechanismus der – statt Ängste – bewusst getroffenen Entscheidungen funktionieren. Selbst dann, wenn er ursprünglich mit einem Waschpulver-Dosierer, mit Mascarpone-Dosen und mit Eiscreme-Stielen in die Sammlung gelangte.
Objekte, mit denen zusammen die Enthaarungsspachtel in die Sammlung gelangten | © Krisztina Sarnyai
Kommentare
Kommentieren