Sozial engagierte Architektur
Bauen für das Existenzminimum
Ist die Zeit der Star-Architektur vorbei? Ein Gespräch mit dem Leiter des Architekturmuseums der Technischen Universität München Andres Lepik über sozial engagiertes Bauen in Afrika und die Verantwortung der Architekten.
Herr Professor Lepik, nach „Small Scale, Big Change“ und „Think Global, Build Social!“ ist „Afritecture“ bereits die dritte Ausstellung, in der Sie sich mit sozial engagierter Architektur auseinandersetzen. Warum ist Ihnen dieses Thema so wichtig?
Ich war 14 Jahre lang an den staatlichen Museen in Berlin beschäftigt und habe dort unter anderem Ausstellungen mit Renzo Piano und Rem Koolhaas kuratiert. Irgendwann kamen mir Zweifel, ob diese Art, Architekten eine Plattform für ihre Projekte zu geben, wirklich relevant ist. Oder ob man damit nicht auf gewisse Weise in eine Art „Propaganda-Rolle“ fällt. Ein anderer Punkt war die Begegnung mit einigen sozial engagierten Projekten, die mich sehr fasziniert haben. Dazu gehört etwa das Werk des in Berlin lebenden Architekten Diébédo Francis Kéré aus Burkina Faso. Das brachte mich schließlich auf die Idee, das Thema des sozialen Engagements auf eine breitere Basis zu stellen und die vielen Einzelbeispiele, die ich gesehen habe, in einer Ausstellung zusammenzubringen.
Sie haben in einem Interview sogar gesagt, die Zeit der Star-Architekten sei vorüber.
Ich denke, wir merken gerade in der gesamten Gesellschaft, dass wir nicht mehr nur auf die Oberfläche schauen dürfen, sondern dass wir auch bei Gebäuden immer mehr danach fragen müssen: Wem dient es eigentlich? Woher kommt das Kapital? Auch in anderen Bereichen gibt es ein immer stärkeres Interesse daran, die ethischen Hintergründe hinter den Produkten, die wir konsumieren, kennenzulernen.
Die Bevölkerung einbinden
Wie definieren Sie den Begriff der sozial engagierten Architektur?
Da spielen mehrere Kriterien hinein. Das eine ist das persönliche Engagement. Das heißt, dass der Architekt sein Büro verlässt und, teilweise aus eigener Initiative, direkt vor Ort geht. Viele der Projekte, die wir in Afritecture zeigen, sind aus persönlichen Begegnungen heraus entstanden. Etwa indem die Architekten in die Slums von Nairobi gegangen sind und sich überlegt haben, wie man Lösungen für die dortigen Probleme entwickeln kann. Ein weiteres Kriterium ist das genaue Kennenlernen und Studieren der lokalen, sozialen und kulturellen Bedingungen. Und dann ist auch entscheidend, dass man bei der Ausführung die Bevölkerung, die von den Projekten betroffen ist, einbindet: bei der Standortsuche, bei der Funktionsaufteilung oder bei der Konstruktion.
In der Ausstellung wird als weiterer Punkt die Einbeziehung lokaler Materialien oder Techniken genannt.
Genau. Wichtig ist, dass man sich bei der Recherche überlegt: Was ist eigentlich vorhanden, an Arbeitskraft, an Material oder an klimatischen Bedingungen? Und oft ist das lokale Material dann die vernünftigste Entscheidung. Weil man keine langen Transportwege hat, oder weil die Menschen wissen, wie sie später mit dem Material umgehen können. Ein fremdes Material oder eine Technologie, mit der man nicht umgehen kann, wird sofort zum Störfall.
Warum haben Sie gerade Afrika ins Zentrum Ihrer Ausstellung gestellt?
Die Architekturdebatten der letzten Zeit haben sich fast nur mit Asien beschäftigt – oder mit arabischen Ländern. Aber auch in Afrika ist viel passiert.
Dazu gehört ein rasanter Urbanisierungsprozess. In manchen afrikanischen Ländern werden ganze Städte wie am Reißbrett entworfen. Ist das nicht eher eine gegenteilige Entwicklung?
Gerade erst wurde in Angola eine ganze Stadt für 200.000 Einwohner aus China „importiert“, im Austausch gegen Öl. Das heißt: Die Arbeiter wurden dort hingebracht, die Pläne und das Material. Aber solche negativen Beispiele wollten wir bewusst nicht zeigen, weil sie für die kulturelle Entwicklung keine Relevanz haben. Weil sie keine Verwurzelung in der Gesellschaft haben, werden sie früher oder später scheitern.
Soziale Verantwortung der Architekten
Zum Begleitprogramm der Ausstellung gehörte auch ein Symposium mit Architekten aus Afrika und anderen Ländern, das Sie zusammen mit den Goethe-Instituten in Subsahara-Afrika veranstaltet haben. Dort war sehr viel von der „sozialen Verantwortung“ der Architekten die Rede. Wurde diese bisher zu sehr vernachlässigt?
Schon die frühe Moderne hat sich mit dem „Bauen für das Existenzminimum“ auseinandergesetzt. So hieß 1929 der Kongress der Internationalen Moderne (CIAM) in Frankfurt. Das Thema ist also nicht neu. Als die Moderne in den 1960er-Jahren in eine Art Krise geriet, kam es wieder auf. Und auch heute ist es wieder aktuell, weil die Probleme ja nicht geringer werden.
Sitzen Sie gerade deswegen an einem „Manifest für eine humane Design-Kultur“? Wie darf man sich das vorstellen?
Das Manifest haben wir im November 2013 auf der Konferenz Metropolis Nonformal in München vorgestellt. Neben mir waren daran Architekten, Stadtplaner, Landschaftsplaner, Designer und Journalisten beteiligt. Es besteht aus sieben Punkten, die im weitesten Sinne genau diese Themen der jüngst von mir kuratierten Ausstellungen verhandeln: die soziale Verantwortung, den lokalen Bezug, aber auch die Schönheit. Denn auch die Schönheit spielt bei sozial engagierten Projekten eine wichtige Rolle. Das Manifest ist der Versuch, all das zusammenzufassen, wovon wir als Theoretiker oder Gestalter überzeugt sind. Wir wollen eine Art theoretischen Fokus damit setzen, an dem sich verschiedene Disziplinen orientieren können.
Andres Lepik ist Direktor des Architekturmuseums der Technischen Universität München und Professor für Architekturgeschichte und kuratorische Praxis. Die von ihm zusammen mit Anne Schmidt kuratierte Ausstellung „Afritecture – Bauen mit der Gemeinschaft“ ist noch bis zum 2. Februar 2014 in der Münchener Pinakothek der Moderne zu sehen. „Afritecture“ präsentiert 26 Beispiele für sozial engagierte Architektur aus Subsahara-Afrika. Mit dem Thema setzte sich Lepik bereits 2010 als Kurator am Museum of Modern Art in der Ausstellung „Small Scale, Big Change: Architectures of Social Engagement“ auseinander sowie 2013 in der in Frankfurt und Wien gezeigten Ausstellung „Think Global, Build Social!“.
Ausstellung: „Afritecture – Bauen mit der Gemeinschaft“, Architekturmuseum der TU München (Pinakothek der Moderne), 13.09.2013–02.02.2014