Eh brav – Über ›Frauen und Poesie‹
Ist das überhaupt eine Frage: Frauen und Poesie? Und kann man sie trennen von der Frage, wie sexistisch eine Gesellschaft ist? Ich meine, nein. Allein, dass die Frage nach ›Frauen in einem bestimmten Aktionsfeld‹ gestellt wird, deutet ja auf eine Unausgewogenheit in der Machtverteilung. »Frauen und …« zu sagen, ermöglicht aber immerhin, manche Dinge anzusprechen, die sonst vielleicht nicht formuliert würden.
In der Kunst in Deutschland ist Sexismus sehr unsexy. Es gibt ihn als behandelten Gegenstand. Als gelebte und erfahrbare Realität aber angeblich nicht. Und dann plötzlich werden für irgendeinen Preis nur Männer nominiert, und es gibt einen Aufschrei. Der legt sich aber bald wieder. Es gilt die unausgesprochene Regel: Der Sexismus darf einfach nicht zu sehr auffallen. Sonst müssten wir ihn am Ende noch ernsthaft diskutieren. Die Entwicklung hin zu größerer Geschlechtergerechtigkeit – an die ich zu gerne glauben will – wird dadurch geschickt gebremst.
Geschlechterfragen sind Machtfragen. Die Macht – oder: der Einfluss – der Literatur im deutschsprachigen Raum ist praktisch nicht messbar. Und Macht und Lyrik scheinen sich überhaupt logisch auszuschließen. Die Dichterinnen und Dichter sind an dieser Situation nicht ganz unschuldig. Ihre Stimmen beanspruchen keinen Raum, es kann ihnen nicht unverbindlich, harmlos, klein genug sein. Eigentlich spektakulär, dass sogar auf einem derart unerheblichen Feld immer noch um die Verteilung zwischen den Geschlechtern gerungen wird. Nicht alle würden mir zustimmen, dass ein solches Spektakel existiert.
Macht, egal wie mini – dass es vor allem darum geht, zeigen nicht zuletzt die Reaktionen auf die deutschsprachigen Literaturnobelpreisträgerinnen. Herta Müller: Viele begrüßten ihre Auszeichnung. Aber es gab auch andere Stimmen. Einer der Anwürfe lautete – ich zitiere nicht wörtlich, sondern gebe nur den Tenor wieder – Herta Müller sei eigentlich aus ihrem Dorf im Banat nie heraus gekommen. Ein anderer, ihre Texte steckten in der Vergangenheit fest. Was soll das sein? Argumente in einer literarischen Diskussion sind es jedenfalls keine. Ich meine, es ist Ressentiment. Paraphrasierbar als: ›In Schweden mögen sie dich auszeichnen, aber hier entscheiden immer noch wir, ob du uns was zu sagen hast oder nicht.‹ Dieses ›wir‹ ist nicht unbedingt rein männlich. Aber es wendet sich in einem solchen Ton ausschließlich an eine Autorin – kaum vorstellbar, dass man Günter Grass derart die Autorität abgesprochen, ihn so klein gemacht hätte. Mit einem männlichen Preisträger will ›man‹ sich ja schmücken, das Ewigmännliche zieht uns hinan, einer Nobelpreisträgerin dagegen glaubt der Klüngel daheim zeigen zu dürfen, wo ihr Platz ist: unten.
›Mann‹ hat offenbar was zu verlieren.
Bloß was? Status und Geld sind in Literatur und Geisteswelt ohnehin nicht mehr zu haben. Es kann nur um eines gehen: Das letzte Fitzelchen Definitionsmacht.
Die Frage: ›Wer darf sprechen?‹ ist längst verlorenes Terrain. Jede/r darf sprechen. Aber die Frage wurde ausdifferenziert. Heute lautet sie: »Als was wird jemand/etwas gehört?« Als repräsentative Stimme einer Sprachgemeinschaft? Mit der eine (innere oder äußere) Auseinandersetzung als prinzipiell lohnend entworfen wird? Oder doch als etwas Partikulares, Marginales, das man allenfalls freundlich durchwinkt?
Literarische Text werden selten als das gehört, was sie sind. Weil sich zu viele Schablonen zwischen Rezipient und Text schieben. Sie machen die echte Beschäftigung angenehm überflüssig. Natürlich nicht nur geschlechtsabhängige Schablonen. Aber sobald eine Frau einen Text geschrieben hat, wird es deutlich wahrscheinlicher, dass dieser unter einer Schablone verstaut wird.
›Frau/jung/nicht hässlich : Liebesgedicht!‹ ist ein solcher Kurzschluss, der Gedichte zum Verschwinden bringt. Funktioniert ausgezeichnet, egal, mit was für einem Gedicht man es zu tun hat. Dafür gibt es ja die Schablone.
Lange hat Deutschland nach der Superschablone gesucht. Sie hieß ›weibliches Schreiben‹. Sie hätte das Problem ein für allemal gelöst: Alle Texte von Frauen haben eine Gemeinsamkeit – das würde heißen: Den Autorinnen unterläuft der Text, ›es‹ läuft aus ihnen heraus. Sie sind also gar keine Autorinnen, die abwägen und Gründe dafür finden, ein bestimmtes Problem so oder anders anzusprechen. Damit aber müssen ›wir‹ uns aber auch nicht fragen, welchen Grund es geben könnte, sie anzuhören.
Die Suche wurde schließlich wegen Erfolglosigkeit eingestellt. Sie wurde nicht auf das Problemfeld ›männliches Schreiben‹ verlagert.
Ohne regelhafte Schablonen hingegen – für ältere Dichterinnen etwa existieren kaum welche, weshalb es von ihnen auch weniger gibt – passiert etwas Unangenehmes. Da tritt einem eine Stimme gegenüber, spricht, und man muss sich selbständig die Frage beantworten: Was hast du mir zu sagen? Wie muss ich dir – und mir – antworten?
Die Regel entbindet von der Pflicht, sich Fragen zu stellen wie: ›Ist das sinnvoll?‹ Deutschland mag Regeln. Das Publikum entdeckt deshalb gerade Reimschemata wieder und tradierte Formen – huch, eine Villanelle! Da weiß man, was man hat.
Nur bitte nicht fragen: ›Und wozu dient das?‹ Viel zu gefährlich. Am Ende geht einen das Gedicht noch an. Befragt. Lässt sich nicht brav abheften. Und was, wenn man auf einmal selber nicht mehr brav abheftbar sein will?
Dabei wäre diese Angst ganz überflüssig. Wir sind eh brav. Fiepen – in Alexandrinern. Tatsächlich: die Frauen gar nicht so laut.
Einige ›fiepfreie‹ deutschsprachige Autorinnen wären (siehe Links zum Thema):
Anja Utler *1973 in Schwandorf, lebt nach vielen Jahren in Wien heute in Regensburg. Sie promovierte zur russischen Lyrik der Moderne und arbeitet als Dichterin, Essayistin und als Übersetzerin aus verschiedenen slawischen Sprachen sowie dem Englischen. Sie unterrichtet an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Ihre jüngsten Buchpublikationen sind Von den Knochen der Sanftheit. Behauptungen, Reden, Quergänge(Edition Korrespondenzen, 2016) und »manchmal sehr mitreißend«, Über die poetische Erfahrung gesprochener Gedichte (Transcript Verlag, 2016).
Anja Utler, 2015