Digitale Dialoge – Dichtung im Internetzeitalter
Online-Gruppen, E-Zeitschriften, Videodichtung, Poesie-Apps und multidisziplinäre digitale Begegnungen beleben die indische Dichtung im Internetzeitalter.
Eine Gruppe von ausgewählten Zuhörern erlebte im Oktober 2015 in Mumbai ein einmaliges Work-in-Progress – das Zusammenspiel von Dichtung und Musik von indischen und britischen Musikern zu Ehren von Shakespeare. Während die Sängerin Shubha Mudgal die von der Opera North vorgetragene Interpretation der Sonette des Dichters mit Zeilen aus Amir Khusrau Gedichten begleitete, strömten Klänge der Tanpura aus ihrem Tablet-Computer. Eine Zuhörerin im Publikum musste davon abgehalten werden, dieses Zusammenspiel mit ihrem Mobiltelefon aufzunehmen (zweifellos, um es bei Youtube hochzuladen).Dieses alltägliche Zusammenspiel mit der Technik erscheint uns bereits völlig selbstverständlich. Dass sich die Dichtung für die Kollaboration mit anderen Disziplinen wie Musik, Kunst, Tanz, Fotografie anbietet, ist nichts Neues, doch ihre mühelose Beziehung mit der digitalen Technik erscheint noch neu und ungewohnt. Tatsächlich ist Dichtung wegen der Kürze ihrer Form bestens für das digitale Medium geeignet und erfährt durch es eine neue Lebendigkeit mit größerer Reichweite und mehr Experimentierfreude. Es ist der Dichtung nun möglich, Sprache herauszufordern, zu bereichern und zu überschreiten.
Indische Dichtung im Internetzeitalter
Im frühen 21. Jahrhundert begann sich die Dichtung, die als Genre von Kleinverlagen abhängig gewesen war und sich oft nur ganz unten in den Verkaufsregalen fand, im Internet ein neues Publikum zu suchen. In Indien schufen Blogger und Gruppen wie Caferati Online-Plattformen für Dichter und Schriftsteller. Diese erweiterten sich zu Online-Gruppen und Lese-Treffen. Das Kala Ghoda Literature Festival in Mumbai forderte sein Publikum zur Teilnahme an einem Wettbewerb für SMS-Dichtung auf. Mit dem Aufkommen der sozialen Netzwerke begannen Dichter, die keinen Verlag finden konnten, ihre Gedichte auf Facebook zu posten, während eigens für Twitter geschriebene Texte von nicht mehr als 140 Zeichen Länge unter der Bezeichnung ‘Twihaiku’ bekannt wurden. Auch umgekehrt ließen Webseiten Tweets zu Dichtung werden.Indem die indische Dichtung so eine neue Plattform für sich fand, erreicht sie nun auch ein größeres Publikum. Heute ist es so einfach, Namdeo Dhasals Gedichte online finden, wie Óscar Hahn zu lesen.
Als die kleine Zeitschrift Abhidhanantar des Dichters und Herausgebers Hemant Divate 2008 von der Marathi-Szene verschwand, zwang dies junge Dichter aus Mangel an Alternativen, sich den sozialen Netzwerken zuzuwenden. Die Arbeiten von Ajeet Abhang, Omkar Kulkarni, Ignatius Dias, Pranav Sakhdev, Satyapal Singh Rajput, Ajinkya Darshane, Mahesh Londhe, Felix D’Souza und Treshit Siddbhatti wurden denn auch in diesem Medium entdeckt und dann von Divate veröffentlicht, als er Abhidhanantar 2014 mit dem Themenheft Facebook Ani Kavita (Facebook und Dichtung) wiederbelebte. Dennoch wurde das Internet bei diesen multidiziplinären Begegnungen allein als eine Plattform genutzt; es gab hingegen keinerlei experimentelle Trends, die von der Technik beeinflusst gewesen wären.
Trends in digitaler Dichtung
In den beiden vergangenen Jahrzehnten hat die von der digitalen Technik und dem Internet möglich gemachte Videopoesie als Format ganz klammheimlich weltweite Anerkennung erfahren.
Das künstlerische Netzwerk Peaking Duck macht in Bangalore multidiziplinäre Kollaborationen möglich. Eines der Gründungsmitglieder, Namita Malhotra, ist auch Teil des Videopoetry Collective, in dem sich 2012 Filmemacher und Poesie-Begeisterte zusammenfanden, um an der ‘unbekümmerten Erkundung der Beziehung zwischen Bild, Klang und Text in einem Videopoem’ teilzuhaben 1 . Unlängst nahm die Redaktion des Asia Literary Review am National Poetry Day Kavita Jindals Videopoems in ihre Bestenliste auf.
Wenn Initiativen wie CAMP und Khanabadosh auch die Grenzen interdiziplinärer Interaktionen und der in ihren jeweiligen gemeinschaftlichen künstlerischen Projekten vorgestellten Gedichte austesten, so steht dies nicht wirklich im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Vor kurzem wurde das Video der in Chennai ansässigen Protestrapperin Sofia Ashraf zu einem Hit im Internet. In ihrem Essay über Mizo-Dichtung weist Margaret Ch Zama ebenfalls auf die Verbindung von Musik und Dichtung hin. Nach Ansicht des Caferati-Gründers Peter Griffin allerdings muss sich erst noch beweisen, ob die Dichtung die Grenzen ihrer Form oder Mediums wirklich verschoben hat. „In der indischen Dichtung gibt es noch nicht etwas wie ‘My boyfriend came back from the war’ von Olia Lialina“, fügt er hinzu.
Die bemerkenswerte Ausweitung des Lesens – von Büchern über elektronische Geräte bis hin zu Mobiltelefonen – inspirierte die Gründer des Great Indian Poetry Collective zum Entwurf einer App für Dichtung: inPoetry. Die App wurde in Bangalore gemeinsam von dem Dichter und Verleger Minal Hajratwala und Deepthy Menon, dem Gründer der Tech-Firma One3One4, entworfen und entwickelt. Die Abonnenten von inPoetry bekommen wöchentlich ein Gedicht eines indischen Dichters zugeschickt. Der Dienst ist kostenlos und sein Ziel ist nach Aussage ihrer Gründer, „die moderne indische Dichtung zu verbreiten“. Unter den ersten Dichtern waren Ravi Shankar, Neelanjana Banerjee, Arundhathi Subramaniam, Sudeep Sen, Sridala Swami, Jeet Thayil, Vijay Seshadri wie auch die Gründer des Kollektivs, Ellen Kombiyil, Shikha Malaviya und Minal Hajratwala.
Mit Blick auf den Mainstream-Markt zielt Juggernaut mit seinen Apps auf ‚Telefon-Leser‘. Eine vor Kurzem veröffentlichte Titelliste umfasst Belletristik und Sachbücher im klassischen Buchformat, als E-Bücher sowie in Mobil-Formaten. Schon früher experimentierte auch HarperCollins India mit verschiedenen Formaten in seinem Belletristik-Angebot.
Angesichts der beschleunigten Entwicklungen auf dem literarischen Markt kann die Dichtung nicht weit zurückbleiben. In Zukunft werden wir also möglicherweise eine Serienfassung des Gilgamesch-Epos auf unseren digitalen Bildschirmen zu sehen bekommen oder computeranimierte Schriften von EE Cummings, die zwischen unseren SMS auftauchen. Die Gedichte von Kabir werden vielleicht als Klangdateien inmitten von lesbaren Worten abgelegt abrufbar sein oder es entstehen mobile Poesie-Games. Aller Schwarzmalerei und Endzeitprophetien zum Trotz wird die Dichtung so vielleicht künftig sogar eine größere Rolle in unserem Alltag spielen.
Wenn Initiativen wie CAMP und Khanabadosh auch die Grenzen interdiziplinärer Interaktionen und der in ihren jeweiligen gemeinschaftlichen künstlerischen Projekten vorgestellten Gedichte austesten, so steht dies nicht wirklich im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Vor kurzem wurde das Video der in Chennai ansässigen Protestrapperin Sofia Ashraf zu einem Hit im Internet. In ihrem Essay über Mizo-Dichtung weist Margaret Ch Zama ebenfalls auf die Verbindung von Musik und Dichtung hin. Nach Ansicht des Caferati-Gründers Peter Griffin allerdings muss sich erst noch beweisen, ob die Dichtung die Grenzen ihrer Form oder Mediums wirklich verschoben hat. „In der indischen Dichtung gibt es noch nicht etwas wie ‘My boyfriend came back from the war’ von Olia Lialina“, fügt er hinzu.
E-Zeitschriften und Apps
Abgesehen davon hat das Internet die Dichtung demokratisiert und ihr Publikum erweitert. E-Zeitschriften wie Pratilipi, The Four Quarters Magazine, Kritya, Muse India und andere sind zum einen eine Plattform für Dichter und Schriftsteller, zum anderen helfen sie den Lesern bei ihrer Suche nach Gedichten, wenn diese es leid sind, sich durch eine Masse von Werken von zweifelhafter Qualität zu wühlen. TFQ bietet sogar einen Copynet Check (eine Plagiats-Software) an, um neben der Qualität auch die Originalität der vorgestellten Werke sicherzustellen.Die bemerkenswerte Ausweitung des Lesens – von Büchern über elektronische Geräte bis hin zu Mobiltelefonen – inspirierte die Gründer des Great Indian Poetry Collective zum Entwurf einer App für Dichtung: inPoetry. Die App wurde in Bangalore gemeinsam von dem Dichter und Verleger Minal Hajratwala und Deepthy Menon, dem Gründer der Tech-Firma One3One4, entworfen und entwickelt. Die Abonnenten von inPoetry bekommen wöchentlich ein Gedicht eines indischen Dichters zugeschickt. Der Dienst ist kostenlos und sein Ziel ist nach Aussage ihrer Gründer, „die moderne indische Dichtung zu verbreiten“. Unter den ersten Dichtern waren Ravi Shankar, Neelanjana Banerjee, Arundhathi Subramaniam, Sudeep Sen, Sridala Swami, Jeet Thayil, Vijay Seshadri wie auch die Gründer des Kollektivs, Ellen Kombiyil, Shikha Malaviya und Minal Hajratwala.
Mit Blick auf den Mainstream-Markt zielt Juggernaut mit seinen Apps auf ‚Telefon-Leser‘. Eine vor Kurzem veröffentlichte Titelliste umfasst Belletristik und Sachbücher im klassischen Buchformat, als E-Bücher sowie in Mobil-Formaten. Schon früher experimentierte auch HarperCollins India mit verschiedenen Formaten in seinem Belletristik-Angebot.
Angesichts der beschleunigten Entwicklungen auf dem literarischen Markt kann die Dichtung nicht weit zurückbleiben. In Zukunft werden wir also möglicherweise eine Serienfassung des Gilgamesch-Epos auf unseren digitalen Bildschirmen zu sehen bekommen oder computeranimierte Schriften von EE Cummings, die zwischen unseren SMS auftauchen. Die Gedichte von Kabir werden vielleicht als Klangdateien inmitten von lesbaren Worten abgelegt abrufbar sein oder es entstehen mobile Poesie-Games. Aller Schwarzmalerei und Endzeitprophetien zum Trotz wird die Dichtung so vielleicht künftig sogar eine größere Rolle in unserem Alltag spielen.
Verweise
Janhavi Acharekar hat bislang drei Bücher verfasst, darunter der Roman Wanderers, All. Ihre Beiträge über Reisen, Bücher und Kunst erscheinen in führenden indischen und internationalen Publikationen. Gelegentlich kuratiert sie Literaturfestivals, wie z.B. das Kala Ghoda Festival, Crossword oder Celebrate Bandra in Mumbai. In Bangalore war sie Mitbegründerin und Kuratorin des multidisziplinären Festivals Litmus.
Janhavi Acharekar
Übersetzung: Nils Plath
Übersetzung: Nils Plath