Vielfalt in der Telugu-Dichtung
Die Telugu-Gegenwartsdichtung ist von einer reichhaltigen Mischung unterschiedlicher Stimmen geprägt. Sie erzählen von den diversen Konflikten in der Region.
In der Telugu-Gesellschaft gab es zu allen Zeiten Konflikte. Dies spiegelt sich in der Literatur wider. Auf Klassenkampf folgte Identitätspolitik. Während der vergangenen 25 Jahre sind dann Bewegungen zu beobachten, in denen sich Frauen, Dalits, Muslime und die Volksgruppe der Telangana für eine demokratischere und menschlichere Gesellschaft einsetzen. Die neuen sozialen Bewegungen begegnen sowohl den organisierten Kämpfen von damals als auch den traditionellen und marxistischen Philosophien mit Misstrauen. Die ideologische Landschaft von Telugu hat das verändert. Sprache und Redewendungen, Stil und Ästhetik der Literatur wurden aufgefrischt und neu definiert, was gleichzeitig einen Politikwandel angeregt hat. Dichtung wurde zum Medium für die aufstrebenden Intellektuellen. Über die Dichtung verleihen sie ihrem Unmut Ausdruck, artikulieren soziale Forderungen und stellen die Herrschaftsordnung in Frage. Die Telugu-Gegenwartsdichtung von Feministinnen, von Dalits und von muslimischen Dichtern ist jeweils deren eigenen sozialen Erfahrungen verpflichtet. Sie feiert Würde, Selbstrespekt und Stolz.
Fortschrittliche Literatur gegen den Feudalismus
In der Sprachgemeinschaft der Telugu setzte die fortschrittliche, vom Marxismus inspirierte Literatur (Abhyudhava und Viplava) den literarischen Maßstab. Es ist eine Revolte gegen die klassische Literatur (Sampradaya Sahityam) und gegen die romantische Literatur (Bhava Kavitvam) aus der Zeit zwischen 1920 und 1940. Die revolutionären Kämpfe während der Siebzigerjahre ließen eine revolutionäre Literatur (Viplava Sahityam) entstehen, die bis in die 1980er-Jahre bestimmend blieb. Die Dichter protestierten gegen die faschistische Ideologie, den Feudalismus und den Kapitalismus und unterstützten zugleich die junge Demokratie und den Sozialismus. Die fortschrittliche Literatur handelte vom Humanismus, der Revolution und einer klassenlosen Gesellschaft (Rythu coolie rajyam).Zwischen 1950 und 1980 war der Dichter Sri Sri (1910–1983) das personifizierte Symbol dieser Tradition. Neben der fortschrittlichen Dichtung gab es innerhalb der Telugu-Dichtung weitere Strömungen wie Anubhuthi (empirisch) und digambara (nackt). Die Schriftsteller wie die Leser all dieser literarischen Richtungen waren fast ausnahmslos männliche Angehörige der oberen Kaste. Seit ungefähr 1980 traten dann zunehmend selbstbewusste Intellektuelle aus den niederen Kasten sowie Frauen in die Öffentlichkeit. Sie entlarvten die Seichtigkeit der Moderne und des Fortschritts, die in der literarischen Welt seinerzeit als gültige Werte galten.
Feministische Dichtung gegen das Patriarchat
Seit 1985 wurde die feministische Dichtung zu einer starken Stimme gegen das Patriarchat. Um 1990 herum war sie als eigenes Genre in der Telugu-Literatur etabliert. Feministische Schriftstellerinnen kritisierten den Körper-Mythos und althergebrachte Vorstellungen von prativravytam (Keuschheit), Mutterschaft und Hausarbeit und setzten sich für Freiheiten ein. Neelimeghalu 1 (1993) und Gurichoosi Pade Pata(1990)2 waren wichtige frühe kollektive Anthologien feministischer Dichtung.Jayaprabha3, Kondepudi Nirmala4 , Vimala5, Volga, Vasanta Kannabiran, Mahe Jabeen, Patibandla Rajini, Ghantasala Nirmala, Revathi Devi, Silololitha, S. Jaya, K. Geetha, Savitri, Mokkapati Sumathi, Mandavarapu Hymavathi, Ravulapalli Suneetha, K. Varalakshmi, B. Padmavathi, Challapalli Swaroopa Rani, M. M. Vinodini, Jupaka Subhadra und Jelli Indira zählen zu den bekannten feministischen Dichterinnen in der Telugu-Dichtung.
Die Bewegung sagte man mir
will mich verbrennen,
ich will die Sonne umarmen.
einmal nur... so bin ich.
Ich wollte immer tun,
was verboten war.
(Mahe Jabeen, Physical Geography) Blicke
aus zwei Augen
Pfeile wie Nadeln
wandern ungehindert über die Fleischklumpen… Ein Tag wird kommen,
an dem die Frauen in diesem Land
Dornen haben werden
nicht nur in ihren Augen
sondern überall an ihren Körpern
(Jayaprabha, Choopulu6)
Zu Kritikerinnen der feministischen Dichtung wurden Dalit-Frauen, als sie anfingen, das unterdrückerische Kastenwesen zum Thema zu machen, unter dem die Dalit-Frauen neben der Geschlechterdiskriminierung litten. Mit den Worten der feministischen Dalit-Schriftstellerin Challapalli Swaroopa Rani:
Wann gehört mein Leben wirklich mir
Wo die häusliche männliche Überheblichkeit
meine Wange brennen lässt
während auf der Straße die Kasten-Überheblichkeit
die andere Wange aufplatzen lässt
(Mankena Poovu7, 2005)
Dalit-Dichtung für Selbstachtung
Die literarische Bewegung der Dalits entstand aus den Dalit-Kämpfen gegen die Kasten-Gräueltaten, besonders nach dem Karamchedu-Massaker (1985) und dem Chunduru-Massaker (1991). Die Kritik galt sowohl dem Brahmanismus als auch seinen Gegenspielern, etwa dem Marxismus. Die Kritiker sahen im Kastenwesen die Hauptverantwortung für die soziale Wirklichkeit und setzten sich für eine kastenlose Gesellschaft ein. Bestimmte verdammte Symbole (wie beispielsweise Sambhuka oder das Musikinstrument Dappu) und Lebensstile (z.B. das Essen von Rindfleisch, die Benutzung von Kasten-Titeln und die Dalit-Sprache) wurden zu Symbolen des Widerstandes umgedeutet. Lyrik-Anthologien aus den frühen 1990er-Jahren wie Chikkanavvutunna Pata8 (1995), Dalit Manifesto (1995) oder Padunekkina Pata9 (1996) wurden stilbildend für die Dalit-Dichtung.Die Dalit-Bewegung hat viele junge, vielversprechende Dichter hervorgebracht. Führende Köpfe der Bewegung wurden zu Dichtern. Zu diesen gehören Madduri Nagesh Babu (Veliwada10, 1997; Meerevutlu11, 1998; Rachabanda12, 1997; Naraloka Prarthana13, 2002; Vidi Aakasam14, 1999), Kalekuri Prasad, Pydi Teresh Babu (Alpapeedanam15, 1999; Hindu Maha Samudra16, 1999; Nenu Naa Vintalamari Prapamcham17, 2007), Satish Chander (Panchama Vedam18, 1995), Kathi Padma Rao (Nallakaluva19 , 1996; Neeli Keka20, 1998; Mulla Kireetam21, 2002; Bhhomi Bhasha, 2004; Kattelamopu22, 2007), Bojja Tarakam (Nadiputtina Gonthuka23, 1983), K. G. Satyamurthy alias Sivasagar (Sivasagar Kavitvam24, 2004), Gaddar (Gaddar Patalu25, 1999), Gorati Venkanna, Masterjee, Yendluri Sudhakar (Varthamanam26, 1985; Kotha Gabbilam27, Vargeekaranam28, 2000), Sikhamani (Chilaka Koyya29, 1993; Kirrucheppula Bhasa30, 2000; Tavvakam31, 2009), Nagappagari Sunderraju (Chandala Chatimpu32, 1996), Vemula Yellaiah, Challapalli Swarooparani (Manankena Poovu33, 2005), Salandra, Sambhuka, Thullamalli Wilson Sudhakar (Dalita Vyakaranam34, 2011) M. Vinodini (Onti Nittadi Gudise35, 1995) Joopaka Subhadra, Darla Venkateswara Rao (Dalita Tatvikudu36, 2004), G. V. Ratnakar (Matti Palaka37, 1999), P. C. Ramulu, Juluri Gowrisankar (Paadamudra38, 1996 ) und Prasada Murthy.
Dalit-Dichter protestierten gegen die gesellschaftliche Praxis der Unberührbarkeit und erhoben die Stimmen für eine “Faust voll Selbstachtung”:
Ich bin immer noch ein verbotener Mensch
Ausgeschlossen ist mein Atmen
... Der Moment, an dem er das Verbot in mein Gesicht
einschrieb,
wurde meine Rasse
nach und nach ermordet
(Yendluri Sudhakar, Varthamanam, 1992). Ich bin die Wunde des Volkes, eine Gemeinschaft der Wunden.
Seit Urzeiten, als Sklave in einem freien Land,
der Adressat von Beleidigungen, Gräuel, Vergewaltigung, Folter,
ein jemand, der seinen Kopf für eine Faust voll Selbstachtung erhebt.
Schon meine Existenz allein in diesem Land, betrunken von Kastendenken und Reichtum,
ist ein Widerstand.
(Kalekuri Prasad, Pidikedu Aatma Gourvam Kosam39, 1991) Die Dichter entwarfen eine alternative Geschichtsschreibung, um den Figuren der brahmanischen Mythologie etwas entgegenzusetzen. Sie nutzten dafür alternative Symbole, wie Ekalavya and Sambuka (Siva Sagar, Nadustunna Charitra).
Aus den Stümpfen jener Daumen sprießen nun stählerne Füllfederspitzen
um die Geschichte umzuschreiben.
(Sikhamani, Vade Asuddha Manavudu40, 1984). Dalit-Literatur erhebt die Forderung nach Bürgerrechten und sozialer Gerechtigkeit, die ihnen seit Generationen vorenthalten werden:
Ich will ein echtes Bürgerrecht
Wirst Du es mir geben? ... Ich will eine Berührung
Ich möchte, dass du meine Hand mit deinem Herzen schüttelst
(Madduri Nagesh Babu, Nakem Kavali41, 1998).
Zuspitzung der Identitätspolitik: Madiga-Dichtung, muslimische Dichtung und Telangana-Dichtung
Dadurch, dass sich neue Identitäten wie Madiga, Muslime und Telangana Geltung verschafften, wurde die Landschaft der Telugu-Literatur verändert. Dalit-Literatur hat sich durch die Selbstbehauptungen neuer sozialer Teilhaber in der Dalit-Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts ebenfalls gewandelt. Madiga-Dichtung (Madiga Chaitanyam) und Bahujana-Dichtung (Ventade Kalalu, Dichtung der zurückgebliebenen Kasten) haben die Dalit-Dichtung weiter demokratisiert. Nach den Gujarat-Unruhen von 2002 entstand die Telugu-Muslim-Dichtung als neue dichterische Strömung. Die Anthologie Jal Jala42(1998), die der Wut und der Verunsicherung der Gemeinschaft eine Stimme verlieh, ist Ausdruck dessen.Lange vor meiner Geburt
Wurde mein Name auf der Liste der Verräter geführt … Ja, mein Geburtsmal bin ich
Meine Existenz, mein Bürgerrecht
Es ist mein angestammtes Eigentum
Von der Erde ererbt
Dem Himmel, der Luft
Den Umgebungen, in denen ich lebe
Es ist eine sich nicht schließende Wunde
(Khadar Mohiuddin, Puttumacha43, 1991) Skybaba (hg. Jaljala, 1998), Khaza (Fatwa44, 1998), Shajahana (Nakhab45, 2005), Anwar (hg. Aja46, 2002), Iqbal Chand (Black Voice, 1995), Khasim Shaik, Afsar (Valasa47, 2000), Yakoob (Sarihaddu Rekha48, 2002), Haneef und Mahe Jabeen gehören zu den bekannten muslimischen Stimmen.
Die Telangana-Dichtung entstand in Folge der Auseinandersetzung um einen eigenständigen Staat Telangana. Sie ist eine Hymne auf den Stolz Telanganas, auf seine Kultur, sich der Ausbeutung der Region zu widersetzen und auf die Sehnsüchte seines Volkes. Sowohl Dalit-, Bahujan-, muslimische und weibliche Schriftsteller als auch Kulturschaffende wie Gaddar und Gorati Venkanna mit Dhoom Dham (Große Kulturelle Ausstellung) spielen eine Schlüsselrolle in der Telangana-Literatur. Die Dalit-Performance-Poeten Gaddar, Gorati Venkanna und Andesree sind die treibenden kulturpolitischen Kräfte der Separatismus-Bewegung in Telangana.
Gegenwärtig befindet sich die Telugu-Dichtung an einer Wegscheide: Sie sucht einen demokratischen Weg in die Zukunft.
Verweise
- „Blaue Wolken“
- „Das Lied, das gesungen wird, während zu zielst“
- Yuddhonmukhamga (Über den Kriegsfuß),1986; Vaamanudi Moodo Paadam (Das dritte Bein von Vamana)1988; Ikkada Kurisina Varsham Ekkadi Meghanidi, 1991; Yasodharaa YeeVagapemduke, 1993
- Kondepudi Nirmala Kavitvam (Die Dichtung von Kondepudi Nirmala), 2012
- Adavi Vuppongina Ratri (Die Nacht des Aufstand des Waldes), 1990; Mrugana (Suchen), 2008
- „Blick“
- „Die Red Mankena-Blume“
- „Verdichtungslied“
- „Zuspitzungslied“
- „Unberührbarer Ort“
- „Was für ein Volk seid Ihr?“
- „Dorfplatz“
- „Ein Gebet für diese Welt“
- „Ein anderer Himmel“
- „Senke im Ozean“
- „Der große Hindu-Ozean“
- „Ich und meine Wunderwelt“
- „Der fünfte Veda“
- „Schwarzer Lotus“
- „Der blaue Ruf“
- „Die Sprache der Erde“
- „Das Feuerholzbündel“
- „Die Stimme, aus der der Fluss entsprang“
- „Die Dichtung von Siva sagar“
- „Die Lieder von Gaddar“
- „Die Gegenwart“
- „Die neue Fledermaus“
- „Kategorisierung“
- „Der hölzerne Kleiderbügel“
- „Die Sprache der Sandalen macht einen Kirru -Geräusch“
- „Graben“
- „Die öffentliche Bekanntmachung des Unberührbaren“
- „Die rote Mankena-Blume“
- „Dalit-Grammatik“
- „Hütte mit einer Stütze“
- „Der Dalit-Philosoph“
- „Die Tontafel“
- „Fußabdruck“
- „Für eine Faust voll Selbstachtung“
- „Der Typ ist der unreine Mensch“
- „Was ich will“
- „Erdbeben“
- „Geburtsmal“
- „Erlass“
- „Der Schleier“ (muslimisch-feministische Dichtung)
- „Gebetsruf“
- „Migration“
- „Grenzlinie“
P Kesava Kumar ist Schriftsteller und Professor am philosophischen Institut der University of Delhi. Die University of Hyderabad verlieh ihm seinen Doktorgrad. Er ist der Autor der Werke “Political Philosophy of Ambedkar: An Inquiry into the Theoretical Foundations of the Dalit movement”, “Jiddu rishnamurti: A Critical study of Traditio” and “Revolution und Dalita Vudhyamam: Velugu Needalu” (Eine Aufsatzsammlung über die Dalit-Bewegung in Telugu). Er ist mit der Telugu Zeitschrift Bahujana Keratalu assoziiert und unterhält einen eigenen Blog auf der
Seite „untouchablespring.blogspot.in“