Chronik

Neue Dichtung genießen

Savita Singh; Foto: Andrea FernandesFoto: Goethe-Institut / Andrea Fernandes

Die Dichter-Professorin Savita Singh durchquert viele Welten. Sie ist eine Professorin an der School of Gender and Development der Indira Gandhi National Open University (IGNOU) in Delhi. Sie schreibt ihre Gedichte auf Englisch und in Hindi und sie sind in mehrere Sprachen übersetzt worden. Savita Singhs Gedichte drehen sich oft um feministische Fragen.
Mit ihrer Gedichtsammlung Apne Jaisa Jeevan (Ihr eigenes Leben) gewann sie 2002 den Delhi Hindi Academy Award.

Savita nahm am südostasiatischen Begegnungs-Workshop Poets Translating Poets in Delhi teil. Dort sprachen wir über ihre Erfahrungen während des Workshops und ihren poetischen Geisteszustand.

Kannst Du etwas über die Erfahrungen mit den Übersetzungen hier erzählen? 

In meinen Augen war es ein sehr professioneller Vorgang. Es gab einen Zeitplan, eine bestimmte Anzahl von Gedichten, die es zu übersetzen gilt, und eine komplexe Vorgehensweise, um das bewerkstelligen. Die Komplexität entsteht dadurch, dass zwei Personen sich gegenseitig ihre Gedichte direkt und wörtlich übersetzen – ganz ohne weitere Hilfestellungen abgesehen von der ‚Spezialisten’-Unterstützung, die man von der Interlinear-Übersetzerin erhielt.

Ich fand es von Vorteil, dass alle darauf verzichten sollten, sich für das Übersetzen beim Englischen zu bedienen. Das Englische lässt die Leute nach Abkürzungen suchen; das Englische lässt einen nach Wissen streben, weil es einfach leichter zugänglich ist. Wenn man diese Sprache als ein Medium ausschließt, dann wird das Verhältnis zwischen Hindi und Deutschen schwieriger, der Prozess aber ist insgesamt viel bereichender.

Wie war es, einen deutschen Gegenwartsdichter zu übersetzen? 

Man versucht, die Perspektive des anderen zu verstehen – es gibt einen inter-kontextuellen und intersubjektiven Raum, der neu ausgelotet werden muss. Das verleiht der Dichtung etwas Neues. Einige Bilder im Deutschen sind so ‚originell’. Die muss man mit bestem Vermögen übersetzen; und dennoch heißt es, die Unterschiede anzuerkennen. Ich hatte zuvor klassische deutsche Dichter gelesen, aber der Raum der zeitgenössischen deutschen Dichter war etwas Neues. Die Erfahrung, ihre Werke in ihrer Gegenwart zu übersetzen, ist etwas Besonderes.

Denkst Du an Dein Hindi-sprechendes Publikum, wenn Du Texte aus einem unbekannten Kontext übersetzt?

Ich bin den Lesern gegenüber sehr einfühlsam. Dichtung ist etwas für Leser. Sie sind diejenigen, die unsere Dichtung erhalten, sie sind ihre Garanten. Ich denke stets an meine Leser, wenn ich schreibe oder übersetze. Man muss sich eingestehen, dass die Dichtung einen auch narzisstisch werden lassen kann – und dass mir das bewusst geworden ist, hat meine Arbeit vorangebracht. Wenn ich also deutsche Gedichte in Hindi übertrage, dann bin ich mir der Leser und ihrem Maß an Behaglichkeit sehr bewusst.

Wie gehst Du damit in Deinen Übersetzung um? 

Nun, die Dichtung hat ihre Art, Dich zu erreichen, selbst wenn es die Dichtung von anderen ist. Wenn Du es ernst meinst und es wirklich zu verstehen versuchst, dann kapierst Du es. Ich beispielsweise fand eines von Gerhards Gedichten sehr kompliziert und dicht. Es kostete mich zwei Tage, es zu durchdenken und es wörtlich zu übersetzen. Und dann öffnet es sich einem. 
Seine Gedichte werden zu meinen Gedichten, denn sie sind in meiner Hand. In dem Sinne handelt es sich nicht um eine Übersetzung, sondern um eine ‚Transkreation’. Den Lesern muss man alles verstehbar machen. Die poetischen Anteile müssen nachgedichtet werden. Es kommt darauf an, wie gut und in welcher Weise man seine eigene Sprache kennt.

Was ließ Dich während dieses Workshops nicht schlafen?

Das Genießen von neuer Dichtung, die mich erreicht hat. Ich denke oft an die Bilder in diesen Gedichten – sie rufen vielfältige Gefühle hervor. Ich denke über sie nach. Zum zweiten sind es Gedanken über das, was ich gerade schreibe und darüber, wie ich es schreibe – und wie lange ich schreiben kann. Es ist eine bewegende Zeit. 

Wie sieht es mit der Auseinandersetzung mit dem Gegenüber aus, mit dem anderen Dichter? Kannst Du etwas zu den Machtverhältnissen sagen?

Übersetzen ist ein Vorgang, in dem Machtverhältnisse eine Rolle spielen. Es gibt eine gewisse soziale Rangordnung, die der Vorgang kopiert – wie das Patriachat. Es kann sich eine Nachbildung von patriachalen Verhältnissen ergeben. Frauen wurden im Allgemeinen nicht als Schriftstellerinnen anerkannt, nicht einmal die guten unter ihnen. Um überhaupt veröffentlichen zu können, mussten sich Frauen immer ans Übersetzen halten. Entweder dies – oder sie mussten männliche Pseudonyme annehmen wie George Elliot.

In unserem Fall sind wir sowohl Dichterinnen wie Übersetzerinnen – es gibt eine Umkehrung der Rollen. Zunächst bin ich auf der einen Seite die Dichterin, dann auf der anderen die Übersetzerin. Weil es diese Gelegenheit zur Umkehrung der Rollen gibt, gibt es einen Ausgleich im dauernden Ringen. Es gab ausreichend Anerkennung für die anderen wie auch einen selbst, während wir unsere individuellen Stimmen lebendig hielten. Das erzeugt nicht nur bloße Übersetzung, sondern lässt ‚Dichtung in Übersetzung’ entstehen.
Das Interview führte Rashmi Dhanwani.
Sie ist die Gründerin von The Art X Company und ist redaktionelle Beraterin des Goethe-Instituts Mumbai.
Übersetzung : Nils Plath