Klimawandel
„Wir brauchen keine Ökodiktatur“
Der Klimaschutz rückt in Pandemiezeiten scheinbar in den Hintergrund. Das mag vielen in gewisser Hinsicht sogar gelegen kommen: Die Aussicht, dass sie auf ihre Ressourcen verschwendende Lebensweise verzichten müssen, empfinden viele Menschen eher als Bedrohung, denn als Chance. Trotzdem glaubt der Soziologe und Herausgeber des Magazins „Futurzwei“, Harald Welzer, dass sich Menschen von den Vorzügen einer klimaschonenden Gesellschaft überzeugen lassen.
Von Wolfgang Mulke
Herr Welzer, ein Jahr Corona heißt auch ein Jahr Selbst- und Fremdbeschränkung – und die Leute haben es jetzt schon satt. Für die ökologische Transformation ist mehr und dauerhafter Verzicht notwendig. Lässt sich dies überhaupt vermitteln?
Ich glaube gar nicht, dass der Begriff Verzicht angemessen ist. Es geht um Gestaltung, um zivilisatorische Güter wie Freiheit und Lebenssicherheit zu erhalten. Doch es gibt eben keine gesellschaftliche Veränderung, gegen die nicht jemand protestiert. Das ist ja rituell. Es geht um Besitzstandswahrung: Wo sich jemand bedroht sieht, beginnt er zu protestieren.
Der Soziologe und Sozialpsychologe Harald Welzer gibt als Direktor der Stiftung Zukunftsfähigkeit auch das politische Magazin „Futurzwei“ heraus.
| Foto (Detail): © Jens Steingässer
Brauchen wir so etwas wie eine Ökodiktatur, die klare Verhaltensweisen vorschreibt, um die notwendigen Veränderungen durchzusetzen?
Nein, wir brauchen keine Ökodiktatur. Aber gesellschaftlicher Fortschritt ist nie konfliktfrei. Da können Sie die ganze Geschichte der Moderne durchgehen. Dass wir heute ein Arbeitsschutzgesetz haben, ein Mitbestimmungsgesetz, den Acht-Stunden-Tag, die Sozialversicherung – das ist alles erst einmal erkämpft worden. So läuft es in einer modernen, rechtsstaatlichen Demokratie.
Muss denn nicht auch eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung erzeugt werden?
Allgemeine Akzeptanz ist eine Illusion. Es ist doch eine kindliche Vorstellung, dass immer alle das bekommen, was sie haben wollen. Und dass Politik böse ist, wenn sie es nicht kriegen. Schauen Sie sich Entwicklungen an, die durch Protest entstanden sind. Schauen Sie sich die Debatte über Feminismus und Geschlechtergerechtigkeit an. Sie läuft ganz anders als noch vor 30 oder 40 Jahren. Dieser Fortschritt wurde hart errungen und nicht erreicht, weil alle Männer sich plötzlich einsichtig zeigten.
Die Hersteller großer SUVs werben mit Bildern, die Freiheit und Komfort versprechen. Welche Geschichte könnte den Konsumverzicht positiv besetzen?
Das Ungleichgewicht in der Wahrnehmung entsteht dadurch, dass die Konsumgesellschaft pausenlos gute Geschichten über sich erzählt, während die Umwelt- und Klimabewegung nur Geschichten über den Untergang des Planeten und über Genügsamkeit verbreitet. Das ist kommunikativ betrachtet ein riesiges Problem. Man muss anders darüber reden – über gestalten, nicht über verzichten. Wir haben ja Gründe, unsere Gesellschaften zu modernisieren. Wir können öffentliche Mobilität viel besser organisieren. Wir können Wohnformen verbessern und ländliche Räume aufwerten. Und wir können eine andere Landwirtschaft und Ernährung erreichen. Dafür bräuchten wir kein einziges negatives Argument.
Warum erzählt niemand diese Geschichte?
Machen wir ja bei Futurzwei, aber schauen Sie sich den Wahlkampf an: In den Parteiprogrammen der im Bundestag vertretenden Parteien ist nichts drin, was mit einem Aufbruch zu tun hätte. Was dort steht, ist alles aus dem 20. Jahrhundert. Wie soll so die Idee entstehen, dass es attraktiv und spannend wäre, sich in eine andere Gesellschaft aufzumachen? Eine Politik nach Umfrageergebnissen ist leider die Regel, aber das ist nicht mehr als ein missverstandener Lieferservice. Die etablierten Parteien müssen neue Geschichten erzählen. Trauen sie sich nicht, muss es die Zivilgesellschaft übernehmen.
Feminismus sah vor 40 Jahren anders aus als heute: Demonstration zum Weltfrauentag 2021 vor dem Brandenburger Tor in Berlin.
| Foto (Detail): © picture alliance/dpa/Jörg Carstensen
Wer muss einspringen, wenn die Parteien versagen – Fridays for Future zum Beispiel?
Zivilgesellschaftliche Bewegungen wie die Fridays for Future übernehmen dies, zum Teil aber auch Wirtschaftsbereiche, etwa die Finanzwirtschaft. Da ist Nachhaltigkeit ein großes Thema. Auch bestimmte Produktionsbereiche stellen auf Dekarbonisierung um. Die Gesellschaft ist in Teilen viel weiter als die Politik.
Können Minderheiten tatsächlich etwas bewegen?
Soziale Bewegungen sind immer Minderheitenbewegungen. Schauen Sie sich den Einfluss von Fridays for Future an. Die Bundesregierung hätte das Klimapaket von 2019 niemals geschnürt, wenn es diese Bewegung nicht gäbe und doch ist es eine kleine Minderheit.
Wie kann ein kulturelles Leitbild für eine klimaneutrale Gesellschaft aussehen?
Ich will, dass wir über andere Dinge sprechen als Verzicht und andere Wertigkeiten transportieren. Worüber reden Leute, wenn sie kurz vor dem Tod Bilanz ziehen? Da sagt doch kein einziger, ich habe zu wenig bei Amazon eingekauft. Die Menschen sagen, ich habe zu wenig mit meinem Sohn geredet. Ich habe mich zu viel um meine Termine und zu wenig um meine Familie gekümmert. Die Leute reden über Beziehungen, nicht über Konsum. Das ist mein zentrales Argument: Beziehungen sind das Wichtigste, denn durch mehr Konsum wird das Glücksgefühl nicht gesteigert. Es gibt viele schöne Erlebnisse, die mit Warenkonsum nichts zu tun haben. Wenn die Leute den Nutzen der ökosozialen Transformation erkennen, werden sie diese auch gut finden.
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