Deutsche Spuren im Libanon
„Die Fälschung“ – Film und Realität verschmelzen in Beirut

Filmaufnahmen in Downtown Beirut
Filmaufnahmen in Downtown Beirut | © 1981 Eberhard Junkersdorf

 Der deutsche Regisseur Volker Schlöndorff stand 1980 am Scheideweg: Gerade hatte er als erster Deutscher einen „Oscar“ in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ für seine Brechtverfilmung „Die Blechtrommel“ gewonnen und eine erfolgreiche Karriere in Hollywood stand unmittelbar bevor. Doch, so erinnert er sich, hätte dies das Ende seiner Freiheit bedeutet. Um aus der Hollywood-Welt auszubrechen, vielleicht auch um sich der eigenen Freiheit zu vergewissern, wählte der deutsche Regisseur einen Stoff, der so gar nicht nach Hollywood passte.  

Schlöndorff verfilmte den Roman „Die Fälschung“ von Nicolas Born über den Krisenjournalist Laschen, der vor Eheproblemen in den Libanon flieht, um über den dort wütenden Bürgerkrieg zu berichten. Die Kulissen für den Film schufen allerdings nicht Bühnenbauer, sondern der libanesische Bürgerkrieg selbst: Schlöndorff drehte seinen Film mitten im noch immer heiß umkämpften, doch schon völlig zerstörten Stadtzentrum Beiruts.

Bevor der Bürgerkrieg 1975 ausbrach und den Libanon für fünfzehn Jahre ins Chaos stürzte, galt Beirut als „Paris des Ostens“, das neben Kairo die Hauptstadt des arabischen Films war. Fünf Jahre nach Kriegsbeginn begann Schlöndorff mit den Dreharbeiten. Es war ihm gelungen Bruno Ganz
für die Rolle des Reporters Laschen, der zunehmend an seinem eigenen Beruf zweifelt, und Hannah Schygulla für die Rolle der deutschen Botschaftsangestellten Arianna zu gewinnen. Die erste gemeinsame Szene der beiden spielte in der deutschen Botschaft – gedreht wurde jedoch in den Räumen des Goethe-Instituts in Westbeirut.

Schlöndorff sah sich selbst in der Nachfolge des italienischen Regisseurs Roberto Rossellini, der für seinen Film „Deutschland im Jahre Null“ das nach dem Zweiten Weltkrieg völlig zerbombte Berlin als Setting nutzte. Der Unterschied war nur, dass der Krieg in Beirut noch in vollem Gange war. Um überhaupt im Stadtzentrum filmen zu können, traf sich der Regisseur mit allen Kriegsparteien und vereinbarte einen „künstlerischem Waffenstillstand“, doch noch immer galt es vorsichtig zu sein. Bisweilen verschmolzen Film und Realität: Bruno Ganz musste während des Drehs in der zerstörten Altstadt nicht nur auf das Drehbuch achten, sondern auch darauf, Querstraßen nur mit geduckter Haltung zu passieren, um nicht von Scharfschützen getroffen zu werden. Kinder, die am Filmset Leichenteile aus Plastik herumliegen sahen, brachten am nächsten Tag echte menschliche Überreste mit sich zum Dreh. In den Wochen nach Ende des Drehschlusses reiste Hannah Schygulla vier Wochen lang durch den Libanon, wie die von ihr gespielte Arianna auf der Suche nach einem Waisenkind, das sie adoptieren könnte. Nicht eine Platzpatrone wurde während des gesamten Drehs verwendet. Die libanesischen Statisten, die jeden Morgen in Beirut gecastet wurden, bestanden auf echter Munition und einige von ihnen fanden sich in der Nacht in den Rängen verschiedener Milizen wieder.

Schlöndorffs Werk, das zwar an Pyrotechnik und Extra-Explosionen nicht sparte, führt dem Zuschauer noch heute vor Augen, wie Beirut im Bürgerkrieg aussah. Aus dem völlig zerstörten Holiday Inn, das zwischen 1975-1976 im „Battle of Hotels“ heiß umkämpft war und bis heute als Symbol des Bürgerkriegs gilt, ließ er für „Die Fälschung“ erneut Rauch aufsteigen. Die im Film zu sehende Innenstadt ist inzwischen abgerissen und als luxuriöses „Downtown“ wieder aufgebaut worden. Obwohl der Film eine fiktive Geschichte erzählt, verdeutlicht er sehr eindrücklich den von der Gewalt der Milizen geprägten Alltag in Beirut. Dass es zu einem „künstlerischen Waffenstillstand“ kam, sodass der Film überhaupt erst möglich wurde, ist dadurch zu erklären, dass alle Milizen in ihm die Chance zu einer positiven Berichterstattung über ihre Gruppe sahen. Inwiefern die Entstehung von Schlöndorffs medienkritischem Film ethisch vertretbar ist, hat der Zuschauer selbst für sich zu entscheiden.

Wer „Die Täuschung“ in den 80er Jahren nach seinem Erscheinen sah und auf ein baldiges Ende des Bürgerkriegs hoffte, wurde enttäuscht. Denn wie der Filmtitel, so war auch der „künstlerische Waffenstillstand“ nicht mehr als eine Täuschung. Als 1981 alles im Kasten war, flammten die Konflikte wieder auf, der Waffenstillstand wurde beendet und die Milizen gingen zu ihrem Tagesgeschäft über. Dafür hatte der Regisseur nur einen schwachen Trost über: „Der Film ist zu Ende, die Wirklichkeit geht weiter.“ Keiner der Waffenstillstände der nächsten zehn Jahre sollte Bestand haben. Erst 1990 wurde ein lang anhaltender Frieden geschlossen.






 

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