Fotostory „Ein Tag mit Mangirdas“

Marijampolė

Rita Stankevičiūtė

Ich bin Fotografin und Performance-Künstlerin und habe verschiedene Kunstprojekte realisiert, deshalb habe ich mich aus Neugier diesem Projekt angeschlossen. Rugilės Idee, etwas über Menschen mit Behinderungen zu machen, stieß gleich auf mein Interesse. So entstand die Geschichte über Blinde. In meinem eigenen Umfeld kannte ich bisher niemanden mit einer Sehbehinderung. Dies war für mich eine neue Erfahrung. Ich realisierte, dass beim Umgang mit Sehbehinderten der Unterschied darin bestand, dass man ihnen oft den Arm reichen und gemeinsam gehen muss. Mit Mangirdas fühlte ich mich wohl. Es war eine so freundliche Geste, die dazu anregte, eine engere Beziehung einzugehen.

Ich entwarf den Plan für Mangirdas’ Fotostory beim Hören der Interviews mit ihm für unser Audio-Feature. Ich notierte Einzelheiten seiner Erzählungen und die Orte, die er erwähnte. So schälten sich meine Porträts von Mangirdas heraus: die Freundschaft mit Rugilė, die Radiosendung, die Erinnerung an den Abend in der „Blind Disco“ und auch sein Wunsch, ein Theater zu besuchen.

Der erste Tag unserer Freundschaft war ein sehr heller und sommerlicher Tag. Ich fuhr zu Mangirdas nach Hause und lud ihn ein, einen Tag gemeinsam in der Stadt zu verbringen. Auf dem Basanavičius-Platz stehend besprachen wir, wie das Foto-Shooting ablaufen sollte. Ich fragte ihn, wie er die Stadt erlebt und hört, in der er lebt. Ich spürte, wie die Menschen uns beobachteten. Mangirdas führte mich zu seinen Lieblingsplätzen. Dort wollte ich ihn fotografieren; deshalb besuchten wir den Hauptplatz der Stadt und den Park der Poesie.

An jenem heißen Sommertag fuhren wir gemeinsam zum Schauspielhaus von Marijampolė. Mangirdas hatte erwähnt, es sei sein Traum, einmal eine Theatervorstellung zu besuchen. Kaum waren wir aus dem Wagen gestiegen, raste ein Auto an uns vorbei und krachte wenige Sekunden später in die steinerne Mauer, die den Kirchhof der Erzengel-Michael-Basilika umgibt. Mangirdas bekam einen Riesenschreck von dem lauten Geräusch und flüchtete zurück in mein Auto. Beide standen wir unter Schock und einer Welle von Adrenalin. Der ruhige Tag war ins Chaos gestürzt. Einerseits fühlte ich mich verantwortlich für Mangirdas, andererseits galt es, Hilfe für den Autofahrer zu holen. Und gleichzeitig drang aus der Kirche friedlicher Chorgesang...

Ich entschied mich für das Fotografieren mit analogem Film, um die kreative Persönlichkeit näher kennenzulernen, die ich in Mangirdas sah.
 
Was würde ein Kino, ein Theater oder ein Museum für uns bedeuten, wenn wir nicht sehen könnten? Wahrscheinlich wäre es nur ein Ort, an dem etwas Interessantes passiert, aber nicht für uns. Seit jeher gibt es die Möglichkeit visuelle Informationen an Nicht-Sehende zu vermitteln – durch sprechen, erzählen, beschreiben. Genau das haben wir mit den Aufnahmen aus Mangirdas‘ Alltag gemacht: Wir haben sie mit Texten beschrieben. In der Wissenschaft nennt man das Audiovisualisierung. Das Wesen dieser Methode besteht darin, die Bilder in Worten nachzuerzählen: visuell, umfassend, objektiv.

Wir laden alle, die die Fotos ansehen, ein auch die Beschreibungen zu lesen: Der Text wird Ihnen helfen Details wahrzunehmen, die Stimmung zu spüren und tiefere Bedeutungen zu entdecken.

Die Bildbeschreibungen in der Fotostory „Ein Tag mit Mangirdas“ wurden von Dr. Laura Martinkutė, einer Expertin für Audioaufnahmen, verfasst.

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