Auf falschen Fährten - Kriminalliteratur als Spiegel der Gesellschaft © Goethe-Institut Riga / Roberts Rūrāns

Deutsche Kriminalliteratur
Viel Masse, wachsende Klasse

Erfolgreich, aber nicht immer große Literatur: deutsche Krimis
Erfolgreich, aber nicht immer große Literatur: deutsche Krimis | Foto (Ausschnitt): © Paulista/Fotolia

„Wer war der Mörder“ – darum geht es in vielen Krimibüchern. In Deutschland sind Kriminalromane zwar sehr beliebt, nur wenige aber schaffen den Sprung in die literarische Königsklasse.

Kriminalromane haben in Deutschland eine lange und solide Tradition. Von Beginn an, also seit dem 19. Jahrhundert, wurden die großen französischen, englischen und amerikanischen Autoren ins Deutsche übersetzt. Und auch deutsche Autoren haben früh zur Entwicklung einer internationalen Kriminalliteratur beigetragen. Vorläufer waren beispielsweise Friedrich Schillers Verbrecher aus verlorener Ehre (1786) und E.T.A. Hoffmanns Das Fräulein von Scuderi (1819). Von epochaler Bedeutung erwies sich das Filmschaffen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts: Friedrich Wilhelm Murnau und Fritz Lang (M – eine Stadt sucht einen Mörder) beeinflussten maßgeblich die moderne Ästhetik des Noir in Film und Literatur.

Im Fokus steht die Suche nach dem Täter

Das kollektive Bewusstsein von „Krimi“ wird bis heute von dem Modell des „Whodunnit“ („Wer war’s?“) oder Rätselkrimis bestimmt, wie es vor allem in der englischen Kriminalliteratur der 1920er-Jahre entwickelt wurde – Agatha Christie ist eine der wichtigen Autoren. Das gleichzeitig in den USA entstandene realistischere Modell einer „hartgesottenen“ (hard-boiled) Detektivliteratur, etwa von Raymond Chandler und Dashiell Hammett – konnte sich demgegenüber weniger durchsetzen, zumal die US-Autoren bis in die 1960er-Jahre als jugendgefährdend galten.
 
Der US-amerikanische Polizeiroman („Police Procedural“) des New Yorkers Ed McBain, den das schwedische Autorenduo Maj Sjöwall und Per Wahlöö in ihren zehn Romanen um Komissar Beck sozialkritisch wendete, gab dann in den 1960er-Jahren einer neuen sozialkritischen west-deutschen Kriminalliteratur entscheidende Anstöße. In den folgenden Dekaden fand in Deutschland eine breite Rezeption internationaler Kriminalliteratur statt, die bis heute anhält. Deutschland ist übersetzungsfreudig und hat auch die engagierten Verleger, die Entlegenes aus aller Welt bekannt zu machen versuchen. Als herausragende Beispiele für deutschsprachige Übersetzungen seien die Metro-Reihe des Züricher Unionsverlags genannt und neuerdings der Liebeskind-Verlag, der in Deutschland amerikanische Noir-Autoren bekannt gemacht hat, die auch in ihrer Heimat nur ein literarisch versiertes Publikum schätzt.

„Regiokrimis“ sind besonders beliebt

Heute unterscheiden sich die deutschsprachige Kriminalliteratur wie auch die begeisterte Rezeption des „Krimis“ in allen medialen Formen durch das Publikum nicht wesentlich von der Entwicklung in anderen westlichen Ländern. Mit einer Ausnahme: Sowohl in der Literatur als auch in der TV-Produktion ist das Phänomen der Regionalisierung besonders stark ausgeprägt. Am deutlichsten wird dies an der seit 1971 wöchentlich am Sonntagabend ausgestrahlten Fernsehserie Tatort: Hier ermitteln in einem Set von deutschen Großstädten zahlreiche Ermittlerteams. In der Buchproduktion ist der zum internationalen Schlagwort gewordene „Regiokrimi“ so allgegenwärtig, dass es gefühlt keinen Ort über 10.000 Einwohner ohne eigenes Ermittlerteam mehr gibt. Touristische Hotspots wie Berchtesgaden verfügen gleich über mehrere Serienermittler. Der Kölner Emons-Verlag, der 1984 den ersten Regionalkrimi veröffentlichte, listet allein in Bayern 31 Orte oder Kreise auf, in denen er Krimis veröffentlicht; im Allgäu tummeln sich neun Emons-Autoren mit 15 Titeln. Der „Regiokrimi“ ist jedoch keine literarische Kategorie, sondern ein Marketing-Label. Unter diesem Etikett erscheinen viele Krimis von meist geringer Qualität.

Abhängig vom Kommerz

Allein dieses Beispiel macht deutlich, dass es nicht sinnvoll ist, von dem deutschen Kriminalroman zu sprechen. Wie in der Belletristik auch, gibt es nur einige wenige literarisch ernstzunehmende Autoren. Da der Krimi ein fast vollständig vom Kommerz abhängiges Genre ist – es gibt kaum Stipendien oder andere Förderungen – klafft die Schere zwischen den Bestsellerautoren und denen, die literarisch relevant sind, weit auseinander. Die Verlage investieren nur ausnahmsweise in Autoren, die als „schwer verständlich“, „kompliziert“ oder „zu politisch“ gelten.
 
Im deutschen Literaturbetrieb gibt es aber auch eine Reihe von Instanzen, die die Spreu vom Weizen trennen. Die Krimikolumnen der seriösen Feuilletons, zunehmend auch die Literaturwissenschaft sowie einige literarische Auszeichnungen tragen dazu bei, dass eine Verschiebung der Wertungsmaßstäbe und -schablonen stattfindet. Als Kriminalliteratur werden zunehmend auch solche Romane anerkannt, die die „Whodunnit“-Formel hinter sich lassen, intertextuell und komplex angelegt sind und dem Verbrechen mit allen modernen literarischen Erzählformen auf den Leib rücken.
 
Während das deutsche Publikum gut mit internationalen Importen versorgt scheint, steht es eher schlecht um den Export der relevanten deutschen Kriminalliteratur. Andrea Maria Schenkel (Tannöd) ist die einzige im anglophonen Ausland bekannte Bestsellerautorin von literarischer Kraft. Selbst von der mit ihrer Figur Bella Block sehr bekannten feministisch-linken Autorin Doris Gercke beispielsweise ist nur ein Titel von mehr als 20 ins Englische übersetzt. Auch wenn es mit anderen Sprachräumen besser aussieht – in Korea etwa sind deutsche Kriminalromane sehr beliebt: Von einem der literarisch faszinierendsten deutschen Kriminalschriftsteller Friedrich Ani zum Beispiel gibt es Ende 2016 noch keine englische Übersetzung. Dabei wäre gerade seine Schreibweise, die den Armen, Ausgestoßenen und sozial Schwachen eine differenzierte Stimme gibt, eine Bereicherung auch der internationalen Kriminalliteratur.
 

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