Interview mit Monika Geier
Krimi als Sonntagspredigt
Hinter dem scheinbar zivilisierten Gesicht unserer heutigen Gesellschaft verbergen sich oft die finstersten Verbrechen, Kinderhandel, Sklaverei, Diskriminierung und Rassismus.
„Moderne Kriminalromane sind eine Art, über die unattraktiven Aspekte der Gesellschaft zu sprechen“, findet die deutsche Schriftstellering MONIKA GEIER.
Für ihren neuesten Kriminalroman „Alles so hell da vorn“ gewann sie dieses Jahr den Deutschen Krimi Preis, wobei die Juroren anmerkten, dass in der Handschrift der Autorin die scharfsinnige Auffassungsgabe der Klassikerin Agatha Christie zu erkennen ist. In der vergangenen Woche war die Autorin im Goethe-Institut Riga zu Gast und las aus ihrem Roman vor.
Wie kommt es, dass Sie sich als diplomierte Bauingenieurin der Schriftstellerei zugewandt haben – und noch dazu mit bereits acht Romanen sehr produktiv waren?
Das Schreiben ist einfach kreativer als die Architektur! Ich habe seinerzeit beobachtet, dass man als Architekt immer in eine positive Richtung denken muss, immer einen Raum schaffen muss, der bewohnbar ist. Niemand würde sich doch in einem schiefen, dunklen oder auf sonstige Weise unbewohnbaren Raum aufhalten wollen. In gewisser Weise muss der Mensch den Raum immer unterwerfen, und diese Unterwerfung hat mir nie gefallen. Mir liegt eher eine Situation, in der ich die Dinge auf mich einwirken lassen kann und sie so belasse, wie sie sind. Manchmal gelingt mir das Schreiben auch einfach wunderbar (lacht) – und reinigt so großartig den Geist.
Andererseits werden Menschen immer ein Zuhause brauchen, wohingegen die Schriftstellerei doch ein relativ instabiler Beruf ohne Garantien ist. Es scheint aber, als beschwerten sich gefragte Schriftsteller in Deutschland nicht über ihren Lebensunterhalt.
Das Schreiben ist meine Leidenschaft, die wahnsinnig viel Zeit in Anspruch nimmt, aber ich kann nicht sagen, dass ich ununterbrochen davon leben kann. Es kommt immer das nächste Jahr, in dem man vieles von vorn beginnen muss, und ich stimme zu – es ist absolut kein stabiles Leben. Dazu kommt, dass ich alleinerziehende Mutter dreier Söhne bin, daher gehe ich mehreren Arbeiten nach: Ich verkaufe Briefmarken und nehme Sendungen im örtlichen Postamt an, lehre die Jüngsten in der Schule Schreiben und schreibe eine Rubrik über giftige Pflanzen für eine regionale rheinland-pfälzische Zeitschrift, wobei auch meine Zeichenkünste nützlich sind.
Giftige Pflanzen und Wirkstoffe kannte auch Agatha Christie damals sehr gut!
Christie ist schon seit der Kindheit eine Autorität für mich. Ich habe alle ihre Bücher gelesen und liebe noch immer deren Aufbau und Geheimnislüftung. Sie ist immer noch ein unübertroffenes Genie der unerwarteten Wendungen und eine Meisterin der Details – eine gelernte Apothekerin, die genau weiß, in welcher Dosis ein Medikament zum Gift wird.
Was fesselt Sie selbst, wie auch so viele Leser, an Kriminalromanen? In Deutschland soll jedes vierte herausgegebene Buch ein Krimi sein, und auch in Lettland ist gerade dieses Genre unter den meistgelesenen, wenn man der Statistik der Bibliothek glauben darf.
Natürlich, Krimis werden immer beliebt sein, da sie immer einen sehr wichtigen Aspekt berühren – das Verhältnis zwischen Gut und Böse – und dazu neigen, klar Position zu beziehen in der Frage, was gut ist und was nicht. In gewissem Sinne sind sie heute an die Stelle der Sonntagspredigt gerückt. Der Autor eines Kriminalromans muss eine moralische Position einnehmen, indem er sagt, was gut und böse ist, ob er will oder nicht – und das zieht die Menschen an, da sie sich solch klare Grenzen wünschen. Mich reizt am Kriminalroman sein naturwissenschaftlicher Hintergrund – das Rätsel, das erraten und erklärt werden muss. In dieser Lüftung des Geheimnisses ist immer auch etwas Romantisches. Ich lese selbst gern Krimis und habe mich oft bei dem Gedanken ertappt, dass ich etwas anders geschrieben, einen anderen Charakter eingebracht oder ihm andere Worte in den Mund gelegt hätte. Vielleicht hatten sich irgendwann so viele Ideen angesammelt, dass ich mich hinsetzen und selbst schreiben musste.
Unterhaltungsliteratur oder Kunstgenre – was sind Ihrer Ansicht nach heute die Grenzen der Kriminalliteratur?
Ein guter Kriminalroman ist längst nicht mehr nur Unterhaltung. Natürlich muss es ein Unterhaltungselement geben, und dieses kann interessanter sein als Leben und Tod. Über mich selbst kann ich sagen – ja, ich will euch unterhalten, aber ich werde die Welt auch so beschreiben, wie sie ist. Eine Welt, in der es Mädchen gibt, die benutzt und gequält werden; Frauen, die Kinder alleine erziehen und nicht über die Runden kommen. Meine Heldin ist keine Dame mit Körbchengröße D und hochhackigen Schuhen, ich schreibe keine Abenteuer, in denen die Frau nur eine schöne Leiche ist.
Nicht umsonst ist die Hauptperson Ihrer Bücher, Kommissarin Bettina Boll, eine Frau, die ihre Kinder allein erzieht, ein altes Auto fährt und wie ein weißer Spatz im Männerkollektiv erscheint.
Selbstverständlich, in jedem meiner Helden ist ein kleines Stück von mir, da ich den Stoff für meine Bücher aus meinen Beobachtungen des Alltags nehme. Ich bin außerordentlich neugierig und sammle Erfahrungen und Beobachtungen, die auch meine eigene Welt erweitern. Das ist einer der Gründe, warum ich das Schreiben noch nicht satt habe. Deswegen ist es nur folgerichtig, dass die Heldin meiner Romane eine Frau ist – anders könnte es gar nicht sein. Ich bin froh, dass mein Verlag echte, lebendige Frauen in der Literatur möchte – sowohl als Autorinnen, als auch als Heldinnen. Das ist einfach interessanter, auch für Männer.
Sind Architekturkenntnisse für Schriftsteller nützlich?
Klar. Ich denke räumlich, und am Beginn jeder meiner Erzählungen sind zwei Elemente notwendig: Ein Raum bzw. Ort des Geschehens und ein Thema, über das ich sprechen möchte. Das Architekturstudium hat mich gelehrt, eine Idee in ein Projekt umzuwandeln, in ein konkretes Modell. Eigentlich würde ich jedem Schriftsteller empfehlen: studiere Architektur! Aber das Schreiben ist ein kreativer Prozess, es liegt eine Magie darin, die ich nicht erklären kann – ich reite einfach auf einer Welle der Eingebung.
Das Geschehen Ihres neuesten Buchs spielt sich in einem Frankfurter Bordell ab, in dem eine minderjährige Prostituierte ein Verbrechen begeht. Woher nehmen Sie das Material für diese Ereignisse?
Der Anstoß für dieses Buch kam auf einer Reise nach Wien. Ich wollte meinem Sohn das Schloss Schönbrunn zeigen, und auf dem Weg dorthin trafen wir in einer U-Bahn-Station ein Mädchen. Sie konnte nicht älter als 15 Jahre sein. Ihrem Äußeren nach war klar, dass sie eine Prostituierte war, aber gleichzeitig absolut noch ein Kind. Ihr fiel ein Geldschein aus der Tasche – wir hoben ihn auf, wechselten ein paar Worte, das war’s. Das war schockierend – ein bürgerliches, wohlhabendes Viertel, und darin dieses Kind, das meinen Sohn ansah wie ein anderes Kind, mit dem es noch spielen gehen könnte. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, ohne ihr Probleme zu bereiten, und so gingen wir einfach weiter. Doch diese Begegnung ließ mir keine Ruhe. Wir sind mitten in Europa, und hier sind zwei Kinder: eines geht für einen Ausflug in den Park und das andere Geld anschaffen. Ich führte Interviews in der Abteilung für Kinderhandel der Polizei; dabei stellte sich heraus, dass dies ein riesiges Problem in ganz Europa ist. Meine Hauptaufgabe war, beim Schreiben auch den Opfern das Wort zu geben, denn meist sind die Unterdrücker im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Die Ereignisse aller Ihrer Erzählungen spielen sich an Ihrem Wohnort ab, in Rheinland-Pfalz.
Ich kann nur über etwas schreiben, das ich kenne. Mich ärgert ein wenig, dass ich im Bereich der Kriminalromane zur offiziellen Vertreterin dieser Region geworden bin, doch in Deutschland gibt es eine solche Tendenz, obwohl ich gerne dem Ruf einer regionalen Schriftstellerin entgehen würde. In meinen Romanen sind keine genauen Beschreibungen regionaler Rezepte – ich schreibe einfach über das, was um mich herum geschieht.
Berührt auch der derzeitige Konflikt zwischen den linken und rechten Kräften und die Flüchtlingskrise Ihren Alltag?
Diese Konflikte sind hauptsächlich in Ostdeutschland anzutreffen. Vor Kurzem war ich in Leipzig, wo dieser Zwiespalt zu einem Krieg angewachsen ist, und einen Großteil dieser irgendwo angesammelten Wut bekommen die armen Asylsuchenden ab. Eine meiner Kolleginnen, eine Schriftstellerin, ist mit einem Mosambikaner verheiratet. Sie haben drei dunkelhäutige Kinder, und man muss sagen, dass sie an ihrem Wohnort in Mecklenburg-Vorpommern unglaublich viel Feindseligkeit erfahren. Dort, wo ich wohne, ist es ruhig, daher geht es in meinen Werken nicht um Einwanderer. Doch ich bin der Ansicht, dass sie auf jeden Fall in der Literatur thematisiert werden müssten – auch in meiner Kleinstadt gibt es genug latente „Rechte“. Kinder nehmen es problemlos an, dass „Mohrenköpfe“ in Zukunft „Schokoküsse“ genannt werden müssen, doch für meinen Vater ist das schwer zu verstehen – die Menschen seiner Generation wollen nicht einer Sache entsagen, die sie das ganze Leben lang hatten, die sie mit angenehmen Emotionen verbinden. Doch das sollte man tun.
- Schriftstellerin deutscher Kriminalromane, studierte Architektur an der Universität Kaiserslautern, schrieb ihre ersten Bücher parallel zur Bauingenieur-Arbeit.
- Derzeit unabhängige Autorin, hat acht Kriminalromane herausgegeben. Im Jahr 2000 erhielt sie für ihren Roman „Wie könnt ihr schlafen“ (1999) den Krimipreis Marlowe; für ihren neuesten Roman „Alles so hell da vorn“ (2017, Argument Verlag) gewann sie den Deutschen Krimi Preis 2018.