Interview mit Francesca Cogni
Ökologien der Zukunft
Das Goethe-Institut Mexiko und das Animasivo Film Festival haben die in Berlin lebende Filmemacherin Francesca Cogni eingeladen, während des Animationsfilmfestivals einen besonders spannenden Workshop zu leiten. Das Thema lautete "Ökologien der Zukunft": Wie wird der Huerto Roma Verde in 300 Jahren aussehen? In einem Interview mit Francesca erzählte sie uns ein wenig mehr über ihre Geschichte und Motivation für diesen Workshop.
Von Max Kolten / Goethe-Institut Mexiko
Wie lange bist du schon in der Animation tätig und wie bist du dorthin gekommen?
Vor ungefähr 10 Jahren bin ich zur Animation gekommen und ich habe schon immer sehr viel gezeichnet. In Italien und Frankreich habe ich Bildende Kunst studiert, aber zu dieser Zeit gab es an meiner Universität keine Animation als Studienfach, daher zeichnete ich in dieser Zeit nicht so viel. Man könnte sagen, dass das was ich damals tat, mehr Konzeptkunst war und dies ließ mir eine große Freiheit zum Experimentieren und verschiedene Techniken auszuprobieren. Dann ging ich wieder zu meinen Wurzeln und mehr zur Regie von Dokumentarfilmen, bis ich es schaffte, alle meine Interessen in eine künstlerische Form zu bringen, die für mich viel Potenzial hat, nämlich der animierte Dokumentarfilm. Das heißt, die Zeichnung als Arbeitsmittel zu verwenden. Es hilft mit anderen Teilen des Gehirns zu denken, zu untersuchen, zu reflektieren und zu aktivieren um Körper und Motivation zu stimulieren. Mich interessiert nicht das reine Ergebnis, sondern der gesamte Arbeitsprozess.
Es gibt verschiedene Formen der Animation, in dem Workshop sahen wir hauptsächlich Stop-Motion, hast du auch mit gezeichneter Animation gearbeitet?
Ich arbeite viel mit Ölfarbe auf Glas, weil ich die Reflexion des Lichts von unten und die Struktur der Farbe gerne mag. Und ich bin auch faul (lacht), also muss ich, wenn ich auf Glas male, nur ein Foto machen, anstatt das gezeichnete Papier zu scannen.
Gibt es etwas Besonderes an der Animation, das dich sehr fasziniert und deine Arbeit beeinflusst?
Ja, mit der Animation kann man auf mehreren Ebenen über eine Geschichte sprechen. Es ist nicht nur eine Aufnahme davon, was passiert ist, also der Tatsache. Es geht auch darum, wie du es wahrgenommen hast, deine Gedanken, Emotionen und Animationen ermöglichen es dir von realistischen Ebenen auf eine sehr einzigartige und fantasievolle Ebene zu gelangen. Mich interessiert also mehr wie man eine Geschichte erzählt, nicht die Tatsache der Geschichte selbst, denn es geht immer darum wie man etwas darstellt. Das Zeichnen erlaubt dies und ist wie ein Werkzeug um eine Beziehung zu Menschen aufzubauen. Zum Beispiel, wenn du ein Porträt machst und jemand vorbeikommt und fragt was du da machst. Das ist bereits ein Moment der Beziehung und des Austauschs. Wenn ich an der Entwicklung einer Animation arbeite, erlaubt es mir auch über Dinge zu sprechen, die der Person, von der ich die Geschichte erzähle, sehr nahe kommen und die super privat sind. Mit einem einfachen Bild wäre es fast „pornographisch“ im Sinne von Susan Sonntag etwas so direktes darzustellen.
Es ist auch eine Frage des Geschmacks, oder? Du ziehst es vor, diese Dinge auf eine animierte Art und Weise zu vermitteln, anstatt den realistischen Dokumentarfilm zu benutzen?
Ich denke, es hat mehr Potenzial, Themen in animierter Form zu vermitteln. Natürlich ist es mein Geschmack aber es ist auch meine Forschung im Bereich des Dokumentarfilms, wie kann man Geschichten erzählen, vor allem Geschichten über andere Menschen? Und beim Zeichnen denke ich, dass es einen Weg gibt, die Intimität der Person zu respektieren und manchmal gibt es sehr aufwühlende Themen. Ich arbeite viel mit Fragen der Migration und des Mestizaje. Und es gibt Geschichten, die super krass sind und durch die Animation kann ich mich den Geschichten sensibler nähern vor allem, um über die mediale Repräsentation dieser Themen hinauszugehen und im besten Fall die Erzählung zu verändern und andere Gedanken und Reaktionen zu diesem Thema zu aktivieren.
Über die Zukunft zu sprechen, sie sich vorzustellen und aus dem herauszukommen was heute schon existiert, ist eine Möglichkeit, Utopien zu schaffen und sich gemeinsam vorzustellen, was wir wirklich wollen, um zur Realität zurückzukehren und zu handeln
Francesca Cogni
Der Workshop heißt "Ökologien der Zukunft" und beschäftigt sich damit, wie Menschen in der Zukunft leben könnten, warum hast du dich für dieses Thema entschieden?
Ich interessiere mich sehr für das Potenzial der Science-Fiction, um letztendlich über die Gegenwart zu sprechen! Dies ist Teil einer Reihe von Workshops, wir haben bereits einen in Berlin und jetzt hier einen in Mexiko gemacht. Die Inspiration für das Thema kommt von Ideen aus den 1970er Jahren und politischen Science Fiction. Das Denken und Vorstellen einer anderen Zukunft ist bereits ein Weg, um der Zukunft zu widerstehen und sie zu neu zu denken. Denn oft haben wir das Gefühl, dass es bereits eine vorherbestimmte Zukunft gibt, die wir nicht kontrollieren können. In unserem täglichen Leben nehmen wir an der Zukunft teil, welche uns die Medien vorschlagen, weil wir mit all der modernen Technologie usw. die wir verwenden mitmachen.
Über die Zukunft zu sprechen, sie sich vorzustellen und aus dem herauszukommen was heute schon existiert, ist eine Möglichkeit, Utopien zu schaffen und sich gemeinsam vorzustellen, was wir wirklich wollen, um zur Realität zurückzukehren und zu handeln. Ich hatte das Glück, mit dem Goethe-Institut Mexiko und der gesamten Animasivo-Band zusammenzuarbeiten und den Workshop mit Hafid Velasco zu moderieren mit Hilfe von Lucía Torres, dafür bin ich sehr dankbar. Ich möchte auch betonen, dass obwohl ich die Idee für diesen Workshop mitgebracht habe, jeder Workshop nur mit dem Team zustande kommt welches vor Ort mitarbeitet. Mir gefällt die Idee nicht, dass der Workshop als mein Patent bezeichnet wird. Diesmal haben wir eng mit Hafid Velazquez zusammengearbeitet, der Tontechniker ist, dadurch war es ein sehr gemischter Workshop mit Bild- und Tonelementen, der natürlich ohne die Arbeit unserer Teilnehmer*Innen nicht möglich gewesen wäre!
Bietest Du oft Workshops für Studenten oder am Animationsfilm interessierte Personen an?
Ja, ich mache das viel und ich mag es sehr. Es gibt mir Möglichkeiten zum Experimentieren, wo ich viel von den Menschen lerne die teilnehmen. Und gleichzeitig ist es auch eine Möglichkeit zu überleben, denn da ich Dokumentarfilme mache, brauche ich manchmal 4-5 Jahre, um den Prozess so zu entwickeln wie ich ihn für richtig halte und davon lebe ich nicht, oft lebe ich von den Workshops. Für mich ist es auch ein Forschungsgebiet und der politische Aspekt ist sehr wichtig. Zum Beispiel bin ich Italienerin, Europäerin und interessiere mich sehr für das Thema Migration. Ich habe viele Freunde, die aus der ganzen Welt kommen und ich hinterfrage meine Privilegien sehr. Und Workshops in anderen Teilen der Welt zu geben ist auch eine politische Möglichkeit, dein Wissen zu teilen, weil Menschen ihre eigene Geschichte erzählen und teilen können. Meine Rolle besteht also eher darin, einen Prozess zu erleichtern, eine Übung vorzuschlagen oder Diskussionen zu moderieren um Ideen zu entwickeln und alle Fäden zusammenzufügen. Und auch in diesem Sinne zieht mich das Element des miteinander austauschen sehr an.
Wie siehst Du die aktuelle Situation des Animationskinos in der Welt?
Im Bereich des Dokumentarfilms gibt es bei Festivals immer mehr Animationsabteilungen. Als ich 2009 mit einem ersten Kurzfilm begann, gab es das es das noch nicht wirklich, höchstens ein paar wenige Animationsbeiträge. Und jetzt gibt es mehr aber es wird immer getrennt. Da ist der Animationfilm oder der Dokumentarfilm. Für mich ist ein Dokumentarfilm ein Dokumentarfilm, er hängt nicht von der Technik ab. Man betont ja auch nicht, dass es sich um eine Dokumentation handelt, der mit einer bestimmten Canon Kamera gemacht wurde. Aber wenn es sich um einen Animationsfilm handelt wird das immer besonders betont. Die Welt des Films ist also in diesem Sinne noch im Aufbau begriffen.
Was viele von uns auf Animationsfestivals sehen, sind Autorenbeiträge, bei denen es auch eine Untersuchung darüber gibt, wie eine Geschichte erzählt wird, nicht nur was die Tatsache der Geschichte ist. Und ich liebe Animationsfilme aber manchmal braucht man ein wenig mehr Inhalt. Es gibt einen großen Fokus auf ausgefeilte Techniken, alles sehr cool, aber am Ende schaut man sich das an und vieles sind seichte und schöne Geschichten, sehr gut gemacht aber die Frage bleibt: Was sagst du da aus? Mit der heutigen Welt, mit allem, was um uns herum passiert? Ja, Poesie ist wichtig aber es ist auch wichtig einen Inhalt zu setzen. Ich nehme an Festivals Teil aber ich interessiere mich mehr für die Zusammenhänge in denen das Festival abgehalten wird und deren Inhalte. Gibt es danach noch Gespräche und Diskussionen? Deshalb arbeite ich viel mit Kulturvereinen, Schulen, Gruppen und anderen Projekten.
Glaubst du, dass Animationskino die Welt zu einem besseren Ort machen kann? Verstehst du deine Arbeit als eine Art Aktivismus um etwas zu verändern?
Was mich interessiert, sind Möglichkeiten sich zu konfrontieren und Ideen zu teilen. Der Prozess, zusammen zu sein und etwas im Team zu machen. Im Workshop haben wir fast 10 Tage hintereinander gearbeitet und es war eine komplette Gemeinschaftsarbeit. Ich kann meinen Film alleine zu Hause für mich machen, so wie andere auch aber das Thema ist wie wir etwas gemeinsam machen können. Wir sind es nicht gewohnt so zu arbeiten! Und schon jetzt ist dieser Prozess des Fragens und Redens über das, was deiner Meinung nach passieren wird, etwas Cooles. Wir schaffen einen Safe Space! In den ersten Tagen haben wir viel über unsere Zukunftsvorstellungen nachgedacht. Mit einer Erkundung durch den Körper, durch Zuhören und da wir mit Hafid, der Musiker ist, zusammenarbeiten, haben wir zum Beispiel viel über die Schwingungen von Pflanzen gelernt, um auf andere Weise näher zu diesem Thema zu gelangen. Wir lernen bei der Herstellung dieser Kurzfilme viel und wie gesagt, alles was mit dem Zusammenkommen, der Reflexion und dem Leben außerhalb eines konsumorientierten und funktionalisierten Rahmens zu tun hat, erscheint mir sehr gut.
Vor allem reizen mich Projekte welche Menschen die Teilnahme ermöglichen, die normalerweise keinen Zugang zu diesen Formen von Workshops haben. Besonders die Arbeit mit Jugendlichen oder Erwachsenen, die bisher nur Disney und diese Art von Animation kennen. Am Ende können sie sich mit einer anderen Art und Weise auseinandersetzen, von der Welt zu erzählen und ihr Gehirn öffnen um sich eine andere Welt vorzustellen.
Was wünschst du dir für die Zukunft des Animationfilms?
Die Animation sollte aus dem Rahmen von Festivals rauskommen. Es gibt bereits viel auf Youtube und Vimeo und im ganzen Web. Animation wird oft nicht als eine erwachsene Ausdrucksform akzeptiert welche über wichtige Themen sprechen kann. Es ist also wichtig aus Festivals herauszukommen. Denn oft weiß man nicht, wie viele Jahre und mit wie vielen Leuten an einem Projekt gearbeitet haben und dann schick man es auf ein Festival und in ein oder zwei Jahren ist das Projekt schon tot, weil es alt geworden ist. Einige Kollegen stellen ihre Arbeit ins Internet und andere nicht. Und wer kann all diese Arbeit von so vielen Jahren und Anstrengungen sehen? Manchmal ist es eine Schande für mich.
Alle meine Arbeiten sind im Internet mit einer Creative Commons Lizenz. Ich persönlich halte es für wichtig, dass man die Arbeit nicht zurückhält und stattdessen in Umlauf bringt damit man darüber sprechen kann. Viele Künstler warten darauf, dass ihr Film auf Festivals veröffentlicht wird und es gibt einige Filme, die nie zu sehen sind weil sie nur auf Festivals zirkulieren. Es bedarf mehr Vertrieb.
Vielen Dank für Deine Zeit, die letzte Frage: Gibt es mit diesem Projekt bereits eine nächste Station?
Das Projekt wurde ursprünglich für Tunesien ausgeschrieben und sollte auch dort durchgeführt werden, da ich in einem italienisch-tunesischen Kollektiv arbeite. Auch im Science Fiction Genre und Themen über Migration, in ein anderen Land gehen und die Projektion in eine ungewisse Zukunft. Es war jedoch noch nicht möglich diesen Workshop zu realisieren aber hoffentlich in der Zukunft. Aber ja, ich würde gerne damit weitermachen und wir träumen davon, es zu einem Mega-Projekt auf der ganzen Welt zu machen in dem wir Kurzfilme in verschiedenen Teilen der Welt herstellen.
Der Workshop wurde gemeinsam realisiert mit
Yenny Canseco Franco
Niuni Butrón Álvarez
Patricio Buenrostro Gilhuys
Indra Alexander
Ana Alvarez
Aurelio Zubieta
Joel Enriquez Sanchez
Roberto Pereira de Jesus
Elda Nayeli Flores Montelongo
Thanya Ponce Nava
Raquel Madrid Peña
Margarita Moreno Salamanca
Nancy Mendoza
Francesca Cogni
Hafid Velasco
Lucia Torres
Interview geführt von Max Kolten/Goethe-Institut Mexiko.