Die Berichterstattung über den globalen Süden wird regelmäßig für Einstellungen kritisiert, die eher in die Kolonialzeit als in die heutige globalisierte Welt passen. Die verwendeten Begriffe in Bezug auf den globalen Süden deuten auf Vorurteile bei der Berichterstattung hin. Eine Reihe an Cartoons untermalt diese Praktiken.
Von Patrick Gathara
Auch wenn die Forschung Lücken im Verständnis davon offengelegt hat, wie die so genannte Dritte Welt dargestellt wird, deutet die Tatsache, dass Begriffe wie „Dritte Welt“ oder „Entwicklungsländer“ im Gegensatz zu „Erste Welt“ und „Industrieland“ einen abwertenden Beigeschmack haben und gleichbedeutend sind mit Armut, Elend, Korruption und Unfähigkeit, auf inhärente Vorurteile bei der Berichterstattung hin. Vergleichbare Ereignisse werden selten mit denselben Worten beschrieben. „Humanitäre Krisen“ scheinen ausschließlich im globalen Süden aufzutreten, aber nicht, wenn 54 Millionen Menschen in den USA mit Ernährungsunsicherheit konfrontiert sind . Auch werden die Länder Europas oder Nordamerikas selten als ethnisch gespalten oder im Hinblick auf ihre Ressourcen oder ihre Lage (als strategisch wichtig oder ölreich) beschrieben. Trotz systematischer Manipulation von Wahlkreisgrenzen und Wähler*innenunterdrückung werden die US-Wahlen so gut wie nie als manipuliert bezeichnet.
Eine Frage der Formulierung
„CNN: The Error Hotbed“ (CNN: Brutstätte des Terrorismus)
| © Patrick Gathara
Am Vorabend des Besuchs von US-Präsident Barack Obama in Kenia im Juli 2015 bezeichnete CNN Kenia in einem Bericht als „Brutstätte des Terrorismus“, was bei Kenianer*innen in den sozialen Medien heftige Kritik auslöste. Es ist auffällig, dass die USA und westeuropäische Länder, die Terroranschläge erleiden oder erlitten oder in denen Terrorzellen aktiv wurden, nie mit ähnlichen Worten beschrieben werden.
Entmenschlichende Berichterstattung
Entmenschlichende Berichterstattung britischer Medien
| © Patrick Gathara
Im August 2020 wurden britische Journalist*innen weithin für ihren Voyeurismus und ihre entmenschlichende Berichterstattung über Migrant*innen kritisiert, die versuchten, den Ärmelkanal zu überqueren. Die schätzungsweise
eine Million europäischen Migrant*innen , die im Jahr 2015 in Afrika lebten, wurden hingegen nie Gegenstand von Medienberichten oder als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet. Der bevorzugte Begriff ist „
Expatriates “, der wiederum nie auf Menschen vom afrikanischen Kontinent angewendet wird. Tatsächlich wird Migration aus Afrika als irregulär und außergewöhnlich dargestellt, obwohl die Forschung zeigt, dass dies auf die
überwiegende Mehrheit keineswegs zutrifft .
Fallschirm-Journalismus
Fallschirm-Journalismus
| © Patrick Gathara
Statt auf lokale Reporter*innen zurückzugreifen, wird die anachronistische Institution der Auslandskorrespondent*innen beibehalten, bei der mehrheitlich weiße europäische oder amerikanische Individuen damit betraut werden, die komplexen Realitäten gesamter Kontinente für das heimische Publikum in wenigen Zeilen zu artikulieren. Dies hat zu klischeehaften Berichten und Bildern sowie zu so genanntem Fallschirm‑Journalismus geführt, bei dem Reporter*innen von einer Krise zur nächsten ziehen und nie in der Lage sind, mehr als oberflächliche Erzählungen der Meldungen zu liefern.
Wer bekommt das höchste Amt?
„Orange is the new Black“ (Orange ist das neue Schwarz)
| © Patrick Gathara
Vorzeigedemokratien
„The Shining City on a Hill“ (Die glänzende Stadt auf einem Hügel)
| © Patrick Gathara
Ein Vergleich der Begriffe, mit denen die jüngsten US‑Wahlen beschrieben wurden, kann erhellend sein. „Amerika ist jetzt ein Drittweltland“, trompetete das Magazin Fortune nach der chaotischen ersten Präsidentschaftsdebatte. Ein von
The Alpena News veröffentlichter Leser*innenbrief konstatierte: „USA werden beim Wählen Drittweltland“. Nichtsdestotrotz laufen die Wahlen in zahlreichen Ländern der so genannten Dritten Welt reibungsloser ab als die in den USA, die beispielsweise durch Wähler*innenunterdrückung routinemäßig manipuliert werden. Darüber hinaus – aufgrund der Beschaffenheit des Wahlsystems, bei dem die Stimmen des Electoral College letztlich entscheiden, wer Präsident*in wird – geht das höchste Amt regelmäßig nicht an die Person, die die meisten Stimmen erhalten hat. Statt diese Realität jedoch zu benennen und bloßzustellen, wird die „Dritte Welt“ regelmäßig als Feigenblatt benutzt, das es den USA und europäischen Ländern erlaubt, sich selbst als Vorzeigedemokratien hinzustellen.
Die „Rettenden“
„World Humanitarian Summit“ (Humanitäres Weltgipfeltreffen)
| © Patrick Gathara
Der starke globale Norden?
Der starke globale Norden?
| © Patrick Gathara
Der afrikanische Kontinent und andere Länder des globalen Südens werden oft als Schauplätze von Leid und Entbehrung dargestellt, bevölkert von den Hilflosen und Schwachen, während der globale Norden stark, innovativ, wohltätig und ein altruistischer „Spender“ ist. Zu den systemischen Hinterlassenschaften der Kolonialherrschaft und des ungleichen internationalen Handels, die viele Länder des globalen Südens in einem Kreislauf der Abschöpfung gefangen halten, von dem der globale Norden profitiert, wird nur wenig Kontext geboten. Noch weniger ist von Initiativen von Einheimischen zu hören, die auf die Probleme reagieren, während die Stimmen der weißen „Retter*innen“ Vorrang erhalten. Oder über die Tatsache, dass Afrika, statt von US‑amerikanischen und westeuropäischen Almosen zu leben, tatsächlich ein
Nettogläubiger für die Welt ist.
Autor
Patrick Gathara ist Chefkurator von The Elephant, einer kenianischen Onlinezeitschrift. Er arbeitet auch als Kolumnist und Karikaturist. Seine Werke wurden in Medien wie Aljazeera, der Financial Times, The Guardian und der Washington Post veröffentlicht. Er lebt in Nairobi, Kenia, und hat einen Masterabschluss in Digitalem Journalismus von der Aga Khan University's Graduate School of Media and Communications.
Übersetzung: Aus dem Englischen von Elisabeth Meister Copyright: Goethe-Institut e. V., Online-Redaktion September 2021
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