Nachhaltigkeit
Ch'uxña Uta (Grünes Haus)
Jedes Jahr treffen sich Vertreter*innen von Regierungen, Medien und Nichtregierungsorganisationen, um über den Klimawandel zu sprechen. 2021 gab es besonders viele Erwartungen an den Weltklimagipfel. Konnten diese erfüllt werden? Aktivist*innen Annika aus Deutschland und Arshak aus Russland teilen ihre Einschätzung.
Die Augen der Welt waren auf Glasgow gerichtet. Viele Menschen setzten große Hoffnungen in die UN‑Klimakonferenz (COP). Ihr beide habt dort zwei Wochen als Beobachter*innen und Aktivist*innen verbracht. Was ist euer Eindruck vom Klimagipfel, konnte er den Erwartungen gerecht werden?
Annika: Ich finde es schon frustrierend, dass viele Menschen sagen, die Konferenz hätte schlechter ausgehen können. Wir sollten ihren Erfolg an den Fortschritten messen, die seit dem Pariser Abkommen erzielt werden konnten, und daran, ob das 1,5-Grad-Ziel erreicht werden kann. Es gibt gute Entwicklungen, neue Ansätze und Vereinbarungen. Nichtsdestotrotz sieht es nicht danach aus, dass sie das 1,5 Grad-Ziel wirklich einhalten können. Für mich hat die Konferenz gezeigt, dass ein wirksamer Klimaschutz eher auf lokaler als auf globaler Ebene ansetzen muss, weil sich ansonsten gar nichts ändern wird.
Arshak: Ich bin von Anfang an nicht mit großen Erwartungen nach Glasgow gekommen. Wenn ich mich in Russland an Protesten beteilige, gehe ich ein großes Risiko ein. Dann denke ich nicht wirklich über die Zukunft nach, weil ich bereits genug damit zu tun habe, die Gegenwart zu bewältigen. Der Klimagipfel könnte dazu beitragen, die Wahrheit über die aktuellen Ereignisse in Russland ans Licht zu bringen. Doch es wird nicht wirklich ein Zusammenhang zwischen der Menschenrechtskrise und der Klimakrise in Russland hergestellt. Die russische Regierung macht große Versprechen für die Zukunft. Doch wie sollen wir sicherstellen, dass sie sich an ihre Versprechen hält, wenn wir nicht protestieren dürfen? Menschen werden verhaftet und, wie auch unabhängige Medien, als ausländische Agenten eingestuft. Inzwischen schrecken fast alle Klimaaktivist*innen vor Protesten zurück. Auch ich wurde vor zwei Jahren im Anschluss an den 25. Weltklimagipfel verhaftet. Trotzdem gab ich die Hoffnung nicht auf, dass wir in Russland eine Bewegung wie die in Europa errichten könnten. Doch mittlerweile haben die Menschen Angst zu protestieren, weil sich die Lage verschlimmert hat. Nach meiner Festnahme im Anschluss an die letzte COP gingen zahlreiche Aktivist*innen in aller Welt auf die Straße, um mich zu unterstützen. Damals hatte ich den Eindruck, mit geeinten Kräften könnten wir die Situation ändern. Es ist schön, einige von ihnen zu treffen, meine Enttäuschung ist daher nicht allzu groß.
Arshak, kannst du uns etwas mehr über die Lage in Russland und die Situation der Aktivist*innen dort erzählen?
Arshak: Ich spreche heute viel mit den Medien, weil ich mich als freien Menschen betrachte und ein solcher Austausch ein grundlegendes Menschenrecht ist. Doch als ich im März 2019 mit meinen Protesten begann, hatte ich Angst. Vor zwei Jahren befürchtete ich, verhaftet oder verprügelt zu werden. Vor einem Jahre machte ich mir Sorgen über Durchsuchungen und ähnliche Dinge. Mittlerweile habe ich keine Angst mehr. Ich habe mich inzwischen an das Gefühl gewöhnt, dass etwas Schlimmes passieren kann. Doch damit kann ich mich abfinden, weil ich daran glaube, dass wir für etwas Größeres kämpfen. Es ist wichtig, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun, um das zu retten, was wir haben. Doch es ist nicht leicht, und es braucht sehr viel Zeit, um diese Angst in den Griff zu bekommen. Und die strafrechtliche Verfolgung von Aktivist*innen ist noch nicht einmal das Schlimmste – viel schlimmer ist es, dass wir keine Unterstützung von unseren Landsleuten erhalten. Die Mehrzahl der Aktivist*innen in Russland hat nicht den Eindruck, dass die Menschen auf der Straße auf ihrer Seite sind. Also verlegen viele von ihnen ihren Protest ins Internet. Ich persönliche fühle mich besser damit, zu protestieren als zu Hause zu sitzen. Mir geht es gut bei Protesten, weil ich das Gefühl habe, etwas zu tun, das Richtige zu tun. Ich bin stärker als die Angst.
Greta Thunberg und einige andere haben die COP 26 als exklusivsten Klimagipfel aller Zeiten bezeichnet, ohne wirkliche Teilhabe marginalisierter Gruppen. Wie denkt ihr darüber?
Annika: Da stimme ich zu, viele Menschen waren von der Teilnahme ausgeschlossen. Ich persönlich bin nicht davon betroffen, weil ich sehr privilegiert bin: Ich komme aus Deutschland, habe die richtige Covid-Impfung für eine Einreise nach Großbritannien. Ich benötige kein Visum, und ich kann es mir sogar leisten, mit dem Zug anzureisen. Ich kämpfe also nicht mit den Schwierigkeiten, auf die andere Menschen stoßen. Viele wurden auch durch die begrenzte Anzahl von Zugangspässen ausgeschlossen. Zahlreichen jungen Menschen, die nicht schon seit Jahren für Nichtregierungsorganisationen gearbeitet haben, war der Zugang verschlossen. Die Zahl der Teilnehmenden bei den Plenarsitzungen und Pressekonferenzen war ebenfalls begrenzt. Nur wenige Vertreter*innen von NGOs konnten daran teilhaben, und am allerwenigsten junge Menschen.
Arshak: Auch ich war mir nicht sicher, ob ich es nach Glasgow einreisen dürfte. Im Oktober war ich zu einer anderen Konferenz in Schottland eingeladen und konnte wegen meiner Impfung mit einem russischen Impfstoff nicht einreisen. Außerdem kam erschwerend hinzu, dass wir nur selten Gelegenheit zu Protesten hatten. Beim 25. Weltklimagipfel organisierten wir viele Proteste und hatten das Gefühl, dass unsere Stimmen Gehör finden. Im Mittelpunkt der COP sollte der Dialog zwischen Regierungen, NGOs und der Zivilgesellschaft stehen. Und ein solcher Dialog fand dieses Mal nicht statt. Einige wenige junge Aktivist*innen hielten Reden, doch für junge Menschen aus Russland war kein Platz. Tatsächlich war ich vermutlich der einzige Vertreter aus der russischen Zivilgesellschaft, weil unsere Regierung Menschen, die mit internationalen Medien sprechen, als ausländische Agenten einstuft. Natürlich benötigen wir einen Dialog auf internationaler Ebene, an dem sich auch junge Menschen aus Russland beteiligen müssen. Und wir benötigen Plattformen, auf denen die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, angesprochen werden. Die teilnehmende offizielle Delegation aus Russland setzt sich für Erdgas und fossile Brennstoffe ein. Meines Erachtens muss es auf Konferenzen wie dieser mehr unabhängige Stimmen aus Russland geben.
Arshak und Annika wünschen sich, dass die Zivilgesellschaft und insbesondere Aktivist*innen stärker in die Entscheidungsprozesse auf den Klimagipfeln involviert werden.
| © Natascha Holstein
In den vergangenen Jahren musste sich auch Fridays for Future einige Kritik hinsichtlich der Diversität ihrer Mitgliederstrukturen gefallen lassen. Hat sich daran eurer Meinung nach etwas geändert?
Annika: Ich halte es für normal, dass sich problematische Strukturen entwickeln, wenn eine Bewegung in so kurzer Zeit so groß wird. Doch aus meiner Sicht arbeiten wir kontinuierlich an unseren Strukturen. Wir reflektieren unentwegt, sind ständig auf der Suche nach Verbesserungsmöglichkeiten und stets bemüht, dass unsere Bewegung allen Menschen einen sicheren Raum bieten kann. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass viele von uns zu Beginn der Proteste noch zur Schule gingen. Wir waren alle unglaublich jung und mussten selbst noch so viel lernen. Unsere Bewegung ist Teil der Gesellschaft, und es ist daher kein Wunder, dass wir dieselben Probleme haben, die auch in der Gesellschaft zu finden sind. Doch wir bemühen uns, das zu reflektieren und zu ändern.
Arshak: In Russland haben wir nicht mit denselben Problemen wie in Europa zu kämpfen. Doch auch wir sind natürlich bemüht, unsere Strategien zu überdenken und zu ändern. Beispielsweise wollten wir den Zusammenhang zwischen der Klimakrise und zahlreichen unterschiedlichen Problemen auf lokaler Ebene aufzeigen, um diesen komplexen Sachverhalt zu erläutern. Früher gab es in Russland keine Klimabewegung. In Westeuropa gibt es eine solche Bewegung dagegen schon seit Jahrzehnten. In Russland ist viel Aufklärungsarbeit notwendig, weil die Menschen kein Verständnis für die Dringlichkeit der Klimakrise haben. Wir wollen von den Bewegungen in Europa und aller Welt lernen. Wenn sie beispielsweise etwas zum Schutz der Indigenen Bevölkerung unternehmen, fragen wir uns: Wie können wir die Indigene Bevölkerung in Russland in unsere Bewegung einbinden?
Habt ihr die Hoffnung, dass von diesem Klimagipfel etwas Gutes ausgehen kann?
Annika: Auf dem Weg nach Glasgow habe ich nicht gedacht, dass diese Klimakonferenz die Welt retten und das 1,5-Grad-Ziel sicherstellen wird. So ist es nun einmal. Trotzdem habe ich noch die Hoffnung, dass diese Konferenz etwas Gutes bewirken kann, auch wenn es nur aus bilateralen Gesprächen oder einigen speziellen Vereinbarungen kommt. Es wird jedoch sicherlich nicht ausreichen. Ziel ist es, das Pariser Abkommen einzuhalten und die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Und ohne dieses Ergebnis war diese Klimakonferenz nicht erfolgreich.
Arshak: Ich denke, die Menschen brauchen Hoffnung. Wenn man sagt, dieser Klimagipfel war eine Katastrophe, dann werden viele Menschen enttäuscht sein. Und in der Welt geschehen gerade viele frustrierende Dinge. Doch ich fühle, das es tief in unserem Inneren Hoffnung gibt. Wir waren etwa 100.000 Menschen auf den Straßen von Glasgow. Ich kann die Hoffnung spüren, weil nach der COP 25 zum ersten Mal ein großer Aktivismus in allen Teilen der Welt zu beobachten war. Ganz gleich, was bei diesem Gipfel herauskommt, zahlreiche Aktivist*innen werden ihre Proteste fortsetzen. Wir werden fast schon professionelle Aktivist*innen, obwohl dies eigentlich die Arbeit der Regierungen sein sollte.
Warum ist es, unabhängig von all den Enttäuschungen, die man als Aktivist*in unweigerlich erlebt, immer noch so wichtig, bei diesen Konferenzen Präsenz zu zeigen? Und was konnte die Bewegung eurer Meinung nach erreichen?
Annika: Es ist wichtig, dass wir hier sind, weil wir einen Anspruch darauf haben. Der Zweck solcher Konferenzen besteht darin, Vertreter*innen aus Politik und Zivilgesellschaft für einen gemeinsamen Austausch zusammenzubringen. Wir sind Teil der Zivilgesellschaft, und es ist wichtig, dass sich junge Menschen Gehör verschaffen, weil sie tatsächlich am meisten unter den Folgen des Klimawandels leiden werden. In Deutschland konnten wir bereits einiges erreichen: Anfangs war der Klimawandel nicht wirklich ein Thema und wurde nicht wirklich als dringliches Problem betrachtet. Inzwischen haben wir sogar die deutsche Regierung erfolgreich wegen unzureichender Klimaschutzmaßnahmen verklagt.
Arshak: Die Welt verändert sich durch die globalen Klimaproteste. Auch in Russland konnten wir viel erreichen, vor allem auf lokaler Ebene. Unabhängige Medien berichten inzwischen von der Klimakrise im Zusammenhang mit Naturkatastrophen in Russland. Wir haben begonnen, uns mit der Klimakrise auseinanderzusetzen. Wir reden heute Klartext über die Verbindung zwischen Waldbränden und Erderwärmung. Wir haben viel Aufklärungsarbeit geleistet. Und dann haben wir die Diskussion auch auf andere Aspekte wie beispielsweise die Energiewende gelenkt. Vor vier Jahren hat sich unsere Regierung über die Klimakrise lustig gemacht. Heute räumt sie sogar auf höherer Ebene ein, dass es eine solche Krise gibt. Wir haben schon sehr viel erreicht, doch wir dürfen insbesondere in Russland nicht lockerlassen. Wir müssen große Proteste wie in Europa organisieren, denn ohne Aktionen und Proteste werden wir nicht die nötigen Änderungen bewirken können.
Dieses Interview führte Natascha Holstein, Zeitgeister‑Redakteurin.