Interview 5 plus 1
Von KI ist nicht viel Hilfe zu erwarten

Unter enormem Zeitdruck hat Merete Franz die Autobiographie der Altkanzlerin Angela Merkel ins Norwegische übersetzt. Hier erzählt sie uns, was ihr ihre Arbeit bedeutet, wie sie über das Buch denkt, welche Herausforderungen sie in KI sieht, und dass sie sogar schon ein Literaturhaus gegründet hat.
Du hast gerade ein echtes Mammutwerk ins Norwegische übersetzt – die kürzlich weltweit erschienene Autobiographie von Altkanzlerin Angela Merkel. Wie hast du diese Arbeit erlebt?
Das war nervenaufreibend. In jeder Hinsicht. Vorteilhaft war es, weil das Buch so lesenswert ist – und, weil es etwas Besonderes war, eine der ersten Leserinnen weltweit sein zu dürfen. Als nachteilig empfand ich den enormen Zeitdruck. Im Juli, August und September kam ich kaum zu etwas anderem. Außerdem musste ich die Entscheidung treffen, die norwegische Version etwas dichter an der deutschen Sprache auszurichten, als ich es normalerweise mache. Für etwas anderes blieb einfach nicht genügend Zeit übrig. Ich fragte mich wie das aufgenommen werden würde, doch glücklicherweise waren die Reaktionen postitiv – nicht zuletzt dank des tüchtigen Endlektorats durch Njål Helgheim, dem Korrekturleser Wolf Lorenz sowie den Mitarbeitern bei Gyldendal.
Welches Argument kommt dir als erstes in den Sinn, warum jemand Merkels Lebens-Rückblick lesen sollte?
Als erstes wegen ihrer einmaligen Geschichte. Sie wurde nicht nur die erste Bundeskanzlerin in Deutschland, sondern hat auch 35 Jahre ihres Lebens in der DDR gelebt und 35 Jahre im wiedervereinten Deutschland. Zum anderen, weil man beim Lesen Einblick in politische Prozesse erhält, sowohl innen- als auch außenpolitisch. Wenn es um die deutsche Außenpolitik geht, ist es wohl am spannendsten über Merkels Begegnungen mit Putin und Trump zu lesen. Merkel hat dieses Buch gerade für diejenigen geschrieben, die sich nicht unbedingt für Politik interessieren oder besonders viel Ahnung davon haben. Ich meine, das ist ihr gut gelungen.
Wie blickst du auf die deutsche Sprache, wenn du sie mit deiner Muttersprache Norwegisch vergleichst? Klar, beide sind germanischen Ursprungs, doch beim Übersetzen kommt es ja gerade auf verbale Feinheiten an.
Es kann leicht geschehen, während der Übersetzung vom Deutschen ins Norwegische, Formulierungen zu wählen, die auf norwegische Leser:innen einen überkandidelten oder fremden Eindruck machen. Mir hilft es, wenn ich die Sätze für mich selbst laut lese. Deutsche Texte dieses Kalibers haben eine Tendenz mehr pompös und hochtrabend zu klingen, aber Merkels Texte waren nichts von alledem. Da die Zeit so knapp war, bedeutete das für mich eine große Erleichterung. Es ist wohl so wie Knut Hoem in seiner Buch-Kritik schrieb dazu: «Einfach und geradeaus erzählt – ähnlich wie sie auch als Kanzlerin dagestanden hat.“ So gesehen sollte das für mich vielleicht keine Überraschung gewesen sein.
Was bedeutet Literatur für dich?
Literatur ist für mich die beste Art, mehr über andere Menschen zu erfahren, über Gesellschaften und Kulturen – und vielleicht auch über mich selbst. Literatur ist Unterhaltung, Flucht und Reflexion. Ich meine, ich kann nie genug lesen – TV-Serien und Filme fesseln ebenfalls einen großen Teil meiner Aufmerksamkeit. Als Übersetzerin habe ich ohnehin das Glück, mich die ganze Zeit mitten in der Literatur zu befinden. Es fühlt sich sinnvoll an, deutsche Literatur norwegischen Leser:innen zugänglich zu machen.
Hat sich deine Arbeit in Zeiten von KI verändert?
Nein, glücklicherweise nicht. Von KI ist nicht viel Hilfe zu erwarten, wenn ich vom Deutschen ins Norwegische übersetze. Das einzige, was sich wohl verändert hat, ist wohl die Bedrohung, dass sich das eines Tages verändern kann. Das hängt wie ein Damokles-Schwert über uns. Es ist extrem wichtig, dass wir – sowohl die Behörden, Verleger:innnen, Autor:innen und Übersetzer:innen und entsprechende Organisationen – die Entwicklung mitverfolgen, miteinander sprechen und das norwegische, literarische Modell speziell und das künstlerische geistige Eigentum schützen. Und da gibt es keinen Zweifel, dass wir das machen.
5 plus 1
Wenn du nicht Übersetzerin geworden wärst, welchen Beruf hättest du dir ansonsten für dich vorstellen können?
Seit ich ein Teenager war träumte ich davon, Literatur zu übersetzen. Ich habe bereits ein Literaturhaus gegründet, war dort Geschäftsführerin und verantwortlich für das Programm, habe als Norwegisch- und Deutschlehrerin gearbeitet und als Autorin und Fachübersetzerin. Es sollte einige Jahre dauern, bevor mein beruflicher Traum sich erfüllen würde… Jetzt, wo ich dort angekommen bin, halte ich ihn fest so gut ich kann und kann mir eigentlich keinen anderen Beruf für mich vorstellen.