Weibliche Perspektive im Film
Julia Thurnau über den Regisseur Joachim Trier

„Letzte Spur Berlin" mit Julia Thurnau
„Letzte Spur Berlin" mit Julia Thurnau | © ZDF/Fréderic Batier

Die deutsche Schauspielerin Julia Thurnau (z.B. TV-Serie „Letzte Spur Berlin") kennt Norwegen gut. Wieso hält der in Cannes hochgelobte norwegische Regisseur Joachim Trier nichts von weiblichen Rollen in seinen Filmen, fragt sie sich. Eine Annäherung.

Als ich den Namen Joachim Trier das erste Mal höre, muss ich erst mal nachschlagen: Er ist 41 Jahre, aufgewachsen in Oslo, ein entfernter Verwandter Lars von Triers. Er beginnt schon als Teenager Skater-Filme zu drehen. Feiert 2006 mit seinem Debut „Auf Anfang“ seinen ersten großen Erfolg, gefolgt von Oslo, 31 August.

Da ich mich mit ausschließlich männlichen aktiven Akteuren nur selten identifizieren kann, gucke ich Triers Filme erst jetzt. ObReprise überhaupt den Bechdel-Test besteht? Nein. Und auch in Triers zweitem Film spricht keine Frau mit einer anderen Frau. Meine Vorurteile bewahrheiten sich weiterhin: völlig ungeniert dekliniert „Reprise“  alle wichtigen Genderklischees durch. Ein Kumpel aus der Jungs-Clique formuliert sogar die Lebensweisheit Frauen seien hübsch, bei konstruktivem Schlankheitswahn vielleicht sogar schön, aber weder cool, noch könne von ihnen etwas kommen, das sich vom Mainstream abhebt... wenn doch, haben sie es von einem Mann...  Wie kann das sein? Joachim Trier ist doch Norweger?!
 
Aus dem gleichen Grund, weswegen ich bisher Triers Filme ignoriert habe, bin ich 2007 für ein Jahr nach Norwegen gezogen. Ich wollte Gleichberechtigung in einer funktionierenden Sozialdemokratie erleben. Und in der Tat: Wie viele große Institutionen in Norwegen von jungen Frauen geleitet werden ist ganz wunderbar. Wie familienfreundlich die Betriebe sind! Wie selbstverständlich engagiert die Väter! Doch in der Filmwelt, selbst in der norwegischen, sieht es leider anders aus.
Triers zweiter Erfolg Oslo 31.August interessiert mich ganz kurz, als noch in der Entzugsklinik eine junge Frau ihre Angst vor dem Leben beschreibt. Bei der Feier einer Ex-Freundin des Protagonisten fühle ich mich noch einmal kurz angesprochen, doch als sie ihr Problem ausformuliert, sie fühle sich mit 30 Jahren alt, bricht meine auf diesen wenigen Momenten basierenden Identifikation in sich zusammen.  

Autorenfilm vom Sockel gestürzt

Ich recherchiere, ob es in Norwegen auch wichtige  Filme von Frauen gibt und finde Vibeke Løkkeberg, deren Film Haut schon 1987 bei Un Certain Regard in Cannes lief. Im Gegensatz zu Joachim Trier 2015 mit Louder Than Bombs schafft sie es mit ihrem nächsten Film aber nicht in den Internationalen Wettbewerb der Filmfestivals. Sie und Anja Breien werden in den 1970er/1980er als die großen Autoren-Filmerinnen aus Skandinavien gefeiert, doch kurz darauf zusammen mit dem Autoren-Film vom Sockel gestürzt und tragischerweise auch nicht wieder heraufgelassen als letzterer Anfang der 2000er Jahre, diesmal wieder als männliches Genre, ein Revival erlebt.
Gerade weil Norwegen in den 1970ern „Das Land der weiblichen Regisseurinnen“ genannt wurde, schmerzt die Rückläufigkeit dieser Entwicklung, von der Joachim Trier profitiert.

Doch worauf, außer postfeministischer Frauenfeindlichkeit beruht Triers internationaler Erfolg noch? Der Rhythmus seiner Filme ist sensationell. Es wird wenig gesprochen und Trier erzählt von Künstlern am Rande des Wahnsinns, von Menschen die erstmal nicht funktionieren wie sie sollen. Die nicht in die Gruppe passen. Und das obwohl in der funktionierenden norwegischen Sozialdemokratie die Gruppe über alles geht.
Er erzählt von Identität, zeigt Zukunft als kausales Ergebnis von Gegenwart und Vergangenheit. Er greift somit die großen Themen der Kunst auf. 

Vielleicht kann ich mich an Triers letztem Oeuvre erfreuen wenn mir eine der weltbesten Charakterdarstellerinnen wie Isabelle Huppert die Geschichte des jungen Mannes, der das Leben nicht erträgt, zumindest miterzählt? Wohl kaum. Selbst Isabelle Hupperts Möglichkeiten sind eingeschränkt, wenn der Film mit einer Ausstellung der fotografischen Arbeiten einer abwesenden Mutter ansetzt – sich nicht für ihre, sondern für die Schwierigkeiten ihrer Söhne und ihres Ex-Mannes mit dieser Abwesenheit – interessiert und die Erzählung nach ihrem Tod beginnt, diese Mutter also, wenn überhaupt, über die Erinnerung des Sohnes oder Ex-Mannes erzählt wird.  
Joachim Triers Co-Autor Eskil Vogt wiederum schafft in seinem DebutDie Blinde zumindest vor der Kamera eine weibliche Perspektive, mit der er sich selbst identifiziert. Da ich mir gerade als Norwegen-Fan „ungegendert“ erzählte Filme wünsche, feiere ich jede Auszeichnung, die kulturelle Werke wie dieses erhalten.

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