5 plus 1
„Ich bin sehr gläubig“

Nora Gomringer
Nora Gomringer | Foto: ©Judith Kinitz

"Es bleibt fast nicht anderes übrig, als die vielen Einladungen und die dazugehörigen stundenlangen, tagelangen Reisestrecken als Schreibzeit zu nutzen. Nicht alles, was ich sehe und erlebe, geht direkt oder unmittelbar ein in die schriftstellerische Arbeit, aber vieles spiegelt sich nach einer Zeit darin", so die Lyrikerin Nora Gomringer. 

1. Sie  sind schon früh in die große weite Welt gegangen. Unter anderem haben Sie eine High School in Pennsylvania besucht und Praktika in New York und Los Angeles absolviert. Auch heutzutage sind Sie viel unterwegs. Nutzen Sie Reisen als Inspirationsquelle?
 

Es bleibt fast nicht anderes übrig, als die vielen Einladungen und die dazugehörigen stundenlangen, tagelangen Reisestrecken als Schreibzeit zu nutzen. Nicht alles, was ich sehe und erlebe, geht direkt oder unmittelbar ein in die schriftstellerische Arbeit, aber vieles spiegelt sich nach einer Zeit darin. Manchmal muss ich so viel reisen und das Leben wird so unstet, dass ich gar nicht arbeite und nur notiere, aufnehme, einfach nur aufnehme. Es dauert dann, bis sich mit der Zeit eine festere Form daraus bindet. Deshalb mache ich gerne Auftragsarbeit. Im Moment zwei Opernlibretti, ein Radiospiel über japanische Geister, eine Neuerzählung des Nibelungenlieds und mehrere kurze Artikel. Bald auch eine Poetikprofessur. Viel Arbeit.
 
2. Sie stammen aus einem literaturbegeisterten Haushalt: Ihre Mutter ist Germanistin und Ihr Vater ein bekannter Schriftsteller. War es für Sie immer klar, dass Sie als Lyrikerin arbeiten möchten?

Nein. Erst so mit 16, als der Film „An Angel at my Table“ von Jane Campion (über das Leben der Dichterin Janet Frame) irgendwie „in mir angekommen“ war mit seiner Aussage und großen Kraft war ich mutig und zog das in Erwägung. Fest stand, dass ich immer auch einen „richtigen“ Beruf haben wollte, um das Schreiben ganz „pur“ zu halten und es nicht wirtschaftlichen Zwängen unterwerfen zu müssen. Es war dann wie ein outing, es meinen zwei Literatur-Schwergewichtler-Eltern mitzuteilen. Aber – wie das eben ist bei sehr beschäftigten, humorvollen und ich-bezogenen Eltern – es war ihnen gar nicht so ein Graus. Sie sagten: Mach mal einfach. Und das tue ich seitdem. Meine sieben Brüder machen alle eher handfestes.
 
3. In Ihren Programmen arbeiten Sie häufig mit Künstlern aus unterschiedlichen Genres, beispielsweise mit dem Jazzmusiker Philipp Scholz oder mit den Bambergern Symphonikern. Mit welcher Künstlergruppe würden Sie in Zukunft gerne neue Projekte starten?

Hmmm, ein Theater, das mich anfragen würde, eine Auswahl von kurzen Texten oder einen Langtext von mir in eine Produktion umzuwandeln wäre mein Traum.  Oder eine Tanzshow rund um das Schreiben – ich habe da so eine Idee... ein paar Filmprojekte sind gerade im Entstehen. Auch Fernseharbeit würde ich gerne weitermachen und meine Liederabende planen. Und es wäre natürlich große Ehre mit einem Text und Orchester-Programm ein bisschen touren zu können. Das hat in Leipzig mit dem Landesjugendorchester Sachsen sehr gut geklappt, war irre eindringlich.
 
4. Gibt es auch Pläne für einen Roman aus Ihrer Feder?

Ja, die gibt es. Aber mehr kann ich gar nicht verraten. Ich habe schon viele Kurzgeschichten geschrieben und veröffentlicht, aber Roman ist Neuland. Das muss langsam wachsen dürfen.
 
5. Wie gesellschaftlich engagiert soll denn Literatur überhaupt sein oder anders gefragt: Ist es heutzutage wichtig politisch zu schreiben?

Das Interessante ist, dass die Welt um uns Europäer sich so gewaltig umgestaltet, dass wir als jetzt -Schreibende inmitten der „Idee Europa“ automatisch Teil des politischen Prozesses sind, vor allem, wenn die sozialen Medien dabei sind und sich alles irgendwie in den großen Informationsstrom einspeist. Wir sind ganz schön exponiert. So ergibt sich eine Politisierung von Poesie qua Position (auf der Landkarte, der physischen und virtuellen). Wissen Sie, ich bin sehr gläubig und schreibe viel über mein Verhältnis zur Bibel und den Geboten der Nächstenliebe. Ich denke nicht, dass das viele Menschen direkt herauslesen können aus meinen Texten. Aber wer dafür einen Sensor hat, spürt, dass ich eine „Empfindsame“ und eine Humoristin bin – ich glaube, das eine kann nicht ohne das andere sein, wenn man nicht wahnsinnig werden will. Ich denke, dass wir heute so politisch UND so religiös schreiben, wie selten zuvor.
 
+1
Welchen anderen Beruf hätten Sie gerne ausgeübt, wenn Sie nicht Lyrikerin geworden wären?


Wenn künstlerisch: Choreographin oder Köchin. Sonst gerne: Ärztin. Schwerpunkt Sexualität. 

Top