Interview 5 plus 1
Hinter jeder Information steckt ein Interesse
In unserer Interview-Reihe 5 plus 1 befragen wir Schriftsteller, Musiker, Filmemacher und andere interessante Zeitgenossen rund um ihr Leben. Diesmal die Medien-Forscherin Cristina Archetti.
Welchen Einfluss übt die Digitalisierung auf die politische Kultur und ihr Umfeld aus?
Kommunikationstechnologien, insbesondere soziale Medien sind wichtige Werkzeuge, die wir verstehen müssen. Sie sind Teil der Gesellschaft, der Politik und der Kommunikation. Ihre Wirkung entsteht aber nicht durch die Technik an sich, sondern durch die Kombination mit anderen Medien, wie der Presse oder der Fernsehübertragung. Mich interessiert am meisten die Verknüpfung von neuen Medien mit anderen Formen der Kommunikation. Wir vergessen dabei, dass menschliche Kommunikation von Angesicht zu Angesicht weiterhin extrem wichtig bleibt.
Wenn soziale Medien Werkzeuge sind, wie könnten sie gegen Polarisierung, Fake-News, und Propaganda eingesetzt werden?
Die Rolle, die soziale Medien in der Kommunikation und in den genannten Phänomenen einnehmen, muss genauer betrachtet werden. Deshalb müssen wir die Phänomene einordnen und auf ihre Ursprünge zurückführen. Wie und warum entsteht Polarisierung? Soziale Medien sind nicht ihr Ursprung, sie tragen zu ihrer Verbreitung bei. Die Technologien können dazu benutzt werden einen Dialog zu kreieren und die Demokratie unterstützen. Ich lehne die Idee, dass Kommunikationstechnologien automatisch zu einem Dialog führen ab, denn der setzt zuerst Interesse voraus. Es gibt kein allgemeingültiges Rezept, wie soziale Medien gegen Polarisierung oder Propaganda eingesetzt werden können. Kommunikation kann nur auf einer gemeinsam etablierten Basis aufgebaut werden.
Gefährden Fake-News die Demokratie?
Wann ist eine Information richtig bzw. wahr? Wenn wir über Fake-News sprechen, bekommen Menschen schnell den Eindruck, es ginge um falsche Information, die sich jemand ausgedacht hat- um zu betrügen oder um zu manipulieren. Aber das ist eigentlich immer der Fall. Hinter jeder Information steckt ein Interesse. Ich glaube, dass wir aufmerksamer geworden sind, weil wir in einer polarisierenden, konfliktreichen Gesellschaft leben. Fake-News müssen nicht zwingend falsch sein, sie erscheinen uns falsch, weil sie nicht unsere Meinung widerspiegeln. Es geht um den Zusammenprall unterschiedlicher Ansichten. Ich bin mir nicht sicher, ob wir in einer Welt leben, in der mehr Fake-News existieren als vorher, oder ob das Umfeld in dem wir leben, konfliktreicher geworden ist. Auch hat sich der Informationszugang stark verändert, es gibt nicht mehr nur die eine Zeitung, als Informationsquelle. Das Internet eröffnet uns eine Vielzahl an unterschiedlichen Meinungen und Perspektiven. Bürger in einer funktionierenden demokratischen Gesellschaft, sollten Information differenziert aufnehmen und verarbeiten.
Wie können Kinder und Jugendliche vor falschem Umgang mit digitalen Medien
geschützt werden?
Ich denke, dass das Problem Medien und Quellen kritisch zu hinterfragen, im Erwachsenenalter weiter besteht. Wie wurde die Information konstruiert? Es ist schwierig herauszufinden wer z.B. ein Experte auf einem Gebiet ist und wer sich nur so nennt. Aber Quellenkritik hat Grenzen, es kann nicht alles geprüft werden. Im Zusammenhang mit Kindern und Jugendlichen wäre es wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass es immer verschiedene Perspektiven auf ein Thema und immer eine Meinung hinter der Information gibt. Es ist zu beobachten, dass sich der Ton der allgemeinen Berichterstattung verschärft, z. B. wenn Politiker während ihrer Wahlkampanien angegriffen werden. Für diese Entwicklung wird gerne die Kommunikationstechnologie verantwortlich gemacht. Natürlich bietet das Internet Möglichkeiten, schneller Kontakt zu Menschen mit ähnlicher Gesinnung aufzubauen, aber meiner Meinung nach, sind es Personen der Öffentlichkeit, auch Politiker, die dafür Verantwortung tragen, was gesellschaftlich akzeptable Äußerungen sind. Öffentlich geäußerter Hass wird extremer, und das liegt nicht an den technischen Mitteln. Wenn man sich z.B. Trump anschaut, hat er mehr zu einem extremeren Diskurs beigetragen, als soziale Medien es könnten.
Du hast dich als Guerilla-Researcher bezeichnet. Was bedeutet das?
Der Ausdruck impliziert Kritik gegenüber dem akademischen System. Das verändert sich dahingehend, dass Unternehmen zunehmend Forschung sponsern oder Teamarbeit erwartet wird. Manchen Forschungsbereichen nützt das, aber es ist nicht notwendig. Ich bin überzeugt, dass bahnbrechende Erfolge in der Sozial-Forschung erzielt werden können, auch wenn man nicht großartig finanziell gefördert wird. Sozialforscher können überall arbeiten, da man die ganze Zeit von Daten umgeben ist. Ich habe z.B. eine Studie mit über 50 Interviews durchgeführt und nicht mehr als meine Zeit, meinen Schreibtisch, PC und Skype gebraucht. Ich möchte unabhängig von Geldgebern arbeiten, die mir auftragen wonach ich forschen soll und wie meine Ergebnisse auszusehen haben.
Plus 1: Wenn du deine Karriere neu beginnen könntest, welchen Beruf würdest du dann wählen?
Vielleicht wäre ich Schriftstellerin. Andererseits bin ich das auch schon, weil ich versuche kreatives Schreiben in mein wissenschaftliches Arbeiten einzubeziehen. Ich habe Artikel über Poesie als Methode für wissenschaftliches Arbeiten geschrieben. Das ist eine gute Reflexionsmöglichkeit um zu fragen; wie man weiß was man weiß. Wir glauben, dass Wissenschaft Wahrheiten bereithält, aber es ist der Wissenschaftler, der die Methode aussucht und das Vorgehen bestimmt. Am Ende stecken hinter der Wissenschaft auch nur Menschen. Ich finde es wichtig, diese Prozesse gründlich zu reflektieren.