Interview 5 plus 1
Die Arktis als Schutzschirm des Planeten

Arktis
Arktis | Foto: ©colourbox

Stefan Norris Vision einer nachhaltigen Zukunft für die Arktis ist, dass alle im Arktischen Rat vertretenen Länder – und alle Länder, die Einfluss auf die Region ausüben. Nicole Schalin spricht mit ihm über diese ganz besondere Region.

Sie engagieren sich seit vielen Jahren für die Arktis, unter anderem indem Sie für nationale und internationale Umweltschutzorganisationen arbeiten. Woher kommt Ihr Interesse für die Arktis?

Ursprünglich war ich gar nicht so sehr an den nördlichen Regionen interessiert. Als Biologe mit einem Mastergrad in Naturschutz und tropischer Ökologie wollte ich vor allem in Afrika arbeiten. Als mir nach einigen Jahren Tätigkeit in Afrika eine Stelle am Norwegischen Polarinstitut in Spitzbergen angeboten wurde, war ich zunächst sehr skeptisch. Ich hatte vor Augen, in Kälte und Dunkelheit in einer Baracke zu hausen und  mich aus Konservendosen zu ernähren. Aber als ich zum Vorstellungsgespräch nach Spitzbergen kam, wurde ich von der großartigen Natur, der Mitternachtssonne und auch von der kleinen lokalen Gemeinschaft, die sich als sehr spannend erwies, total überwältigt.
 
Nach dem wärmsten arktischen Winter seit Beginn der Wetteraufzeichnungen und einem rekordwarmen Sommer 2018 schmilzt das Eis rascher, als es die Forscher noch vor wenigen Jahren  vorausberechneten. Welche Konsequenzen hat diese Entwicklung?
 
Ich bezeichne die Arktis gerne als Schutzschirm unseres Planeten. Die Arktis ist im Großen und Ganzen ein von Eis und Schnee bedecktes Meer, das das Sonnenlicht reflektiert. Wenn das Eis schmilzt, vermindert sich nicht nur dieser Effekt, sondern es entsteht mehr dunkles Wasser, das Sonnenenergie in Form von Wärme aufnimmt. Dann schmilzt das Eis noch schneller. Gleichzeitig schmilzt auch der Permafrost an Land, mit der Folge, dass Methan - ein Treibhausgas mit weit stärkerer Wirkung als Kohlendioxid -  in großen Mengen freigesetzt wird. Das wiederum beschleunigt den globalen Treibhauseffekt, was man auch als selbstverstärkende Klimaänderung bezeichnet. Auf lokaler Ebene werden die dramatischen Veränderungen wohl einen Verlust der biologischen Vielfalt nach sich ziehen. Arten, die sich an die Arktis angepasst haben, wie Eisbären, Robben oder Walrösser, sind existenzbedroht. Wahrscheinlich werden sich die sogenannten „Generalisten“ unter den Lebewesen, die unter ganz unterschiedlichen Bedingungen überleben können, durchsetzen, also etwa Ratten, Krähen, Kakerlaken, Löwenzahn – sowie wärmeliebende Bakterien und Parasiten.
 

Steffan Norris © Foto: ©privat Steffan Norris Foto: ©privat

Das Leben der lokalen Bevölkerung und vor allem der Urvölker wird vom Klimawandel stark beeinflusst. Auf der anderen Seite verändert auch die industrielle Entwicklung in der Polarregion den traditionellen Lebensstil. Wie können die kulturellen Werte und die Rechte der Urvölker auf respektvolle Weise geschützt werden?
 
Die arktischen Urvölker sind vom Klimawandel mit am stärksten betroffen. Die Veränderungen vollziehen sich in der Arktis schneller als in anderen Regionen. Ein großer Teil der Lebensgrundlage der Menschen – Robben, Vögel, Wale, Fische – verschwindet. Gleichzeitig ändern sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen - mit neuen Wirtschaftszweigen und Technologien, Industrie- und Bergbauvorhaben etc. - so schnell, dass es für diese Gemeinschaften kaum noch möglich ist, sich anzupassen. Urvölker, die von der Rentierzucht, der Jagd oder der Fischerei leben, sind auf dieselben Gebiete angewiesen, die andere industriell entwickeln möchten. Wenn Land und Ressourcen auf dem Spiel stehen, geraten sie, als der schwächere Part, oft in Konflikt mit der Verwaltung eines Landes oder großen Konzernen.
Die arktischen Urvölker beteiligen sich aktiv am Arktischen Rat, dem Kooperationsforum der acht arktischen Staaten. Es ist ziemlich einzigartig in internationalem Zusammenhang, dass Urvölker so gut repräsentiert sind. Allerdings sind es letztlich die einzelnen Länder selbst, die die Entscheidungen treffen und Gesetze erlassen.
 
Wissenschaftler rechnen damit, dass die arktischen Meerespassagen in nur wenigen Jahren eisfrei sein werden. Manch einer sieht darin große ökonomische Möglichkeiten. Welche Folgen haben ausgeweitete Aktivitäten in der Arktis?
 
Es wird vermutet, dass 20 Prozent der weltweiten Gasvorkommen und bis zu 25 Prozent der noch nicht entdeckten Erdölvorkommen in der Arktis zu finden sind. Um diese Ressourcen sowie um die Land-, Meeres- und Fischereirechte wird es einen Kampf geben. Die geopolitischen Kräfteverhältnisse und die Interessen der Industrie werden die Entwicklung bestimmen. Doch die Arktis ist global gesehen eines der wichtigsten und verwundbarsten Gebiete der Welt. Wir alle, die wir uns dafür einsetzen, die Natur zu schützen und die Rechte der lokalen Bevölkerung zu bewahren, müssen uns auf einen harten Kampf einstellen.
 
Die Mitgliedsländer des Arktischen Rates (Kanada, Dänemark mit den Färöern und Grönland, Finnland, Island, Norwegen, Russland, Schweden und die USA) befassen sich mit den Herausforderungen und Chancen der gesamten Region. Was ist Ihre persönliche Vision für eine nachhaltige Zukunft der Arktis?
 
Man kann wohl kaum von einer nachhaltigen Entwicklung sprechen, solange Norwegen und andere Staaten daran festhalten, immer mehr Öl und Gas in der Arktis zu fördern. Die Arktis – und übrigens auch die Antarktis – muss vor solchen umweltschädlichen Eingriffen geschützt werden. Die Europäische Union, die dem Arktischen Rat nicht angehört, trägt wesentlich zur Forschung über die Arktis bei. Ich kenne sehr engagierte und kompetente Wissenschaftler, unter anderem in Deutschland, die gerne ihre Forschungsergebnisse zur Verfügung stellen, um den Schutz der arktischen Natur zu unterstützen. Das ist sehr wichtig, denn nur so gewinnen die Umweltargumente an Glaubwürdigkeit.
 
Meine Vision einer nachhaltigen Zukunft für die Arktis ist, dass alle im Arktischen Rat vertretenen Länder – und alle Länder, die Einfluss auf die Region ausüben – ihrer Verantwortung bewusst werden und die arktischen Ökosysteme schützen.
 
+1: Welchen anderen Beruf hätten Sie gewählt, wenn Sie nicht Berater für Umweltorganisationen geworden wären?  
 
Ich finde es wichtig, meine Erfahrungen und meine Träume von einem Planeten voller Leben und Vielfalt weiterzuvermitteln, vor allem an nachfolgende Generationen. Sie sollen sowohl erben, was wir ihnen hinterlassen, als auch ihre eigenen Wege entwickeln, den Reichtum zu bewahren. So gesehen wäre der Lehrerberuf sehr spannend gewesen. Ich habe im Laufe meiner Karriere oft versucht, auf Führungsgremien einzuwirken, sodass ich mir gut auch einen Platz in einem beschlussfassenden Organ, zum Beispiel in der Lokalpolitik, hätte vorstellen können. Außerdem liebe ich die Musik! Ginge es nur um mich, wäre es ein Traum, in einem Sinfonieorchester Cello zu spielen.


 

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