Interview 5 plus 1
Die Meere sind die Lunge der Erde
„Das Meer bietet einen riesigen, unbekannten, unzugänglichen Raum für Phantasie und Utopien jenseits unserer gefühlt immer kleiner, voller und schmutziger werdenden Erdoberfläche, sagt die Meeresbiologin Professor Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung, Trägerin des Deutschen Umweltpreises 2018.“
Wann haben Sie begonnen sich für die Ozeane dieser Welt zu interessieren, und gab es einen Auslöser dafür?
Als Kind schon haben mich Geschichten über den Ozean und die Tiefsee fasziniert. Ich liebte Meeres-Abenteuerromane wie „Die Schatzinsel“ und Piratengeschichten wie die „Hornblower“-Serie. Bis heute ist „Der rote Korsar“ mein absoluter Lieblingsfilm. Mit den Erzählungen meines Großvaters, der Seefahrer war, und den Eindrücken der ersten Unterwasserfilme von Hans Hass und Jacques Cousteau formte sich die Idee, dass ich Tiefseeforscherin werden will.
Die Weltmeere sind längst im Fokus besorgter Umweltschützer. Was halten Sie derzeit für die wichtigsten Aufgaben, um die Probleme zu lösen und in welcher Verbindung steht die Arktis mit Ozean und Ökosystemen?
Allem voran ist der raschen Erwärmung entgegenzuwirken, und die Treibhausgas-Emissionen einzudämmen. Das Meereis und die Gletscher schmelzen, die Ozeane versauern und erwärmen, sie verlieren Sauerstoff. Wir müssen begreifen, dass wir nur noch sehr wenig Zeit haben, um das Schlimmste zu vermeiden. Die Forschung zu der Rolle der Meere auf der Erde ist dabei ein wichtiger Baustein: Sie beschafft die Erkenntnis, wie wichtig der Ozean für das Leben auf der Erde ist: Die Meere sind die Lunge der Erde, sie produzieren mehr als die Hälfte des Sauerstoffs, den wir atmen. Sie sind Heizung oder Kühlung für ein gutes Klima. Wir transportieren mehr als 90 Prozent unserer Güter über den Ozean, unsere Telekommunikation läuft durch ihn, wir essen seinen Fisch und benutzen ihn als Energiequelle. Die Gefahr ist für uns alle sehr groß, dass wir durch Fischerei, Vermüllung und vor allem durch den Klimawandel einen großen Schaden anrichten. Wir müssen also beobachten, wie unser Handeln wirkt und in welchem Zustand die Ozeane sich befinden.
Dabei ist die Arktis wie ein Frühwarnsignal – hier schreitet die Erwärmung schneller voran und derzeit erforschen wir, wie die Veränderungen in der Arktis auch direkt auf unser Wetter wirken. Es gibt globale Kopplungen, die wir jetzt erst beginnen zu verstehen. Wenn die Arktis sich erwärmt, verlieren wir nicht nur einen einzigartigen Naturraum, sondern auch die anderen Regionen der Erde verändern sich – Wetterextreme werden stärker und häufiger, die Meereströmung ändern sich.
Wann sprechen Sie und Fachleute von „lebendigen Meeren“ und was ist unter so genannten „Todeszonen“ zu verstehen?
Wenn dem Meer der Sauerstoff ausgeht, dann sprechen wir von Todeszonen, weil dann dort keine Tiere mehr leben können, sondern nur noch Bakterien und andere Einzellern. Ohne Sauerstoff wird der Meeresboden nicht mehr belüftet, es entsteht giftiger Schwefelwasserstoff und vertreibt auch das Leben in umliegenden Regionen. Nach der Ausbreitung von Todeszonen dauert es oft Jahrzehnte bis sich die Umwelt wieder erholt.
Sie sind am Alfred-Wegener-Institut u.a. für die Brückengruppe Tiefseeökologie und Technologie verantwortlich. Erzählen Sie uns bitte, was Technologie inzwischen auf den Meeresböden leisten kann?
Die Technik erlaubt uns dort hinzuschauen wo kein Mensch sein kann. Es gibt ja nur sehr wenig Tauchboote, oder Tiefseeroboter – und wir müssen noch so viel lernen. Wir haben gerade die ersten Daten aus dem Frühjahr und Winter in der arktischen Tiefsee gewonnen – durch autonome Sensoren und kleine Roboter, die am Meeresboden umherfahren und Messungen machen.
Sie interessieren sich auch für das Meer in der Kunst. Was glauben Sie: Warum haben seit uralten Zeiten Maler, Poeten und andere Schöngeister Inspiration aus dem Ozean geschöpft?
Weil er eben einen riesigen, unbekannten, unzugänglichen Raum für Phantasie und Utopien bietet, jenseits unserer gefühlt immer kleiner, voller und schmutziger werdenden Erdoberfläche. Weil dieser ozeanische Raum uns einerseits ausschließt, weil wir aber riesige Zukunftsschätze in ihm vermuten. Und weil das Leben dort entstanden ist, noch viele Geheimnisse birgt und atemberaubend fremd und schön sein kann.
Plus 1:
Wenn Sie nicht Meeresbiologin geworden wären, was dann?
Kapitänin Nemo, mit meinem eigenen Uboot, Meilen unter dem Meer