Interview 5 plus 1
"Im Gespräch bleiben ist wichtig"

Matthias Jügler
Matthias Jügler | Coverbild © Random House, Author Porträt © Franziska Hauser

„Der Ich-Erzähler in meinem Roman ist ein stiller Zeitgenosse“, betont der deutsche Autor Matthias Jügler. Sein jüngster Roman „Die Verlassenen“ erzählt noch einmal die Geschichte von Verlust und Verrat, angesiedelt zwischen West und Ost.  „Ich glaube, so wird man einfach, wenn einem die Eltern früh abhandenkommen und wenn man dann Jahre später merkt, dass es nicht das Schicksal war, sondern dass da jemand dahintersteckte, dass da jemand einem Plan gefolgt ist, der dann so katastrophale Konsequenzen hatte“.

 

Welche Bedeutung haben für Sie persönlich die Vergangenheit und Erinnerungen?

Eine große! Ich gehöre zu den Menschen – das kann Segen und Fluch zugleich sein – die Dinge, Erfahrungen, die sie gemacht haben, nicht einfach so ad acta legen können. Ich grübele dann oft noch: War dieses Gespräch so, wie ich es erwartet habe? War xyz enttäuscht, als ich am Ende noch diesen einen Punkt erwähnt habe? Das Erinnern, das Darüber-Nachdenken spielt also schon eine wichtige Rolle. Und da ist das Schreiben von Romanen natürlich eine ziemlich gute Sache für mich: da soll und darf ja erinnert und nachgedacht werden ... das geht dann ja auch weit über meinen eigenen Erfahrungshorizont hinaus, und da fängt es ja zumeist erst so richtig an interessant zu werden.

Vergangenheitsbewältigung spielt nicht erst seit dem Fall der Mauer für die Deutschen eine besondere Rolle. Ihr Gelingen ist wohl das Gegenteil von Vergessen oder Verdrängen. Wie könnte sie Ihrer Erfahrung nach gelingen?

Im Gespräch bleiben. Das ist so wichtig! Wie viel Gesprächsbedarf es gibt, das habe ich gemerkt, als direkt nach Veröffentlichung des Buchs so viele Leserbriefe kamen. Da landeten dann sehr viele Mails in meinem Postfach, da wurde geschimpft über das Buch, ich würde das Andenken an die DDR beschädigen, ich dürfe auch gar nicht darüber schreiben, weil ich ja noch so ein junger Hüpfer sei, etc. Den Leuten, auch denen, die mich wüst beschimpft haben, habe ich geantwortet – und kaum dass sie gemerkt haben, dass ich mich wirklich auf sie einlasse, waren die Wogen schon geglättet und die Leute waren einfach froh, dass man ihnen zuhörte und sie ernstgenommen hat. Insofern kann meine Arbeit, das Schreiben von Romanen, vielleicht immer auch ein Gesprächsangebot sein.

Bei der Wiedervereinigung waren Sie noch sehr jung. Welche Erinnerungen haben Sie an ihr Leben als Kind in der DDR?

Nur eine einzige: Ich erinnere mich, dass meine Mutter einmal mit sehr viel Nachdruck in der Stimme auf mich einredete, morgens, bevor es in den Kindergarten ging: „Dass du mir ja kein Gemüse isst!“ Und das habe ich dann auch getan, musste mich dann in die Ecke stellen, als Strafe. Erst später habe ich erfahren, dass gerade die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl passiert war, und dass es auf einmal Gemüse im Überfluss gab in DDR-Kindergärten, weil der Westen das nicht mehr wollte ... schon irgendwie bezeichnend, dass gerade das mir im Kopf geblieben ist. 

Johannes Wagner, der stille Held und Protagonist in Ihrem aktuellen Roman „Die Verlassenen“ besitzt eine enorme Resilienz. Obwohl er immer wieder von Resignation und Phlegma eingeholt wird, verliert er nicht die Hoffnung, seinen Vater eines Tages wiederzufinden. Dieser war, als Johannes 13 war,  sang- und klanglos aus dessen Leben verschwunden. Wie schafft er es, dennoch diesen Traum einer glücklichen Wiedervereinigung von Vater und Sohn weiter zu träumen?

Ja, das stimmt, der Ich-Erzähler in meinem Roman ist ein stiller Zeitgenosse. Ich glaube, so wird man einfach, wenn einem die Eltern früh abhandenkommen und wenn man dann Jahre später merkt, dass es nicht das Schicksal war, sondern dass da jemand dahintersteckte, dass da jemand einem Plan gefolgt ist, der dann so katastrophale Konsequenzen hatte. Ich glaube, dass mein Ich-Erzähler gar nicht wirklich diesen Traum einer glücklichen Wiedervereinigung mit seinem Vater hat, aber dass er dieser Spur, die er im Roman findet, und die ihn nach Norwegen führt, einfach dennoch nachgeht, um zumindest die Ahnung einer Antwort auf die drängende Frage zu erhalten: Was, verdammt noch mal, ist mit meinen Eltern passiert?

Ihr leiser und doch intensiver Roman beschreibt gleich doppelt wie es ist verraten zu werden, sowohl auf persönlicher als auch gesellschaftlicher Ebene, wie in der DDR durch die Stasi geschehen. Was glauben Sie macht es mit Menschen auf diese Weise hintergangen und getäuscht zu werden und wie könnten Sie sich davon befreien?

Das kann einem das Leben kosten – auch wenn man nicht stirbt. Wer sein Leben lang hintergangen worden ist, und das dann irgendwann aufdeckt, für den bricht ja nicht nur die Vergangenheit zusammen, sondern auch die Zukunft, auf gewisse Weise: Weil alles plötzlich unter ganz anderen Vorzeichen steht. Befreien kann man sich wohl nie von so etwas, aber man kann versuchen damit  zu leben.

5 plus 1
Was für einen Beruf hätten Sie sich vorstellen können, wenn Sie nicht Autor geworden wären?


Ich angle für mein Leben gern – und habe jahrelang davon geträumt, Fischer auf einem Kutter zu sein. Aber das war wohl eine ziemlich verkitschte, romantisierte Vorstellung, die ich da hatte. Vermutlich hätte ich diesen Knochenjob nicht lange ausgehalten.
 

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