Interview 5 plus 1
„Über den eigenen Schatten springen“

Anna-Louise Rolland Nordic Leipzig
Anna-Louise Rolland Nordic Leipzig | Foto: ©Christian Modla

Sie orientiere sich an den Bedürfnissen der KünstlerInnen vor Ort und den internationalen Stipendiaten/innen, so Anna Rolland, Gründerin des Leipziger International Art Programme, mit der Residenz Nordic Leipzig. Bis 30.9. werden Bewerbungen für 2023 angenommen. 
 

Du hast in London, Spanien und den USA studiert und schließlich in Leipzig deinen Abschluss in Kunstgeschichte gemacht. Was hat dich bewogen in dieser Stadt zu bleiben?

Ich bin in der ehemaligen DDR aufgewachsen, auf einer Insel in der Ostsee namens Rügen. Leipzig ist meine zweite Heimat. Mein Vater kommt von dort. Wir haben dort immer die Ferien verbracht, denn ins westliche Ausland reisen durften wir in der DDR sowieso nicht. Diese Zeit hat mich sehr geprägt. Ich habe dann in Leipzig studiert und konnte durch ein internationales Stipendium die Welt bereisen. Die Menschen hier sind verbindlich, ehrlich und offen, sie teilen gern und sind neugierig. Es gibt keinen besseren Ort internationale Gäste zu empfangen, weil die Stadt unglaublich frei ist. Wer lässt schon das World Goth Festival parallel zum Bach Festival stattfinden und alle sind glücklich. In Leipzig geht das.

Du bist auf der Insel Rügen geboren und hast dein Leben der Kunst gewidmet. 2007 hast du das LIA – Leipzig International Art Programme – gegründet.  Hier bietet ihr fünf Residenzen als Wohn-Ateliers für Bewerbungen aus aller Welt an.  Wie siehst du gerade nach Corona die Situation für Künstlerinnen und Künstler in Deutschland?  Lebt es sich für zu viele dieser besonders begabten, schöpferischen Menschen  inzwischen auch wie auf einer Insel, im Sinne von allzu abgegrenzt von der Gesellschaft und deren Förderung?

Die Corona Zeit hat den bildenden Künsten einen unglaublichen Schub gegeben. Dies ist gerade jetzt zu spüren, in den zahlreichen Vernissagen, Biennalen und auch der documenta. Die Ruhephasen taten rückblickend dem Betrieb und auch den Künstlern gut. In Deutschland gab es viel Unterstützung, wenn auch manchmal etwas spät, aber es wurde geholfen. Wunderbare Projekte sind daraus entstanden. Wir haben, weil es den bildenden Künstlern und den Musikern ohne Publikum dann doch etwas zu still wurde, völlig fremde Bereiche zusammengeführt und hatten einen Künstler aus Thailand, gemeinsam mit einer Tänzerin ein klassisches Konzert ausgestalten lassen. Das Konzert haben wir digital mit einem internationalen Chatroom gestreamt. Die Zusammenarbeit mit dem einander total fremden Themen beider Seiten aber auch Künstlern verschiedenster Bereiche war beglückend und herausfordernd zugleich. Solche Grenzen zu überwinden aus der Notwendigkeit heraus ist Teil unserer Arbeit und unsere Freude, wenn es klappt.

Welche Rolle spielt für dich die Kunst – gerade in diesen wilden Zeiten?

Sie ist Ort offener Kommunikation. Man spürt das Rattern und das Abarbeiten der KünstlerInnen an den Themen die uns alle betreffen aber aus verschiedensten Blickwinkeln. Das ist stimulierend, dieses permanente Summen und die Perspektivwechsel durch den Blick des Künstlers. Kunst ändert unsere Starrheit, unsere Sichtweise, weil sie von außen mit einem anderen Blick an uns herantritt ohne etwas zu wollen. Plötzlich wundern wir uns über uns selbst, dass uns bestimmte Dinge, die wir zu kennen geglaubt haben, ganz anders sein können.

Wenn es um das Leipziger International Art Programme geht, bist du für dein enormes Engagement bekannt -  und engagierst  dich als „Match-Makerin“ zwischen Stipendiaten, Sponsoren und Publikum. Was siehst du bei dieser Arbeit als deinen größten Erfolg und was fordert dich regelmäßig am meisten heraus?

Eigentlich ist da nicht so viel Zauberei dabei, wie es klingt. Meine Arbeit entsteht aus dem Leben heraus, aus dem Miteinander und den Bedürfnissen der KünstlerInnen, derer vor Ort und der internationalen Stipendiaten/innen. Glück empfinde ich, wenn ich neue Perspektiven eröffnen kann für unser Team, die internationalen Gäste und die Künstler vor Ort. Dieses über den eigenen Schatten springen, das Fremde anzunehmen und Mut zu finden, Fragen zu stellen, kann wunderbare Dinge in Bewegung setzen wie das erwähnte Konzert. Am Ende staunen alle ein bisschen über sich selbst. Dann ist das auch eine Freude für mich. Wenn ich einen Länderschwerpunkt über Jahre betreuen kann, tauchen wir als Team intensiver in einen Kulturkreis ein wie bei Nordic Leipzig oder Pacific Leipzig. Dies ist nicht immer möglich, solch große Projekte über große Distanzen zu finanzieren. Das bleibt eine Herausforderung.

Du hast kürzlich in einem Interview mit dem MDR die Gründung des LIA mit der einer Familie verglichen. Was möchtest du deinen „Schützlingen“ – den Künstlerinnen und Künstlern –am liebsten mit auf den Weg geben, wenn sie dich wieder verlassen?

Bleibt offen und teilt eure Erfahrungen mit der Fremde, wenn ihr nach Hause kommt.

Was für einen Beruf hättest du dir vorstellen können, wenn du nicht Kunsthistorikerin geworden wärst?

Weltreisende. Da das mit meiner Familie mit vier Kindern nicht so einfach geht, habe ich mich entschlossen, die Welt nach Leipzig einzuladen, wo die Welt sowieso immer schon zu Hause war als Handels-, Kunst-, Literatur-, und Musikstadt.
 

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