Dokumentarfilm Verfluchte Liebe deutscher Film

Verfluchte Liebe deutscher Film, Wolfgang Büld Foto: Augustin Film Gmbh

Mi, 02.10.2019

19:30 Uhr

Goethe-Institut Peru

Ein etwas anderer Blick auf den Neuen Deutschen Film

Regie: Dominik Graf, Johannes F. Sievert, Farbe und s/w, 90 Min., 2014-16
 
Ausgangspunkt ist ein indirekter Vorwurf: Die Wortführer des legendären Oberhausener Manifests von 1962, das als Geburtsstunde des „Neuen Deutschen Films“ gilt, wären mit ihren problembeladenen Arbeiten einer freieren und vielleicht unterhaltsameren Entwicklung des inländischen Kinos im Weg gestanden. Dominik Graf richtet seinen Blick auf einige heute fast vergessene Außenseiter von damals, wie Roland Klick und Klaus Lemke. Dabei provoziert er viele Widersprüche, aber diese sind für eine kritische Neubewertung der 60er und 70er Jahre durchaus anregend. 
 
An den Anfang stellt Dominik Graf, selbst ein renommierter Regisseur von Spiel- und TV-Filmen, eine provokante These: Im August 2012 wurde bei Bauarbeiten im Münchner Stadtteil Schwabing eine Bombe aus dem II. Weltkrieg entdeckt. Sie ließ sich nicht entschärfen und musste am Fundort gesprengt werden; dabei richtete sie beträchtlichen Schaden an – auch am Gebäude der Produktions- und Verleihfirma Constantin. Jahrzehnte zuvor war das Viertel ein bevorzugter Schauplatz junger Münchner Filmemacher. Graf deutet die Explosion als „Ende der Schwabinger Filmgeschichte“ – auch wenn diese zu diesem Zeitpunkt längst beendet war, weil ihre Protagonisten wie Roland Klick zu früh resigniert haben, weil Klaus Lemke kaum noch Beachtung fand oder Rudolf Thome schon 1973 nach Berlin übersiedelte.

Klaus Lemke
 
Lemke und Klick reagieren enttäuscht auf ihre unerfüllte Karriere – hatten sie sich doch einst in der Szene fast Kultstatus erarbeitet, mit vor allem von Hollywood (oder auch vom Italo-Western) beeinflussten Filmen. Doch auch die Szene der Schwabinger Filmemacher war keineswegs homogen. Wenn gegen Ende der Regisseur Eckhart Schmidt erklärt, Film sei „Musik, Fashion und Design“, so nimmt er nicht nur eine radikale Gegenposition zur Generation der „Oberhausener“ ein, sondern unterscheidet sich damit auch beträchtlich von den Ansprüchen seiner Kollegen Lemke oder Klick – wenngleich Klick kategorisch erklärt: „Physis ist Geist“. Grafs Dokumentation versucht originell und beharrlich, gerade diese beiden zu rehabilitieren; dafür muss er auch zu großen Worten greifen, wie „verfemt, verdammt, vergessen, verflucht“, als wären die „Schwabinger“ auf irgendeine Weise bekämpft worden. Dabei reagierten Zuschauer wie Kritiker nicht anders auf ihre Arbeiten wie auf die von Alexander Kluge oder Edgar Reitz, von Hymnen bis zu Verriss. Und an der Kinokasse hatten sie durchaus vergleichbare Schwierigkeiten.
 
Einig sind sich Graf und seine Zeugen, von denen einige zur Zeit des Oberhausener Manifests noch gar nicht geboren waren, in der Schuldzuweisung: „Der deutsche Film ist tot. Tot gefördert, tot geschrieben, tot gesprochen.“ Klaus Lemke ist der Überzeugung, dass die Filmförderung einer staatlichen Zensur gleichkäme. Aber vielleicht hätte es den „Neuen Deutschen Film“ ohne Subventionen nie gegeben. Bis 1976 war das entscheidende und automatisch angewandte Kriterium im Filmförderungsgesetz ohnehin ein vorheriger Erfolg an der Kinokasse. Die Rolle des Fernsehens, von dem die jungen Regisseure sehr schnell abhängig wurden, bleibt ausgespart.
  Roger Fritz

Spannend wird Grafs Film vor allem in seinen Rückblicken auf die deutsche Filmgeschichte, auf Traditionen und auf den in der deutschen Kultur seit rund 200 Jahren gepflegten Unterschied zwischen hoher Kunst und trivialer Unterhaltung. Deutsche Filmemacher, denen durchaus die Überwindung dieser Trennung gelang, wie Rainer Werner Fassbinder oder Werner Herzog, bleiben ebenso unerwähnt wie deren anarchische und zutiefst unabhängige Kollegen Herbert Achternbusch oder Vlado Kristl. Stattdessen widmet Graf dem italienischen Kino, vor allem dem Italo-Western, einen langen Exkurs.
 
VERFLUCHTE LIEBE DEUTSCHER FILM ist eine Dokumentation voller kühner Thesen, manchmal ungestüm polemisch, manchmal wunderbar erhellend, manchmal in den Zuspitzungen durchaus angreifbar. Die Diskussion darüber lohnt sich ebenso wie die Auseinandersetzung mit den vielen Informationen und Bewertungen einer fast vergessenen Richtung im Neuen Deutschen Film, die zu Unrecht nur eine Episode war.
 
Biografie
 
Dominik Graf wurde am 6. September 1952 als Sohn des Schauspielers Robert Graf geboren. 1972 beginnt Graf ein Studium der Germanistik und Musikwissenschaft an der Universität München. 1974 wechselt er zur Hochschule für Fernsehen und Film (München). Sein Abschlussfilm DER KOSTBARE GAST (1979) erhält einen Bayerischen Filmpreis. Graf arbeitet intensiv für das Fernsehen, dreht Episoden für Vorabendserien und kann sich als Spezialist für Action und Krimis etablieren. Einige seiner Filme kommen auch ins Kino. Für den Thriller DIE KATZE erhält er einen Bundesfilmpreis für die beste Regie. In den kommenden Jahren arbeitet Graf vor allem fürs Fernsehen. Hier wechselt er ständig zwischen durchaus kontroversen Genre-Beiträgen wie SPERLING UND DER BRENNENDE ARM, Melodramen wie BITTERE UNSCHULD und poetischen Arbeiten wie DIE FREUNDE DER FREUNDE. Viel beachtet wurde Grafs TV-Serie IM ANGESICHT DES VERBRECHENS über die Berliner Russenmafia. Die Serie erhielt eine Reihe von Auszeichnungen, darunter den Deutschen Fernsehpreis als Bester Mehrteiler, den Grimme-Preis in der Kategorie Fiktion sowie den Regiepreis beim Bayerischen Fernsehpreis 2011. Im Wettbewerb der Berlinale 2014 feiert Dominik Grafs erster Kinofilm seit acht Jahren Premiere: DIE GELIEBTEN SCHWESTERN. Seit 2004 ist er Professor für Spielfilmregie an der Internationalen Filmschule Köln.
 
 
Filmografie (Auswahl)
 
1979      DER KOSTBARE GAST
1981/82 DAS ZWEITE GESICHT
1983/84 TREFFER
1984/85 LAUTER GUTE FREUNDE
1986      DER KLEINE BRUDER
1986/87 BEI THEA
1987/88 DIE KATZE
1988/89 TIGER, LÖWE, PANTHER
1989/90 DER SPIELER
1990/91 BIS ANS ENDE DER NACHT
1993/94 DER SIEGER
1995      FRAU BU LACHT
1997/98 SPERLING UND DER BRENNENDE ARM
2001/02 DER FELSEN
2004-06 DER ROTE KAKADU
2008-10 IM ANGESICHT DES VERBRECHENS
2012-14 DIE GELIEBTEN SCHWESTERN
2014/15 WAS HEISST HIER ENDE?
2014/16 VERFLUCHTE LIEBE DEUTSCHER FILM
 
Hans Günther Pflaum, 17.08.2016

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