Online Filmreihe Genrekino: Das Kabinet des Dr. Caligari (Robert Wiene, 1920)

GoD / Das Kabinet des Dr. Caligari © Goethe-Institut

So, 01.10.2023 –
Di, 31.10.2023

Online

Goethe on Demand

Mit zwölf Filmen aus vier Genres will das Genrekino aus Deutschland die Lust am Genrefilm wecken und Einblick in überraschend vielseitige Tendenzen deutschen Filmschaffens geben. 2023 wird monatlich ein Film aus den Genres Science-Fiction, Krimi, Roadmovie und Horror präsentiert.

DAS CABINET DES DR. CALIGARI
Regie Robert Wiene
1920, s/w + viragiert
Genre: Horrorfilm


Francis wurde in eine geschlossene Anstalt eingewiesen, dort erzählt der junge Mann seinen Freunden, wie er Dr. Caligari kennen gelernt hat, einen dämonischen Arzt und Mörder, den die Polizei nicht zu fassen bekommt, da er seine verbrecherischen Aufträge einem willenlosen Schlafwandler erteilt. Dann stellt sich noch heraus, dass Dr. Caligari der Direktor des besagten Irrenhauses ist. Wahnvorstellungen eines jungen Mannes, dem der freundliche Anstaltsleiter eine baldige Genesung vorhersagt.

Filmkommentar

Im Garten eines Irrenhauses erzählt ein Patient seine Geschichte: Auf dem Jahrmarkt einer norddeutschen Kleinstadt kündigt der gespenstisch aussehende Dr. Caligari Hypnosedarbietungen mit seinem willenlosen Medium Cesare an. Eine Rückblende erzählt, daß Caligari bei der Beschaffung der Vorführerlaubnis hochnäsig und herablassend von einem Beamten abgefertigt wurde. Am anderen Morgen fand man diesen Beamten ermordet. Dann kehrt der Film wieder zum Jahrmarktgeschehen zurück. Zwei Studenten - Alan und Francis - , die beide in das gleiche Mädchen verliebt sind, besuchen Caligaris Vorstellung. Caligari kündigt an, daß sein Medium dem Publikum Fragen nach der Zukunft beantwortet. Als Alan wissen will, wie lange er noch leben werde, hört er als Antwort: "Bis zum Morgengrauen!" Tatsächlich wird er am nächsten Tag tot aufgefunden. Sein Freund Francis verdächtigt sofort Caligari. Während Francis nach Einbruch der Dunkelheit Caligaris Wohnwagen beobachtet und dort das Medium Cesare in einem sargähnlichen Kasten liegen zu sehen meint, ist dieser in Wirklichkeit jedoch gerade dabei, ins Schlafzimmer der jungen Jane einzubrechen und sie im Auftrag seines unheimlichen Meisters umzubringen. Im letzten Augenblick ist er unfähig, seinen Auftrag auszuführen. Er läßt die Waffe fallen und flieht mit dem schreienden Mädchen auf den Armen. Auf der Flucht stirbt das Hypnosemedium, während das Mädchen überlebt und den Namen des Täters nennt.

Erneut sucht Francis, diesmal in Begleitung der Polizei, Caligari auf und entdeckt, daß der Mann im Kasten eine dem Medium Cesare lebensecht nachgebildete Wachspuppe ist; verstärkt fällt der Verdacht auf Caligari. Dieser flieht und sucht in einem Irrenhaus Unterschlupf. Francis, der ihm gefolgt ist, läßt sich beim Direktor melden und muß zu seinem Entsetzen entdecken, daß Dr. Caligari und der Irrenhausdirektor ein und dieselbe Person sind. Der Student bekommt zusammen mit drei Anstaltsärzten heraus, daß der Direktor unter Mißbrauch seiner wissenschaftlichen Kenntnisse hypnotische Praktiken dazu benutzt, willenlosen Medien verbrecherische Aufträge zu geben. Er besitzt ein Buch, in dem er einen solchen fall beschrieben fand, den er quasi experimentell nachvollzieht. Caligari ist Sinnbild des machthungrigen, skrupellosen Wissenschaftlers. Um den Direktor zu einem Geständnis zu zwingen, konfrontiert Francis ihn mit dem Leichnam Cesares. Caligari verfällt in einen Tobsuchtsanfall und wird gefesselt.

Soweit die Geschichte des Patienten. Danach setzt die Rahmenhandlung erneut ein. Man sieht Francis, Cesare und das Mädchen als Patienten im Irrenhaus. Der Anstaltsdirektor untersucht Francis und wird von diesem für Caligari gehalten. Er erklärt seinen Zuhörern, daß die ganze Geschichte eine Wahnidee von Francis ist, den er heilen werde.

Der Film gilt als der Höhepunkt des Expressionismus in der Filmgeschichte. " Filme müssen verlebendigte Zeichnungen sein' - so lautete damals Hermann Warms Parole, nach der er und seine zwei Kollegen Walter Röhrig und Walter Reimann die Welt des Dr. Caligari szenisch aufbauten. Dementsprechend bildeten die Dekorationen des CALIGARI eine Fülle und Vielfalt ausgezackter, scharf zugespitzter Formen, die stark an gotische Vorlagen erinnerten." (Siegfried Kracauer in "Von Caligari bis Hitler") Die Einstellungen werden geprägt von einer methodischen Verzerrung der Perspektiven, die Welt erscheint, als wäre sie aus dem Lot gekippt, und die Sehgewohnheiten des Zuschauers erfahren eine systematische Irritation. Der Drehbuchautor Hans Janowitz sah den Ursprung seiner Geschichte in der "poetische Atmosphäre Prags"; und das Atmosphärische wurde für CALIGARI schließlich entscheidender als die mitunter etwas konfuse und durch die nachträglich von den Produzenten durchgesetzte Rahmenhandlung zusätzlich verwirrende Story. War bislang in der Filmgeschichte der Dekor nie mehr als Hintergrund und illustrierender Schauplatz, so kommt den Szenenbildern hier eine neuartige Funktion und Bedeutung zu: "Das Dekor wurde zum porte-parole der Autoren. Die Dekorationen, nicht das Spiel der Schauspieler vermittelten dem Zuschauer die Verzweiflung, das Tragische und die Ausweglosigkeit. Der Rhythmus des Spiels von Linien und Flächen war für die Grundstimmung des Films ausschlaggebend. Die toten Dekorationen nahmen Leben an..." (Jerzy Toeplitz in "Geschichte des Films")

Schon der zeitgenössische Autor Rudolf Kurtz (in: "Expressionismus und Film", 1926) sah in CALIGARI die frühe Vollendung des filmischen Expressionismus. "Es ist die ursprüngliche Energie, mit der alle Faktoren zusammenwirken, die Atmosphäre des Wagnisses, der Reiz de r Überraschung, die den Elan dieses Films ausmachen. Ein Fiebertraum wird bewußt in eine künstlerische Sphäre eingeordnet, die auf ganz neue, unverbrauchte Mittel angewiesen ist, wie in Fiebertraum wirkte dieser Film, der in wilder Zeit seine Uraufführung erlebte..."

Kaum ein anderes Werk dürfte einen ähnlich intensiven Einfluß auf die weitere Entwicklung des deutschen Stummfilms ausgeübt haben; nach CALIGARI verstärkte sich das ohnehin bereits vorhandenen Interesse an phantastischen Stoffen, und mit ihm begann auch eine intensive Hinwendung zur Psychopathologie und zu dämonisch-gefährlichen Verbrecherfiguren. Siegfried Kracauer reihte CALIGARI in die filmischen Vorahnungen der Hitler-Tyrannei ein.
 

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