Safe(r) Spaces
Eine Pause von der Welt
Safe(r) Spaces: Sichere Orte, Plätze und Räume sind für viele marginalisierte Gruppen wichtig, um sich vor Diskriminierung zu schützen und sich auszutauschen. Immer mehr gerät der Begriff in den Diskurs – denn Räume sind nie zu 100 Prozent sicher, wir können sie nur sicherer machen.
Von Marie Minkov
Wie sieht dein sicherer Ort aus? Meiner ist mein Schlafzimmer. Es ist zwei Meter mal zwei Meter groß und damit gerade groß genug für mein Bett. Es ist eine Schlafhöhle mit einem Fenster, das immer abgedunkelt ist. Niemand kann reinschauen, niemand kann raussehen, und wem ich begegne, entscheide ich ganz allein.
An öffentlichen Orten haben wir diese Entscheidungsmacht nicht. Und wie sicher wir uns fühlen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ich mache mir unterwegs keine Sorgen um physische Bedrohungen, ich erwarte nicht, dass mich jemand angreift, auch wenn ich es nicht ausschließen kann. Dennoch besteht fast überall, wo ich mich als behinderte Frau aufhalte, und wo andere Menschen anwesend sind, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für verbale Konfrontationen. Wie häufig diese Konfrontationen einem Menschen begegnen, hängt davon ab, wie er von außen wahrgenommen wird, wie stark sein Körper von der durch die Gesellschaft definierten Norm abweicht. Vor der Außenwahrnehmung ist niemand sicher. Und wenn doch, dann nur in ganz bestimmten Räumen.
Ursprünglich gedacht waren Safe Spaces (physische) Schutzräume für marginalisierte Menschen. Geschichtlich lässt sich ihre Entstehung in den 1960er Jahren verorten, als die queere Szene in den USA Räume schaffte, an denen queere Menschen unter sich sein konnten. Einen ähnlichen Zweck hatten Safe Spaces in der Zweiten Frauenbewegung. Hier wurden Räume geschaffen, zu denen Männer keinen Zutritt hatten, was Frauen ermöglichte, sich ungestört und unabhängig von patriarchalen Strukturen über ihre Erfahrungen, ihre Wünsche und Ziele auszutauschen.
Heute begegnen uns Safe Spaces zum Beispiel auf Festival-Geländen oder bei Veranstaltungen. Mal ist es ein abgedunkelter Raum mit Sofas, in dem man sich zurückziehen kann. Mal ein Raum in einer Uni, in dem Studierende unter Aufsicht Unterstützung bekommen, sich austauschen und über Techniken reden können, um mit Diskriminierung umzugehen. Innerhalb dieser Spaces sollen die Anwesenden vor verbalen Verletzungen geschützt sein. Ihnen soll eine Pause von alltäglichen Zuschreibungen ermöglicht werden. Wenn beispielsweise nur Menschen mit Behinderung Zutritt zu einem Raum haben, dann gibt es in diesem Raum Grundvorstellungen von Körpern, von Normen, von Fähigkeiten, die sich stark von den Grundvorstellungen außerhalb des Raums unterscheiden. Die Anwesenden im Raum stehen (theoretisch) in keinem Machtungleichgewicht zueinander, weil sie alle (theoretisch) von derselben Diskriminierungsform betroffen sind – in diesem Fall Ableismus.
In der Praxis ist das nicht so einfach, da auch betroffene Menschen Diskriminierungsstrukturen internalisiert haben. Meine Erfahrung mit Safe Spaces für Menschen mit Behinderung ist manchmal sogar von dem Gefühl geprägt, dass wir uns miteinander vergleichen, uns an den Behinderungen der anderen ab- bzw. aufwerten („ich bin behindert, aber wenigstens nicht so behindert“), weil die Idee, dass der nichtbehinderte Körper der bessere Körper sei, fest in uns verankert ist. Wir messen uns an den Machtstrukturen, die wir im „Draußen“ gelernt haben, selbst dann, wenn wir „unter uns“ sind. Auch bedeutet ein Safe Space für Menschen mit Behinderung nicht zeitgleich, dass beispielsweise queere Menschen oder People of Color geschützt sind. Und nur weil jemand weiß, wie es ist, Queerfeindlichkeit zu erfahren, macht ihn das nicht immun gegen rassistische Denkweisen. Weil das so ist, wird der Begriff Safe Space in vielen Kreisen um ein kleines ‚r‘ ergänzt: Safer Space. Wir können Orte nicht sicher, nur sicherer gestalten.
In den Medien wurde das Konzept von Safe(r) Spaces in den letzten Jahren immer wieder kritisiert. In universitären Kontexten würden sie gegen die akademische Freiheit verstoßen und dafür sorgen, dass Studierende sich von Meinungen, die den eigenen widersprechen, entziehen können. Immer wieder lässt sich von einer „Opfer-Kultur“ als Argument gegen Safe Spaces lesen, durch die bereits marginalisierte Menschen sich selbst zu Opfern machen, die nicht in der Lage sind, „ein paar unangenehme Sprüche“ auszuhalten. Auch wurde immer wieder argumentiert, dass die Existenz von Safe Spaces marginalisierte Menschen nur noch stärker isolieren würde. Die Trennung gesellschaftlicher Gruppen stünde einer echten Inklusion im Weg, es sei viel sinnvoller, wenn Diskussionen nicht in geschützten Räumen, sondern in der breiten Gesellschaft geführt werden würden, damit alle davon profitieren können. Schließlich kann sich die Gesellschaft nur verändern, wenn wir mit ihr arbeiten, nicht wenn wir uns vor ihr „verstecken“.
Für mich sind Safe(r) Spaces aber vielmehr der Versuch einer Pause, als ein Versteck. Diskriminierung ist keine Meinung, die uns hin und wieder begegnet und vor der wir unsere Augen verschließen. Es ist ein Machtsystem, in dem wir uns die ganze Zeit über befinden, und dem wir uns nicht entziehen können. Dazu kommt, dass fast alle mehrfachdiskriminierten Menschen, die ich kenne, in irgendeiner Form politische Bildungsarbeit machen: Sie treten ständig in den Dialog und sei es in Gesprächen mit Fremden auf der Straße. Sie machen das Gegenteil, als sich vor den Meinungen anderer zu verstecken. Aber diese Konfrontationen kosten Anstrengung und genauso wie es Momente gibt, in denen wir in den Dialog treten, muss es Momente geben, in denen wir ruhen dürfen.
Es stimmt, dass der Ort, an dem ich mich am sichersten fühle, mein eigenes kleines Schlafzimmer ist, indem ich ganz allein bin, indem mich niemand wahrnehmen kann. Das ist der Grund, warum sich viele marginalisierte Menschen isolieren: Wenn du allein bist, kann dir niemand weh tun. Aber wollen wir Menschen vorwerfen, sich von Diskriminierungserfahrungen zu schützen, oder wollen wir uns stattdessen fragen, wie wir Räume sicherer gestalten können? Im Kleinen schaffen wir uns diese Räume selbst, indem wir uns Freund*innen suchen, die diskriminierungssensibel genug sind, um Zuschreibungen zu minimieren. Im Großen sind Safer Spaces zumindest ein Versuch, den Alltag marginalisierter Menschen ein Stück leichter zu machen.