Rosinenpicker | Literatur
Öfter mal etwas hören

Wer gerade nicht mehr lesen mag, kann auch mit Genuss und Gewinn hören. Neuere Hörbücher beschäftigen sich mit besonderen Familienverhältnissen und mit dem Zauber der Musik.

Von Marit Borcherding

Zum neuen Jahr nimmt man sich meistens so einiges vor: Weniger Junkfood, weniger Bildschirm, weniger Frustkäufe. Aber auch: mehr Sport, mehr Schlaf, mehr Ordnung im Leben. Dazu würde auch gut „Mehr Hörbücher hören“ passen – denn das hat fast nur positive Effekte. Deshalb hier einige Empfehlungen zum Jahresstart.

Mütter, Tanten und andere Familienmitglieder

Bücher der in Zagreb geborenen Schauspielerin, Regisseurin und Autorin Adriana Altaras versprechen schwungvolle und sehr persönliche Auseinandersetzungen mit familiären Konstellationen, die stets mit viel Sinn für Alltagskomik und absurde Situationen geschrieben sind. Unter dem wunderbaren Titel Besser allein als in schlechter Gesellschaft trifft die uralte Tante Jelka , die so ziemlich alles erlebt hat, was die letzten hundert Jahre zu bieten hatten, auf ihrer Nichte Adriana, die sich auch an einem Lebenswendepunkt befindet, Stichwort Ehe-Aus. Und dann wütete auch noch Corona. Also tauschen sich die beiden Frauen am Telefon aus und geben einander Halt. Das Hörbuch stellt Adriana Altaras die große, ruhmreiche Schauspielerin Angela Winkler an die Seite. Beide lesen „die Monologe und Dialoge wunderbar und berührend: aufgedreht die eine, nachdenklich die andere“, so eine Rezension im Hessischen Rundfunk.

Wer den Schauspieler Samuel Finzi nicht von der Theaterbühne kennt, der hat ihn sicher schon im Fernsehen bewundern können – in Krimis oder Komödien. Samuel Finzis Weg führte von der bulgarischen Hauptstadt Sofia über Frankreich nach Berlin, wo er schon lange lebt – mit Engagements in ganz Deutschland und Österreich. In Samuels Buch blickt der 1966 geborene Schauspieler zurück auf seine Jugendjahre – zwar im sozialistischen Bulgarien, aber in einem künstlerisch geprägten familiären Umfeld. In liebevollen Anekdoten porträtiert er seinen stets eleganten Großvater, seine durch nichts zu erschütternde Großmutter, seine Mutter – Pianistin und dem Dolce Vita zugeneigt – und seinen Vater, der ebenfalls dem Schauspielberuf nachging. Der Schauspieler liest selbst die Vertonung seines autobiografischen Romans „über das gelingende Leben im falschen System“, so der Verlagswerbetext. (hr2).

Von einer anderen Kindheit in einem sozialistischen Staat, aber viel trauriger und abgründiger berichtet Angelika Klüssendorfs autobiografisches Werk Risse. Schauplatz ist die DDR der 1960er- und 1970er-Jahre. Die Hauptfigur „Das Mädchen“ wird erschüttert vom Tod der geliebten Großmutter, ist es doch jetzt seinen Eltern ausgeliefert – der Vater ein gewalttätiger Trinker, die Mutter eine haltlose Person. Außerdem sieht sich das Mädchen als Beschützerin der Schwester. Zum Glück gibt es Bücher – Lesen ist auch in elendigsten Situationen ein Ausweg. Das Leben des Mädchens voller Risse und Abgründe wird gelesen von Corinna Harfouch. Die bekannte Schauspielerin liest „direkt, klar, fast kühl … Und doch immer schwingt immer eine große Verletzlichkeit und Sensibilität mit. Ein Hörbuch, das nachklingt“ (wdr5).

Mit Musik ins neue Jahr

Um sich den Herausforderungen eines neuen Jahres zu stellen, ist Schwung vonnöten. Den kann Musik vermitteln. Besonders schöne Musik. In seinem Werk Das Schöne. 59 Begeisterungen erzählt der österreichische Autor Michael Köhlmeier, wie verzaubert er war, als er Mozarts vorletzte Sinfonie hörte, diese quasi inhalierte und versuchte, ihr näher zu kommen: „Ich lernte das Musikstück bis in jeden Ton hinein kennen, ich konnte alle vier Sätze auswendig – aber ich begriff sie nicht. Diese Musik war das Substrat des Unbegreiflichen, dem wir in aller Kunst begegnen." Ebenso angetan wie von Mozart ist Michael Köhlmeier von Begegnungen mit der Odyssee, mit Shakespeare oder Dostojewski, aber auch mit Agatha Christie, Keith Richards und Johann Mario Simmel. Begeistert über Begeisterungen war ebenfalls der Hessische Rundfunk, er setzte das vom Autor selbst gelesene Werk auf Platz 2 der hr2-Hörbuchbestenliste im November 2023.

Roadmovie und Musik sind ja seit jeher eine Einheit. In Nach vorn, nach Süden von Sarah Jäger beginnt die Reise auf dem Hinterhof eines Discounters. Dort hängen regelmäßig die Aushilfen Lena, Marie, Can und Jo ab. Dann ist Jo plötzlich verschwunden, und die anderen beschließen, ihn zu suchen. Sie setzten sich ins Auto und machen sich auf gen Süden, durch flirrend heiße Sommertage, bis sie schließlich bei einem großen Musikfestival anlanden. Die Website Hörspiegel schreibt anerkennend: „Die Lesung, die Rebecca Madita Hundt mit angenehmer Stimme und gutem Stimmspiel bestreitet, transportiert die Atmosphäre des Textes gut. Hinzu kommen musikalische Einspielungen, die das Ganze abrunden.“ Das Werk ist zwar als Jugendhörbuch ab 14 Jahre deklariert, aber auch Erwachsene werden gerne lauschen.

Schließlich etwas Lärm zum Schluss. Der populäre Soziologe Hartmut Rosa widmet sich einer Musikgattung, die auf die Ohren geht: Heavy Metal. When monsters roar and angels sing hören offenbar mehr als 10 Millionen Deutsche zu. Warum tun sie das? Was erleben Metalfans, wenn sie ihre Musik hören? Worum geht es im Heavy Metal wirklich? Auf diese und viele andere Fragen antwortet die „kleine Soziologie des Heavy Metal“ des bekennenden Fan Hartmut Rosa. Vorgetragen wird alles von Axel Wostry, einem versierten künstlerischen Sprecher; Auszüge aus diversen Songtexten präsentiert der Entertainer Ron Williams. Mit seiner Vinyloptik macht das Buch zudem etwas her – und alles zusammen brachte dem Werk den ersten Platz der hr2-Hörbuchbestenliste im September 2023. Da singen die Engel vor Freude!