Rosinenpicker | Literatur
Zehn Punkte für Leidenschaft
Olga Hohmanns mäanderndes Puzzle aus literarischen Miniaturen erzählt Geschichten aus dem Alltag seiner Protagonistin: vom Scheitern, von Seitwärts- und Vorwärtsbewegungen und von der Erhabenheit der Oper.
Von Michael Krell
Olga Hohmann, Jahrgang 1992, wuchs in Berlin und Weimar auf. Sie studierte Theaterregie in Berlin und Freie Kunst in Rotterdam. Im Interview mit Gallerytalk gab sie im Jahre 2022 zu Protokoll, in ihrer unablässigen Alltagsbeobachtung ständig von „irgendetwas belustigt“ zu sein. Die meisten ihrer „Beobachtungen und Erzählungen“ nennt sie „eher tragikomisch“.
Sie machen einen Großteil von Olga Hohmanns Erzählung In deinem rechten Auge wohnt der Teufel aus: Die Alltagsbeobachtungen aus dem ansonsten wenig spektakulären Leben der Protagonistin. Die Erzählung folgt ihr vom Säuglingsalter bis zur Gegenwart, in der sie ungefähr das Alter der Autorin erreicht haben dürfte. Dabei, wie sie selbst sagt, geht es nicht chronologisch zu, und auch der Begriff des ‚Erzählstrangs‘ wird stark strapaziert.
Ein kaleidoskopisches Ganzes
Die Protagonistin, die nebenbei im Verdacht steht, eine gewisse autobiografische Beziehung zu ihrer Schöpferin zu haben, teilt frei mit, was ihr gerade durch den Kopf geht. Erinnerungen, Erkenntnisse, frei assoziierte Gedankensprünge – all das fügt sich kunstvoll zu einem kaleidoskopischen Ganzen. Die Hauptfigur ist um Distanz bemüht, vermeidet sie doch detailliertere Beschreibungen von ihrer Umgebung, Personen und auch sich selbst. Niemand hat in den Aufzeichnungen einen Namen, auch engste Bekannte heißen profan der „alte Freund“ oder der „neue Freund“, „der Vater“, oder sind durch Buchstaben gekennzeichnet, wie die Freundin S., Professor U. oder der Freund J.Es ist die Farbe der Wut
Die Farbe der Wut ist blutrot
Schon früh in der Erzählung geht es um das immer wiederkehrende, titelgebende und auch im Klappentext angesprochene Motiv der Wut: eine rohe, nicht zu kontrollierende Rage, die sie bereits im Säuglingsalter, „winzig klein, rot, blau und grün“ werden ließ, und die sie in ihrem weiteren Lebensweg in einen Hang zur alltäglichen Rührung sublimiert. In acht, wie in der Oper „Aufzüge“ genannten Abschnitten, denen jeweils ein mehr oder weniger loses Thema zugeschrieben wird, erzählt die junge Frau aus ihrer Kindheit, dem Studium der Theaterregie, ihrer Studienreise nach Süd(„Süß“-)frankreich auf der Suche nach ihrem ausweichenden Professor U., der von ihr bewunderten Künstlerin, der „schlechtesten Königin der Nacht der Welt“ Florence Foster Jenkins und einer Fülle von Zufallsbekanntschaften, wie dem „Mann aus Leipzig“ oder dem diebischen „Mann mit der gelben Mütze“.
Zauberflöte
Straff erzählte Absätze wechseln sich mit kurzen Gedichten und Haikus ab, die wie Streusel auf dem Softeis keine erzählerische (bzw. geschmackliche) Funktion ausüben, aber Farbe und Abwechslung verleihen und das Lesen zu einem fieberhaften Parcours machen. Wiederholungen kryptischer Worttupfen oder Satzfragmente („Le cri – écrire“) oder trockener Kalauer („What kind of tea is hard to swallow? Reality“) sind wichtige Elemente der Erzählung. Zentrales Element aber ist Mozarts ständig präsente und immer wieder als Referenz zitierte Oper Die Zauberflöte. Deren Hauptfiguren Königin der Nacht, Papageno, Papagena und Tamino begleiten die Protagonistin durch die Jahre, sie sind das Paralleluniversum, an dem sie ihre Welt bemisst und ihr kulturelles Lot.In deinem rechten Auge wohnt der Teufel verlangt eine gewisse Toleranz für die gedanklichen Kapriolen der Protagonistin, aber die Mühe lohnt sich: Die Erzählung fließt und baut auf ihren gut 200 Seiten Länge ohne durchgehenden Erzählstrang oder feste Struktur eine innere Spannung auf, die vor allem auf die ungebrochene Originalität und ungebremste Leidenschaft zurückzuführen ist. Um im Duktus der Autorin zu enden: 10 points for originality, 10 points for style und 10 points for passion. Mindestens.
(Olga Hohmann im Interview mit Gallerytalk)
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Lieblingsstellen:
Le cri – écrire / Der Schrei – das Schreiben 15
Pflanzen: Alter Freund, neuer Freund 35
Schreiben gegen Wutanfälle 47
Am Ende der Wut kommen die Worte, am Ende der Worte kommt die Wut 55
Überall in der Stadt spürt sie die Anwesenheit des Magischen, Mystischen 74
Die Zauberflöte ist eine Maschinenkomödie 86
Die Gastschwester (und Boyfriend) 121
Königin der Nacht Koloratur – Die Farbe der Wut Wut 142
O sagt NO! 202
Berlin: Korbinian, 2024. 240 S.
ISBN: 978-3-9824602-3-9