Rosinenpicker | Literatur
Einladung zum Durchatmen

Feld in der Hallertau (Mai 2022)
Feld in der Hallertau | mauritius images / Brigitte Deus-Neumann

Das Leben pausieren und mal eben neu ausloten – das gelingt mit Stephan Schäfers Roman. Er erzählt die Geschichte zweier Fremder, die zu Freunden werden. Damit spricht er nicht nur sich selbst, sondern uns allen aus der Seele.

Von Sina Bahr

„Na, auch aus dem Bett gefallen?“ Es ist früh am Morgen, als der Ich-Erzähler in 25 letzte Sommer auf Karl trifft, ein Mann mit frechen Augen, der gerade nackt aus dem See steigt. „Nein, eher aus dem Leben“, antwortet der Ich-Erzähler und wundert sich über seine eigene Ehrlichkeit. Eine erster Vorgeschmack auf die besondere Wirkung, die Karl an diesem Wochenende auf ihn haben wird.

Schäfer: 25 letzte Sommer (Buchcover) © park x ullstein

 

Die Freude am Nichtstun

Das Wochenende auf dem Land ist wie so oft ein kläglicher Versuch des Ich-Erzählers, endlich Ruhe zu finden. „Ich fand sie selten, meist nur in wenigen Momenten, denn in meinem Kopf war es so gut wie nie still, die Arbeit stets unsichtbar im Gepäck.“ Die ständige Erreichbarkeit nagt an ihm, nicht einmal die Stille der Natur kann die Gedanken an seine Verpflichtungen vertreiben. In der Hektik seines Alltags hat er schlichtweg die Freude am Nichtstun verloren.

Bis er an jenem Samstagmorgen bei seiner Laufrunde auf den Kartoffelbauer Karl trifft. Der nimmt ihn mit auf seinen Hof und in sein entschleunigtes Leben. Ob auf dem Acker zwischen Kartoffeln, in seiner Bibliothek zwischen Büchern oder am Esstisch zwischen sündhaften Köstlichkeiten – Karl stellt die richtigen Fragen, die es dem Ich-Erzähler leicht machen, sich zu öffnen. Er zeigt ihm, wie innerer Frieden aussieht: Schlafen und schlemmen ganz ohne Reuegehören dazu, faule Sonntage, ein natürliches Gleichgewicht aus Schaffen und Entspannen. Alles, was der Ich-Erzähler verlernt hat, bringt ihm Karl allmählich wieder bei.

Unser aller Zwiespalt

Dabei ist es nicht so, als habe er all das noch nie gekonnt, als wisse er nicht um die Wichtigkeit dieser Dinge. Ein bewusstes Leben im Augenblick führen – das hatte er sich einst vorgenommen. Dass es ihm zwischen Arbeit und Stress einfach nicht gelingen will, macht ihn zu einem nahbaren Romanhelden. Denn viele Leser*innen kennen seinen Zwiespalt. Da ist einerseits der selten in Frage gestellte Werdegang von Schule zu Weiterbildung bis hinein in die Arbeitswelt, die finanzielle Sicherheit und Ansehen verspricht – und andererseits der Wunsch, der inneren Stimme zu folgen und die kostbare Lebenszeit mit Menschen zu verbringen, die man liebt.

Der Ich-Erzähler gleicht all jenen, die vergeblich versuchen, dazwischen eine goldene Mitte zu finden. Karl scheint seine gefunden zu haben, doch die Suche war auch für ihn nicht einfach. Er offenbart dem Ich-Erzähler seine eigene Geschichte, spricht von Rückschlägen, von schwierigen Entscheidungen. Bald wird klar, dass die beiden Männer gar nicht so unterschiedlich sind, wie sie auf den ersten Blick scheinen.     

Literarische Aufarbeitung des eigenen Neuanfangs

Stephan Schäfer sind zwei authentischen Figuren gelungen, weil sich in ihnen seine eigenen Erfahrungen spiegeln. „Ich wollte durch das geschriebene Wort meinem Leben eine Wendung geben“, sagt der Autor im Interview mit NDR Kultur. Das Buch sei die literarische Aufarbeitung seines eigenen Neuanfangs. Vor zwei Jahren schied er aus seinem damaligen Manager-Job aus und schrieb seinen ersten Roman. Seither fragt er sich, welcher Mensch er sein möchte. „Ich finde es eine schöne Frage, und sie hat für mich auch nichts Schweres, sondern ich habe das Gefühl, mit den Jahren lebe ich so langsam in die Antworten hinein.“

Fragen wie diese wirft Stephan Schäfer in seinem Roman auf, doch es liegt an den Leser*innen, sie für sich zu beantworten. Dafür gibt das Buch die richtigen Impulse. Wer 25 letzte Sommer liest, wird Teil eines Dialogs zwischen Freunden, die eben noch Fremde waren, wird an einen Ort voller Gelassenheit entführt, wird zum Durchatmen eingeladen und ermutigt, die eigenen Prioritäten neu zu denken. Ob der Ich-Erzähler seine 25 letzten Sommer genauso gestalten wird, wie an jenem Wochenende mit Karl? Man kann es ihm nur wünschen.
 
Stephan Schäfer: 25 letzte Sommer
Berlin : park x ullstein, 2024. 169 S.
ISBN: 978-3-98816-009-6

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