Homeoffice
Die Generation Hybrid
Nicht nur bei den großen internationalen Tech-Konzernen wird im Sommer 2022 hitzig über die Rückkehr der Mitarbeiter*innen ins Büro diskutiert. Auch in Deutschland möchten viele Beschäftigte weiter zu Hause bleiben: Was das Homeoffice so attraktiv macht.
Von Petra Schönhöfer
Tesla-Firmenchef Elon Musk hat mit einer vehementen Absage an das Homeoffice unter seinen Angestellten im Juni 2022 für Aufregung gesorgt. Auch Google möchte seine Arbeiternehmer*innen wieder mindestens drei Tage pro Woche im Büro sehen. Völlige Freiheit gewährt hingegen Twitter-Chef Parag Agrawal: Seine Beschäftigten entscheiden selbst, wo sie arbeiten. Bei Apple, Amazon und Microsoft können Angestellte nach massiven Protesten der Belegschaft direkt mit ihren Vorgesetzten ein hybrides Arbeitsmodell aushandeln.
Das Silicon Valley bebt, und die Debatte zeigt deutlich, wie sich die Arbeitswelt durch Corona verändert hat. Laut einer Studie des amerikanischen Pew Research gaben schon im Dezember 2020 54 Prozent der während der Pandemie im Homeoffice Beschäftigten an, auch nach der Pandemie ganz oder teilweise dort bleiben zu wollen. Für Deutschland kommt die weltweite Arbeitsmarktstudie „Hopes and Fears 2022“ der Unternehmensberatungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) zu dem Resultat, dass nur fünf Prozent der Menschen, die im Homeoffice arbeiten, wieder täglich ins Büro fahren wollen.
Aus gutem Grund, denn die amerikanische Initiative Tracking Happiness hat in einer Umfrage aus 2022 herausgefunden, dass die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, die Zufriedenheit der Arbeitnehmer*innen um 20 Prozent verbessert – und zwar weltweit: unter den Befragten waren Menschen aus Nord- und Südamerika, Asien und Europa.
Ist Homeoffice wirklich besser für Arbeitnehmer*innen?
Chance zur Inklusion
Das Homeoffice kann gerade für Menschen mit Behinderung eine echte Alternative sein. Bei Menschen mit einer körperlichen Behinderung ist die eigene Wohnung bereits barrierefrei gestaltet und der Arbeitsweg entfällt, der etwa für Blinde oder gehbehinderte Menschen eine Herausforderung darstellt. Zudem kann das Homeoffice in Pandemiezeiten das Risiko einer Ansteckung reduzieren. Für Menschen mit psychischen Behinderungen kann die Wohnung auch die Sicherheit vermitteln, die sie zur vollen Entfaltung ihrer Produktivität benötigen.
Philipp Kahn-Pauli von der NGO RespectAbility beobachtete während der Pandemie auf dem US-Arbeitsmarkt gar einen kleinen Anstieg der Beteiligung von Menschen mit Behinderung. „Im März 2020 lag die Erwerbsquote von Menschen mit Behinderungen im erwerbsfähigen Alter bei nur 34,9 Prozent.“ Im Mai 2022 seien es hingegen 37,8 Prozent gewesen. „Das bedeutet, dass mehr Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt integriert sind als vor der Pandemie.“
„Gleichzeitig gelingt Inklusion im Homeoffice natürlich nur dann, wenn auch online für Barrierefreiheit gesorgt wird“, gibt Jonas Karpa zu bedenken, Redakteur bei Sozialheld*innen e.V.. „Können alle gut miteinander kommunizieren? Sind die Online-Tools verständlich und für alle bedienbar?“ Nicht nur bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung kann sich zudem das Gefühl der Einsamkeit verstärken. Die Gefahr der sozialen Isolation besteht für Gehörlose genauso wie für Menschen mit Autismus, für die der Arbeitsplatz manchmal die einzige Möglichkeit ist, soziale Kontakte zu pflegen. Und es besteht durchaus die Gefahr, dass Arbeitgeber*innen Menschen mit Behinderungen ins Homeoffice abdrängen: „Homeoffice darf nicht eine Entschuldigung von Arbeitgeber*innen sein, ihr Büro nicht barrierefrei zu gestalten“, so Karpa.
Stromkosten steigen
Auch die Kosten spielen eine Rolle, wenn sich Arbeitnehmer*innen für Arbeiten im Homeoffice entscheiden. Laut dem Stromanbieter EnBW können jährlich bis zu 250 Euro Mehrkosten für Strom anfallen, etwa für die Laptop- oder PC-Nutzung, Beleuchtung und Kochen. In Großbritannien gaben dem Office for National Statistic zufolge 86 Prozent der Beschäftigten im Homeoffice an, dass ihre Ausgaben für Strom-, Wasser- und Gasversorgung gestiegen seien. Um das Heimbüro gut auszustatten, müssen zudem Investitionen getätigt werden. „Neue Anschaffungen wie ein Bürostuhl, ein Schreibtisch oder Monitore können die 1000-Euro-Marke schnell überschreiten“, so der Online-Marketing-Manager und Homeoffice-Experte Maximilian Kayser. Nicht in allen Fällen übernimmt die Arbeitsstelle diese Kosten.
Fahrtkosten entfallen
Doch Kayser sieht auch Sparpotenzial: Ein hoher Kostenfaktor im Job sei tägliches Essen-Bestellen. Hier gingen schnell mal 10 Euro täglich drauf, die man zuhause umgehen kann. Den wahrscheinlich größten Anteil der wegfallenden Kosten machen aber die Fahrtkosten aus. „Im Schnitt legen Menschen in Deutschland, die zur Arbeit pendeln, 34 Kilometer pro Tag für den Arbeitsweg zurück“, rechnet Kayser. Da komme eine beachtliche Geldsumme zusammen, entweder für die immer teurer werdende Tankfüllung oder für die ÖPNV-Monatskarte, und auch der Verschleiß beim Auto verringere sich um ein Vielfaches. Zudem wirkt sich weniger Pendeln mit den dadurch verringerten Emissionen auch positiv auf die Umwelt aus.
Viele Erwerbstätigen geben an, dass sie Berufs- und Privatleben im Homeoffice besser verbinden können. Zugleich aber verschwimmen Freizeit und Arbeitszeit hier öfter. | Foto (Detail): © picture alliance/abaca/TNS/ABACA
Entgrenzte Arbeitszeit
Eine große Mehrheit der Erwerbstätigen, die mobil arbeiten, empfinden laut einer Befragung des Digitalverbands Bitkom weniger Stress, sehen einen positiven Zeitgewinn und viele weitere schätzen die zeitliche Flexibilität und eine bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. Doch die Entgrenzung der Arbeitszeit ist zugleich eine der großen Gefahren für die Gesundheit im Homeoffice. Viele Arbeitnehmer*innen neigen dazu, länger zu arbeiten als im Büro – etwa auch nachts, wenn die Kinder schlafen. Beruf und Familie unter einem Dach führen leicht dazu, dass Freizeit und Arbeitszeit verschwimmen. Eine klare Abgrenzung zwischen Arbeits- und Privatleben ist aber extrem wichtig, damit Beschäftigte im Homeoffice genügend Ruhezeit erhalten. Das gilt erst recht für den Krankheitsfall, denn wer sowieso schon von zu Hause aus arbeitet, wird schnell dazu verleitet, sich nicht krank zu melden. So kommt beispielsweise eine britische Studie zu dem Resultat, dass im ersten Pandemiejahr 2020 die Krankmeldungen in England auf ein Rekordtief von 1,8 Prozent fielen.
Proximity bias: aus den Augen, aus dem Sinn?
Der fehlende persönliche Austausch mit den Kolleg*innen ist übrigens der in der Bitkom-Studie am häufigsten genannte Nachteil des Homeoffice. Dabei fällt auch der geringere Kontakt zu den Vorgesetzten ins Gewicht, wie Anfang 2022 die Befragung „State of Hybrid Work 2022“ des Technologieunternehmens Owl Labs unter Bürobeschäftigten in Deutschland ergab. 44 Prozent befürchten, dass an ihrem Arbeitsplatz ein sogenannter „proximity bias“ existiert – ein psychologisches Phänomen, nach dem in Präsenz arbeitende Kollegen aufgrund der größeren räumlichen Nähe von ihren Vorgesetzten bevorzugt werden. Tatsächlich, so die weiteren Studienergebnisse, fragen 53 Prozent der Vorgesetzten und 57 Prozent der Führungskräfte vorrangig diejenigen Beschäftigten um ihre Meinung oder setzen sich mit ihnen auseinander, mit denen sie physisch zusammenarbeiten.
Generation Hybrid
Während Unternehmen noch immer mit der Umsetzung hybrider Arbeitsmodelle hadern, haben Angestellte eine ziemlich klare Vorstellung davon, wie sie in Zukunft arbeiten möchten sollen. Geht es nach ihnen, wird es in der Zeit nach der Pandemie eine Mischung aus mobiler und Präsenzarbeit geben. Wie das aussehen könnte? Etwa so: Populäre Arbeitsorte sind unter anderem Ferienwohnungen, ein geteilter Schreibtisch im Büro, ein fester Wohnort im Ausland und ein Co-Working-Space. Immerhin ein Drittel der Befragten möchte gar vom Campingbus aus arbeiten.