Second Hand
Schließe die Kreisläufe und rette die Erde!
Der Klimarechner hat ermittelt, dass ich 147 348 Liter Wasser – die Menge, die ich in 32 Jahren trinke, und die ausreicht aus, um drei Menschen 75 Jahre lang zu versorgen – und 304 Kilogramm CO₂ – so viel, wie eine Fahrt mit dem Auto von Warschau bis Mailand freisetzt und 46 Bäume innerhalb eines Jahres binden – eingespart habe. Ganz nebenbei habe ich auch noch 23,61 Złoty an den Verein Otwarte Klatki gespendet, der seit über einem Jahrzehnt Tiere aus Pelzfarmen rettet.
Von Magda Roszkowska
Wie das ging? Ich habe einfach meine Kleiderschränke und Hängeböden durchstöbert und Klamotten aussortiert, die wir schon seit Jahren nicht mehr getragen haben: drei große, randvoll gefüllte Kartons mit insgesamt 30 Kilogramm Kleidung und Schuhen. Anschließend habe ich ein Konto auf der Website Ubrania do oddania erstellt, mir die Liste der unterstützten gemeinnützigen Organisationen angesehen und mich für den Verein Otwarte Klatki entschieden. Im nächsten Schritt habe ich ausgewählt, dass die Pakete bei mir zu Hause abgewählt werden sollen. Das alles war mit vier Klicks erledigt. Meine Pakete wurden zwei Tage später abgeholt und in die Warschauer Sortierstelle von Ubrania do oddania transportiert. Dort wurden sie gewogen, und ein Złoty pro Kilogramm wurde auf das Konto von Otwarte Klatki überwiesen. Ich habe die Informationen auf der Website gelesen und weiß, dass die abgetragenen Sachen von mir und meiner Familie nicht auf irgendeiner Mülldeponie landen, sondern in einer der von dem Unternehmen geleiteten Recycle Boutiquen oder Second-Hand-Shops. Zu guter Letzt erhalte ich eine E-Mail, in der mein Beitrag zum Klimaschutz aufgelistet ist. Der Klimarechner ist eine der neuesten Initiativen von Ubrania do oddania.
Die Marke Ubrania do oddania wurde vor fünf Jahren von Zofia Zochniak und Tomasz Bocian gegründet. Anfangs diente sie lediglich als eine Plattform, die Geld für gemeinnützige Organisationen sammelte. Die gesammelten Altkleider verkauften Zofia und Tomasz an entsprechende Verwertungsunternehmen. Dies garantierte jedoch nicht, dass die gesammelten Altkleider nicht doch auf einer Mülldeponie oder in einer Verbrennungsanlage landeten. Aus diesem Grund betreiben sie inzwischen ein eigenes Filialnetz und arbeiten außerdem mit Marken wie 4F und Decathlon zusammen, um auch die großen Bekleidungsunternehmen für das Konzept des Second Use zu gewinnen. Alles, um die schädlichen Auswirkungen der sogenannten „Fast Fashion“ auf die Umwelt zu reduzieren.
„Die Modebranche verursacht 10 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen. Wir produzieren jedes Jahr Hundert Milliarden Tonnen Kleidung, Schuhe und Accessoires. Jede Sekunde landet eine Lastwagenladung Kleidung auf irgendeiner Mülldeponie!“, erklärt Zofia Zochniak bei einem ihrer Auftritte.
Das dreckige Geschäft mit der Mode
Der neueste Bericht der Europäischen Umweltagentur bestätigt ihre Schätzungen: Die Massenproduktion von Billigkleidung ist eine der Hauptursachen für die Verschlechterung der Wasser- und Bodenqualität. Es wird geschätzt, dass für die Herstellung eines T-Shirts etwa 2 700 Liter und für die Herstellung einer Jeans 8 000 Liter Wasser benötigt werden. Im Jahr 2020 verursachten die in der EU verbrauchten Textilerzeugnisse Treibhausgasemissionen in Höhe von 121 Millionen Tonnen. Die Chemikalien, die bei der Kleidungsproduktion freigesetzt werden, belasten die lokalen Ökosysteme. Besonders betroffen sind die Länder des globalen Südens, denn eben dort betreiben die Modegiganten ihre riesigen Fabriken. Die schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt enden jedoch keineswegs mit der Produktion. Aufgrund der mangelhaften Qualität müssen die Konsumentinnen und Konsumenten ihre Kleidung häufiger wechseln und somit auch häufiger waschen. Beim Waschen synthetischer Kleidung werden Mikrofasern freigesetzt – die meisten davon bei den ersten Waschvorgängen. Auf diese Weise landet jedes Jahr rund eine halbe Million Tonnen Plastikmüll in den Ozeanen. Leider steigt der Konsum von Billigmode stetig an: Die Europäer kaufen jedes Jahr fast 26 Kilogramm Textilien und werfen etwa elf Kilogramm davon weg. Durchschnittlich wird ein Kleidungsstück nur sieben Mal getragen, bevor es wieder aussortiert wird. Laut Statistiken gelangen nur 38 Prozent der weggeworfenen Kleidung in den Second-Hand-Markt oder werden recycelt, der Rest landet auf Mülldeponien oder wird verbrannt.
„Dabei macht es doch viel mehr Spaß, seine Lieblingsjeans in einem Second-Hand-Shop zu ergattern als einfach in ein Modegeschäft zu gehen und dort ein weiteres Paar in den Einkaufskorb zu legen“, argumentiert Zofia Zochniak.
Aus einem Bericht des polnischen Zentrums für öffentliche Meinungsforschung CBOS geht hervor, dass die Menschen in Polen ihre Einstellung zu Second-Hand-Kleidung in den vergangenen Jahren grundlegend verändert haben. Noch 2008 werteten 69 Prozent der Bürgerinnen das Kaufen von Second-Hand-Kleidung als ein Zeichen von Armut – 2021 waren nur noch 29 Prozent dieser Ansicht. Über 83 Prozent der Polinnen und Polen verweisen auf die ökologischen Vorteile von Second-Hand-Kleidung. Andere Untersuchungen zeigen jedoch, dass der wichtigste Grund für den Kauf von Second-Hand-Kleidung nach wie vor der Preis ist. An zweiter Stelle steht der Wunsch, haltbare und hochwertige Kleidung zu finden – und erst an nächster Stelle die Sorge um unseren Planeten. Die Entwicklung ist jedoch vielversprechend, denn immerhin haben bereits 70 Prozent der Polinnen und Polen schon einmal Mode aus zweiter Hand erworben. Die größte Gruppe unter ihnen stellen Frauen, Menschen mit höherem Bildungsniveau, Büroangestellte und Mitarbeiter in leitenden Positionen dar. Eine weitere Revolution auf dem Bekleidungsmarkt wurde von der Corona-Pandemie ausgelöst, die eine zunehmende Verlagerung des Second-Hand-Handels von stationären Geschäften ins Internet bewirkte. Über die Hälfte der Second-Hand-Läden verschwanden von der Bildfläche, heute gibt es nur noch 14 000. Andererseits hat die Second-Hand-Plattform Vinted inzwischen fast sieben Millionen polnische Nutzer. Und doch werfen viele Polinnen und Polen ihre abgetragenen Sachen nach wie vor lieber in den Müll, als sie zu verkaufen. Der größte Teil der Altkleider wird jedoch an gemeinnützige Organisationen gespendet.
Die unbestrittenen Meister im Altkleidersammeln sind die Deutschen.
Altkleider landen in Deutschland zu 60 Prozent in der Altkleidersammlung – vor allem aufgrund der überall aufgestellten Container. Laut einem Bericht der Organisation Fashion For Good werden in Deutschland jährlich etwa eine Million Tonnen Altkleider gesammelt. Fast 67 Prozent der Deutschen haben schon einmal Mode aus zweiter Hand erworben. Ihre Hauptmotivation ist der Schutz der Umwelt.
Die gesammelten Altkleider werden jedoch nicht in Deutschland verwertet, sondern überwiegend ins Ausland exportiert. Laut Statistiken ist Deutschland weltweit – knapp nach den USA – der zweitgrößte Exporteur von Altkleidern. Nach einem Bericht des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden wurden im Jahr 2022 462 500 Tonnen Altkleider und andere gebrauchte Textilwaren ins Ausland exportiert, also etwa 5,5 Kilogramm pro Bundesbürger. Ein großer Teil davon landet in Sortierstellen in Polen. Dort werden sie an polnische Second-Hand-Läden verkauft oder weiter nach Afrika oder Asien transportiert. In der Praxis wählen die polnischen Second-Hand-Läden nur die besten Kleidungsstücke aus den säckeweise erworbenen Altkleidern aus und werfen den Rest einfach in den Müll. Nicht ohne Grund gilt Polen als die größte Textil-Müllhalde Europas. Wie aus einem Bericht der Europäischen Umweltagentur hervorgeht, ergeht es den nach Afrika und Asien transportierten Altkleidern keineswegs besser: Ein großer Teil von ihnen landet auf den dortigen Mülldeponien. Die Kosten unseres Konsums werden in die Länder des globalen Südens ausgelagert.
„Die Zukunft der Mode ist zirkulär. Aber wie kann man die Materialkreisläufe wirksam schließen?“, fragte sich Ina Budde, die Mitgründerin und Geschäftsführerin der Berliner Agentur Circular.Fashion im Rahmen ihres Vortrags „The Circular Double Loop“ auf einer Tagung der TCBL in Italien im Jahr 2018.
Die vor sechs Jahren gegründete Agentur hält es für notwendig, die Art und Weise, wie Modemarken funktionieren, neu zu überdenken, um einen wirklichen Wandel in der Bekleidungsindustrie voranzutreiben. „Wir müssen zugeben, dass der Versuch, Designer und Konsumenten von Bio-Kleidung zu überzeugen, gescheitert ist. Wir brauchen neue, einfache Lösungen“, argumentiert Ina Budde.
Circular.Fashion bietet Workshops für Modefirmen an und präsentiert die neuesten Lösungen und Technologien im Bereich Recycling. Die Agentur hat eine Software entwickelt, die es ermöglicht, die recycelbaren Teile aus Alttextilien herauszusortieren. Diese können anschließend mit innovativen Recyclingverfahren zu neuen Fasern regeneriert werden. Solche Technologien ermöglichen es, die Ausbeutung der Böden durch den Anbau von Baumwolle deutlich zu reduzieren. Nach Ansicht Ina Buddes ist es jedoch unerlässlich, den Informationsaustausch zwischen Materiallieferanten, Modemarken, Konsumentinnen und Konsumenten, Altkleidersortier- und Recyclingunternehmen zu verbessern. Zu diesem Zweck hat ihre Agentur eine spezielle Plattform geschaffen, auf der die beteiligten Akteure sich über die einzelnen Etappen des Lebenszyklus von Kleidung austauschen können. Dank eines QR-Codes auf einem eingenähten Etikett erkennt die Software, woraus ein Kleidungsstück genau besteht und wie es am besten recycelt werden kann. In Zukunft soll dieser Code auch die Konsumentinnen und Konsumenten informieren, wo sie ihre Kleidungsstücke abgeben können, wenn sie ihnen nicht mehr gefallen.
Ina Budde betont, dass Modemarken, anstatt in Fast Fashion zu investieren, lieber auf die Haltbarkeit ihrer Kollektionen setzen und die von ihnen produzierten Kleidungsstücke weniger verkaufen als vielmehr ausleihen sollten.
„Müll = Material ohne Identität“, konstatiert Ina Budde in Anlehnung an den Architekten Thomas Rau. „In der zirkulären Mode geht es darum, jedem Material eine Identität zu geben, es also mit sämtlichen notwendigen Informationen zu versehen. Auf diese Weise hört es auf, Müll zu sein, und wird zu einer Ressource.“