Wenn von Werner Herzog die Rede ist, fällt meist das Wort „Visionär“. Und in der Tat nehmen seine kühnen und zugleich neugierigen Visionen von der Welt und vom Menschen einen einzigartigen Platz in der Geschichte des Kinos ein. Filme wie Aguirre, Der Zorn Gottes, Kaspar Hauser – Jeder für sich und Gott gegen alle, Nosferatu – Phantom der Nacht, Woyzeck und Fitzcarraldo, die Herzog zwischen 1972 und 1981 gedreht hat, zeichnen sich nicht nur durch den Umfang ihrer Inszenierung oder ihre Regieleistung aus, sondern auch durch die perfekte Verschmelzung der Ideen ihrer Drehbücher mit der Körperlichkeit ihrer Darsteller, Klaus Kinski und Bruno S. Der visionäre Charakter von Herzogs Filmen resultiert sowohl aus der Sensibilität des Regisseurs selbst als auch aus den - sehr unterschiedlichen - Persönlichkeitsmerkmalen der Hauptdarsteller und ihrer besonderen Beziehung zur Kamera. Herzog ließ sich für seine Filmbilder von Malerei, Musik, Natur, aber auch von der existenziellen Verstrickung des Menschen in seine eigenen Leidenschaften und Dämonen inspirieren. Diese Bilder lenken den Blick stets auf das Fremde, das Andersartige und den Außenseiter. Ihr monumentaler Charakter ergibt sich einerseits aus der Schönheit der Landschaft, die in Herzogs Filmen zum vollwertigen Protagonisten wird, und andererseits aus der Ausdruckskraft des menschlichen Gesichts, das die mit dem Regisseur zusammenarbeitenden Kameramänner Thomas Mauch und Jörg Schmidt-Reitwein wunderbar einfangen.
Die Retrospektive mit fünf Filmen sowie kurze Einführungen in Form von Videovorträgen machen das Kinopublikum mit dem Regisseur vertraut, führen in die Themen seiner Werke ein und stellen sie in einen größeren kulturellen Kontext.
Das Projekt wird von dem Verband der Programmkinos und dem Goethe-Institut Warschau organisiert und von der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit unterstützt.
Die Entstehung dieses epischen Epos, das die Geschichte der Expedition der spanischen Eroberer in den Dschungel des Amazonas schildert, war von zahlreichen Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Regisseur und dem Hauptdarsteller geprägt. In einer der vielen Auseinandersetzungen bezeichnete Kinski Herzog verächtlich als „Regisseur der Zwerge“ (eine Anspielung auf seinen früheren Film, aber auch eine Einordnung Kinskis in das andere Extrem seines schauspielerischen Könnens). Trotz der realen Bedrohung durch den Abbruch des Films wurde das mörderische Unterfangen dennoch zu Ende geführt. Als Ergebnis dieser schwierigen Zusammenarbeit entstand ein außergewöhnliches Werk, das durch die Kraft der geschaffenen Vision von der faszinierenden und zugleich furchterregenden grünen Hölle des Amazonasdschungels, aber auch durch die Einzigartigkeit von Klaus Kinskis Schöpfung beeindruckt. Aguirre, an der Spitze einer Expedition von Konquistadoren, macht sich auf den Weg, um im Amazonaswald nicht nur das mythische Eldorado zu finden, sondern dort auch einen neuen, idealen Staat zu errichten, bevölkert von einer neuen Spezies Mensch. Aguirre - ein monströser Führer - völlig besessen von den Mythen, die er geschaffen hat - betritt diese Welt im illusorischen Glanz der Macht seiner Hybris und der arroganten Überzeugung von der Kraft seiner Phantasien. Er verlässt sie entehrt, durchtränkt von der Abscheulichkeit seiner Taten, besiegt von den ewigen, magischen Kräften der Natur. Das Element, das er sich unterwerfen wollte, rächt sich umso grausamer, als es ihm den Glauben an die Macht seiner fixen Idee raubt.
KASPAR HAUSER – JEDER FUR SICH UND GOTT GEGEN ALLE, 1974, 109’
Im Jahr 1828 tauchte auf dem Nürnberger Marktplatz ein junger Mann auf, der wie ein Vagabund aussah und keinen Kontakt zu seiner Umgebung aufnehmen konnte - er konnte weder gehen noch sprechen noch die einfachsten Werkzeuge benutzen. Man glaubte, dass es sich bei dem mysteriösen Fund um den Sohn von Erzherzog Karl handelte. Es gab auch Leute, die ihn für den Sohn Napoleons hielten. Von zwei Wissenschaftlern betreut, wurde er zu einer weltweiten Sensation.
Mehr als tausend Publikationen sind der Figur Hauser gewidmet. Sein Geheimnis blieb jedoch ungelöst. Er starb unter ungeklärten Umständen. Für Herzog wurde das Rätsel der Existenz eines Mannes aus dem Nichts zu einer traumhaften Gelegenheit, in die menschliche Psyche in ihrem Urstadium der Entstehung einzudringen. Hausers Tragödie ist die Tragödie des sich wandelnden Menschen, der, je mehr er sich die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens aneignet, desto größer wird die Kluft, die ihn von seiner Umgebung trennt. Kaspar erscheint als Rätsel und bleibt es bis zum Schluss. Nicht nur wegen der rätselhaften Wechselfälle seines Schicksals, sondern vor allem wegen des Geheimnisses seiner Persönlichkeit, das nicht zu durchdringen ist.
„Nosferatu – Phantom der Nacht“ ist eine Neuverfilmung von Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm-Meisterwerk von 1922, von dem Herzog in einem Interview sagte, es sei für ihn der wichtigste Film in der Geschichte des deutschen Kinos. In Herzogs Ansatz ist Dracula jedoch eine völlig neue Lesart der Figur. Er ist monströs, blutrünstig und unersättlich, der Verursacher eines Übels, das sich mit der Kraft einer Pandemie ausbreitet, aber gleichzeitig ist er ein zutiefst menschliches Wesen, das sich seines blutigen Makels schmerzlich bewusst ist. Das Böse, das er in sich trägt, scheint gegen seine Natur zu verstoßen, die sich nach Liebe und Akzeptanz sehnt. Während er tötet und andere infiziert, tut er dies mit einem tragischen Bewusstsein für die Dualität seines Wesens, das eine tiefe Abscheu vor seinen eigenen vampirischen Handlungen nährt. Obwohl Herzog sich ausgiebig bei Murnau bediente, schuf er dennoch einen Film mit völlig anderer Bedeutung. Von allen seinen Filmen ist dieser der zutiefst oneirische. Es handelt sich um eine Art Doppelblick - auf den Filmemacher und auf den Protagonisten der Geschichte selbst. Daher kann der Film auf mehreren Ebenen metaphorischer Bedeutungen analysiert werden.
Woyzeck ist eine Adaption des gleichnamigen Dramas von Georg Büchner aus den Jahren 1835-36, in dem Herzog die Liebesgeschichte und den zunehmenden Wahnsinn eines österreichischen Gefreiten erzählt, der vom triebhaften und totalitären Militärsystem versklavt und zu einer unmenschlichen, grotesken Marionette degradiert wird, die unwillkürlich jeden geforderten Befehl ausführt.
Woyzeck ist ständig in Bewegung, außer Atem, unfähig zu sitzen oder zu schlafen, selbst seine Gedanken bestehen nur aus bruchstückhaften Sätzen, die er ständig murmelt, was ihm den Ruf eines Wahnsinnigen einbringt. Woyzeck ist eine Marionette, ein Soldat - der Unterschied in seiner Haltung ist jedoch, dass er diese Situation nicht ganz akzeptieren will. Zunehmend gedemütigt, kämpft er um seine Menschlichkeit.
„Fitzcarraldo“ ist ein weiterer Protagonist Herzogs, der in seiner eigenen verrückten Idee gefangen ist. Sein obsessiver Wunsch wird zur Verwirklichung seiner Vision eines Opernhauses, das im Herzen des Amazonasdschungels entstehen soll. Die heroisch-tragische Anstrengung dieses herzoglichen Don Quijote ist ebenso faszinierend wie völlig nutzlos. Die spektakuläre Idee, das Schiff über Land zu transportieren, bei deren Verwirklichung ihm die Indianer helfen, ist zwar wahnsinnig, aber einen Schritt von der Realisierung entfernt. Herzog scheint anzudeuten, dass trotz der zivilisatorischen Unterschiede das Ziel, das den Neuankömmling aus dem fernen Europa und die ursprünglichen Bewohner der grünen Hölle verbindet, dasselbe ist. Der Wunsch, ein Opernhaus im Dschungel zu bauen und die bösen Geister des Flusses zu besänftigen, stellt den weißen Gott und die Eingeborenen auf die gleiche Ebene eines zutiefst metaphysischen Verständnisses der Weltordnung.
Wie zum Ausgleich porträtiert Herzog die nüchternen Kautschukmagnaten. Ihre Welt ist eine reale und konkrete Welt, die auf klar definierten und nachvollziehbaren Prinzipien beruht, während Fitzcarralds Welt nur ein Ersatz für die Realität ist, ein Ausdruck seines zutiefst introvertierten Bewusstseins, das außerhalb des durch die Lebenswirklichkeit vorgegebenen Rahmens existiert. Die Realität, in der er lebt, ist eine traumartige Brücke zwischen Wachen und Träumen. Diese verrückte Idee ist jedoch mit der Sünde des Stolzes behaftet, der Sünde des Hochmuts und der prahlerischen Selbstgefälligkeit in Bezug auf seine Macht, die Natur in ihrer üppigsten und bedrohlichsten Form zu bändigen. Der Protagonist ist also von vornherein zu einer ebenso beeindruckenden wie - trotz allem - erbaulichen Niederlage verdammt.
(Quelle: Broschüre „Andere Welten von Werner Herzog“, Warschau 2012)
(Quelle: Monografie „Herzog“ von Krzysztof Stanisławski, Warschau 2012)
Zeitplan für die Vorführungen in den Warschauer Kinos:
Film
Kino
Kinoteka
Muranów
AGUIRRE, DER ZORN GOTTES, 1972
03. Dez
24. Nov
KASPAR HAUSER – JEDER FUR SICH UND GOTT GEGEN ALLE, 1974
Beteiligte Kinos: Agrafka, Kraków; Amok, Gliwice; Bajka, Lublin; Charlie, Łódź; Forum, Białystok; GCF, Gdynia; Kino Nowe Horyzonty, Wrocław; Kino Pod Baranami, Kraków; Kinoteka und Muranów, Warschau; Muza und Pałacowe Poznań.
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Organisiert von: Verband der Programmkinos und Goethe-Institut Warschau.
Unterstutzung: Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit
Partner: Verlag PIW
Plakatentwurf: Marta Polaczuk
Videovortrage: Dr. Ewa Fiuk & Produktion der Aufzeichnung: Stanisław Wójcik
Medienpartner: Pełna Sala, Kultura wokół nas