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Linus Kollberg
Wer übersetzt was  - und warum?

Berlin und „Påminnelser“ von Madeleine Gustafsson
„Påminnelser“ von Madeleine Gustafsson (Daidalos Verlag)

„Einzig die Sprache, die unserer persönlichen Erfahrung entspricht, ermöglicht es uns das Gelesene zu verstehen und tief zu empfinden.“*

In den letzten Jahren wurde viel über Übersetzung gesprochen, aber nur wenige bringen ihre Gedanken so prägnant auf den Punkt wie die Schriftstellerin und Übersetzerin Madeleine Gustafsson. Deshalb war ich sehr froh, als ich im Herbst 2021 die Gelegenheit zu einem Gespräch mit ihr hatte. Der folgende Text basiert auf diesem Gespräch.

Die Aufmerksamkeit, die die Dichterin Amanda Gorman im vergangenen Jahr hervorrief, führte auch zu einer Debatte, wer was übersetzen „darf“; eine Debatte, die sich allerdings mehr um Randphänomene, Ausnahmen und Scheinargumente drehte. In der Praxis wird Literatur von professionellen Literaturübersetzer*innen übersetzt, die ihre Aufträge durch Kontakte und, so ist zumindest zu hoffen, aufgrund ihrer Fähigkeiten bekommen. Doch wer wird eigentlich Übersetzer*in? Ich habe mich früh für diesen Beruf entschieden, weil ich schreiben wollte, aber nicht wirklich an meine schriftstellerischen Fähigkeiten glaubte. Ganz zu Beginn meiner geplanten Karriere schrieb ich mehrere Buchverlage an. Ich stellte mich als Übersetzer vor, der nun bitteschön gern einen Auftrag hätte. Niemand hat geantwortet. Rund die Hälfte der 2010er Jahre habe ich damit zugebracht, die erforderlichen Kontakte zu knüpfen und einen Fuß in die Tür zu bekommen.

Für Madeleine Gustafsson hingegen war das Übersetzen anfangs eine Nebentätigkeit zur Literaturkritik. „Anfang der 70er Jahre lebte ich einige Jahre in Berlin und der Verlag Norstedts schlug mir vor, es einmal zu versuchen - zuerst Rainer Kunze, dann Peter Schneider, dann Enzensberger und schließlich führte eins zum anderen. Schon damals war es wichtig, ‚die richtigen Leute zu kennen‘, aber die Suche ging vorrangig von den Verlagen aus.“

Seit den 1990er Jahren hat eine Professionalisierung und Sichtbarmachung des Übersetzerberufs stattgefunden, was sich beispielsweise daran zeigt, dass es mittlerweile Studiengänge für literarisches Übersetzen gibt. Übersetzer*innen sind eine recht bunte Truppe und üben häufig noch andere Tätigkeiten im Literaturbetrieb aus (viele sind Kritiker, Redakteure, Schriftsteller usw.). Vielleicht hat die zunehmende Sichtbarkeit dazu geführt, dass mehr Menschen sich hauptberuflich dem Übersetzen widmen und einige sich bewußt für diesen Beruf entscheiden, so wie ich es getan habe.

Übersetzer*innen sind zwangsläufig Reisende. Gut fünfzig Jahre nach Madeleine Gustafsson bin auch ich nach Berlin gezogen. Es gab verschiedene Gründe, die deutsche Sprache war einer davon. Ich hatte einen Universitätsabschluss in Skandinavistik, aber noch keine Vorstellung davon, wie man Übersetzer wird. Ich kannte niemanden in der Branche.  Um erste Erfahrungen zu sammeln, begann ich mit Untertitelungen. Hier war der Einstieg leichter: nach drei Tagen Inhouse-Schulung online liefen meine übersetzten Untertitel im Fernsehen. Ursprünglich hatte ich es nur als Einstieg ins literarische Übersetzen gedacht, aber zehn Jahre später betrachte ich die Untertitelung als einen genauso wichtigen und inspirierenden Teil meines Beruflebens wie die Literatur. Denn entgegen der weitverbreiteten Ansicht ist die Untertitelung nicht weniger anspruchsvoll als die Übersetzung eines literarischen Werks.

Übersetzer*innen sind natürlich auch Leser, die viel Freude am Umgang mit Worten haben. Der Beruf ist von einer großen Arbeitslust geprägt. „Für mich ist es wohl eher eine Beschäftigung als ein Beruf. Es geht um das Glück, sich mit Sprache befassen zu können, zu schreiben, ohne selbst unbedingt etwas sagen müssen. Das Vergnügen, verschiedene Töne auszuprobieren und sich in das Wesen anderer hineinzuversetzen“, beschreibt Madeleine Gustafsson es. Übersetzen wird nicht ohne Grund mit der Schauspielerei verglichen. Wenn ich übersetze, bin ich für eine Weile jemand anderes und die Welt steht mir offen.

Übersetzer*innen sind außerdem Menschen, die gerne für sich arbeiten oder zumindest kein Problem damit haben. Und man muss hinzufügen: Menschen, die bereit sind, für hochqualifizierte Arbeit einen recht bescheidenen Lohn in Kauf zu nehmen. Die Bezahlung ist schlichtweg miserabel, was kein neues Phänomen zu sein scheint. Der Übersetzer Herman Anders Kullberg beschwerte sich bereits 1803 in einem Brief an seinen Verleger:

Verflucht sei die Stunde, in der ich ein solches Handwerk angefangen habe, das mich nicht ernähren kann und mich bald zum Betteln zwingt - Verzeiht, verzeiht, aber ich leide wie ein Wurm und kann meinen Schmerz nicht verbergen.

Das Zitat stammt aus Nils Håkanssons Buch über die Geschichte der schwedischen Übersetzung Dolda gudar (Norstedt/litteratur, 2021), das mit dem renommierten schwedischen Augustpreis ausgezeichnet wurde.

Auch heute ließen sich problemlos weitere Beispiele finden, aber darum soll es in diesem Text nicht gehen. Schließlich herrscht kein Mangel an Übersetzer*innen, was vielleicht an einem der vielen Vorzüge des Berufs liegt: der Freiheit. Übersetzer*innen haben in der Regel die Freiheit, zu arbeiten, wo und wann sie wollen (was ihnen allerdings viel Selbstdisziplin abverlangt), und sie sind in der Lage, ihr künstlerisches Schaffen innerhalb eines bestimmten Rahmens auszuüben (was es für die leichter macht, denen es an Selbstdisziplin magelt). So verwundert es nicht, dass viele in diesen recht freiheitsfeindlichen Zeiten den Übersetzerberuf anstreben. Madeleine Gustafsson: „Hinzu kommt die Freiheit, sein Bestes zu geben. Der finanzielle Mangel wird zu einer Art Zufluchtsort: Es herrscht nicht der Druck und Wettbewerb, der zum Beispiel zwischen Schriftstellern möglich ist. Die Stimmung unter Übersetzern ist sehr kollegial. Man hilft sich gegenseitig.“ Bei Håkansson habe ich gelesen, dass der „königliche Übersetzer“  im 17. Jahrhundert mit sagenhaften 1.600 Fässern Getreide im Jahr entlohnt wurde. Bei einem solchen Salär kann man sich leicht ausmalen, wie aus innigen Übersetzerfreunden schnell intrigante Konkurrenten und Feinde werden.

Was landet also auf dem Schreibtisch der Übersetzer*innen? Wenn es um deutschsprachige Literatur geht, leider nicht sehr viel. Der Anteil an deutscher Literatur von Übersetzungen ins Schwedische beträgt höchstens ein paar Prozent. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war es deutlich mehr, aber Englisch als Ausgangssprache hat sich in allen Gattungen durchgesetzt. Literatur aus anderen Sprachen als Englisch gilt heute fast schon als exotisch und wird vor allem von kleinen spezialisierten Verlagen herausgegeben. Diese zeichnen sich durch einen hohen Anspruch und auch eine gewisse Vorsicht aus. Verlegt werden überwiegend intellektuell schwergewichtige deutsche und französische Werke, deren Autoren renommierte Preise gewonnen haben oder es vermutlich noch werden. (Es sei denn, es gibt einen Bezug zur allgegenwärtigen deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, dann ist der Spielraum größer.) Aus irgendeinem Grund scheinen schwedische Leser*innen kein großes Interesse an deutschen Krimins, Liebesromanen oder Unterhaltungsliteratur zu haben - oder liegt es am Desinteresse der Verlage?

Angesichts dessen war es vielleicht nicht so clever von mir, einen Roman über ein sprechendes, kommunistisches Känguru für mein erstes literarisches Übersetzungsprojekt auszuwählen. Die Känguru-Chroniken haben sich in Deutschland millionenfach verkauft und lieferten die Vorlage für eine Verfilmung, Hörbücher und Comics. Ich habe mich zu Beginn meines sechsjährigen Berlin-Aufenthalts durch den Roman buchstabiert und mehrere Jahre damit verbracht, einen schwedischen Verlag dafür zu begeistern, hauptsächlich mit der Begründung, dass es ein witziges Buch sei. „Schwedische Leser finden Bücher, die in Deutschland als lustig gelten, in der Regel nicht sehr lustig“, erklärte mir ein zögerlicher Verleger. Und vielleicht hatte er damit recht, Humor ist nunmal eine kulturelle Angelegenheit. Doch erst die Übersetzung ermöglicht es uns, etwas Neues und Anderes kennenzulernen - und über Dinge zu lachen, über die wir noch nie gelacht haben.

Ich glaube an eine glorreiche Zukunft der deutschsprachigen Literatur in Schweden. Eigentlich ist Schweden kein kleines Land, sondern nur ein Land an der Peripherie, das eine lange Tradition des kulturellen Imports pflegt. Wir neigen dazu, unsere Suchscheinwerfer immer nur in eine Richtung auszurichten, momentan die angelsächsische. Doch alle hundert Jahre wenden wir uns traditionell gen Süden. Es ist demnach nur eine Frage der Zeit. Also: Bis bald, liebe Nachbarn!

*Madeleine Gustafsson, Påminnelser, S. 328. Buchverlag Daidalos. Stockholm 2016.


Linus Kollberg (geb. 1983) hat einen Magister-Abschluss in literarischer Übersetzung von der Valandakademie in Göteborg. Er erstellt Untertitel für Film und Fernsehen und übersetzt Literatur, Sachbücher und Dramatik aus dem Deutschen, Englischen und Spanischen. Derzeit arbeitet er an der Übersetzung von Marc-Uwe Klings Känguruchroniken (2021 beim Verlag Thorén & Lindskog auf Schwedisch erschienen).

Madeleine Gustafsson (geb. 1937) ist Schriftstellerin, Übersetzerin und Kritikerin. Sie ist Mitglied der Gesellschaft De Nio und erhielt die Ehrendoktorwürde der Universität Göteborg. 2013 wurde sie mit dem Übersetzerpreis der Schwedischen Akademie ausgezeichnet. Sie hat für verschiedene schwedische Zeitungen geschrieben, u. a. GHT, DN und BLM, und eine Reihe von Büchern und Gedichtbänden veröffentlicht.

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