Zwischen dem Aufkleben von Briefmarken

Buch fliegt über dem Bett © Felip Epelaquim/unsplash

Neben vielem anderen stellt Nefeli Kavouras etliche Literaturveranstaltungen in unterschiedlichen Formaten auf die Beine, wird nicht müde, macht das gern. Aber wie fühlt es sich an, immer wieder nach neuen Fördertöpfen Ausschau zu halten, um Literatur zu vermitteln und lebendig zu halten?

von Nefeli Kavouras
 
Am Vormittag blätterst du durch die Verlagsvorschauen, du entwickelst Interesse (stellvertretend für ein Publikum, das du dir noch nicht vorstellen kannst, aber auch für dich selbst), du bestellst einige vielversprechende Bücher und beim Radfahren auf dem Weg zum Supermarkt fällt dir ein Konzept für eine Veranstaltung ein. Nach dem Kochen recherchierst du Fördermöglichkeiten, du erstellst einen Kostenfinanzierungsplan (vergiss niemals die 0,05 Prozent KSK-Abgaben! Und das Technikhonorar muss auch höher angesetzt werden), du formulierst  einen Antrag, betonst dabei Wörter wie „Diversität“ und „Barrierefreiheit“ (bist dir aber nicht sicher, ob du das in der Praxis vollständig umsetzen kannst) und abends im Bett schaffst du es kaum, mehr als 20 Seiten zu lesen.

Und das ist erst der Anfang. Die eigentliche Veranstaltung bzw. das Erleben der Veranstaltung – das Bangen, ob genug Menschen im Publikum sitzen, um eine Veranstaltung als „erfolgreich“ (oder wie kann sich der Wert einer Veranstaltung sonst als erfolgreich erweisen?) abzustempeln – macht nur einen Bruchteil der ganzen Arbeit aus. Das wäre auch in Ordnung, ich mache das gern, schließlich schaffen Literaturveranstaltungen wertvolle Begegnungsräume für Literaturrezipierende und -schaffende, wenn sich nicht ständig als unnötig empfundene Herausforderungen auftäten. Die meisten Literaturvermittler*innen, die ich kenne, fürchten sich davor, auszubrennen. Das liegt nicht nur an der Konzentration erfordernden kleinteiligen Arbeit, die der Beruf oft mit sich bringt, sondern auch daran, dass es nie ein ‚Ende‘ zu geben scheint. Nach der Veranstaltung ist vor der Veranstaltung, ist zwischen Festivals, ist vor dem Schreiben eines Verwendungsnachweises, ist zwischen dem Aufkleben von Briefmarken für neue Projektanträge. Mein Kopf springt also ständig zwischen verschiedenen Projektschubladen. Was ausbleibt, ist sich nachhaltig Raum für Reflexion zu nehmen.

Das Problem an Literaturförderung ist oft, dass sie schon die Arbeitsstruktur vorgibt und sich nicht an künstlerische Denkprozesse anpasst. Vielmehr müssen Literaturveranstalter*innen alles und sich in allem anpassen: Abgabetermine, ihre eigenen Konzepte, das eigene Honorar, auch wenn die Kosten ringsherum gestiegen sind. Aber was macht das mit der Arbeit, wenn keine Zeit zum Innehalten vorhanden ist? Sie wird redundant, vor allem inhaltlich.

Die meisten Ideen für Veranstaltungskonzepte entwickle ich ‚versehentlich‘ im Urlaub. Sie passieren mir, wenn ich Leere im Kopf zulasse und einen Blick auf die Welt werfen kann. Veranstaltungsplanung bedeutet nicht nur zu organisieren, sie ist auch kreative Arbeit und bedarf kreativer Strukturen.
Manchmal wünsche ich mir, es gäbe Aufenthaltsstipendien für Literaturvermittler*innen. Ich würde endlich mehr als nur 20 Seiten am Tag lesen, ich würde viele Skizzen machen, ich würde mit frischen Konzepten wieder in die Arbeit zurückkehren, ich würde mir weniger verkrampft vorkommen im Versuch, der angefeindeten „Wasserglaslesung“ etwas entgegenzusetzen. Ein wenig wäre das, wie wenn sich Autor*innen zum Schreiben zurückziehen. Überhaupt ertappe ich mich manchmal bei dem Gedanken, dass ich mir einige Strukturen des Autor*innenberufs für die Arbeit als Literaturveranstalterin wünsche. Und dabei wissen wir doch alle, wie prekär allein die Situation für viele Autor*innen ist. Was sagt also dieser Wunsch über die Situation freier Literaturveranstalter*innen aus?

Und dann dieser Druck. Es ist nicht so, dass allein die Zeit fehlt, um Veranstaltungen in Ruhe zu planen. Hinzu kommt, dass  indirekt  Druck ausgeübt wird. Als wäre man in einer Bewährungsprobe. Stets befinde ich mich in der Bittstellerposition und muss jedes Mal aufs Neue beweisen, dass ich vertrauensvoll mit öffentlichen Geldern umgehe. Überhaupt gilt bei allen Förderungen: Kontrolle über Vertrauen.

Aber wie könnte eine Kulturlandschaft aussehen, in der man mehr vertraut als kontrolliert? Was würde es mit meiner Arbeit machen, wenn ich drei Jahre vorausplanen dürfte?
In einer imaginierten Kulturlandschaft hätte ich eine Förderung für drei bis fünf Jahre. Ich würde mir Zeit nehmen, Konzepte zu entwickeln. Meine kreative Arbeit würde bezahlt werden, alle beteiligten Akteure würden fair bezahlt werden. Ich würde zu anderen Festivals reisen, auch gern in andere Länder, ich würde mich mit Literaturvermittler*innen weltweit über Arbeitspraktiken austauschen, ich wäre nicht mehr ständig voller Angst, etwas vergessen zu haben. Mir würden Konzepte nicht mehr nur im Urlaub, sondern innerhalb meiner Arbeitszeit einfallen.

Stattdessen bekommst du Post: Ein Teil der beantragten Fördersumme ist bewilligt worden. Irgendwo wirst du das restliche Geld schon auftreiben. Du schreibst Autor*innen an, du buchst Hotelzimmer, am liebsten die mit der Blumentapete. Du erinnerst daran, bitte 2. Klasse zu fahren (im Idealfall Sparpreisbuchung), du telefonierst mit Ansprechpersonen von Veranstaltungsräumen, du telefonierest mit Techniker*innen, du schickst den geldgebenden Stiftungen die Werbeflyer zum Absegnen, du trägst die angepassten Kosten in der Exceltabelle ein, die Veranstaltung rückt näher. Und dann passiert, was es doch jedes Mal alles wettmacht: die 20 %, die sich nicht planen lassen.

Egal, wie kleinteilig der Beruf des Literaturveranstalters ist, es ist unmöglich, die entscheidenden Stunden 100-prozentig im Voraus zu planen. Dafür liebe ich den Beruf. Für die unvorhergesehenen, nahezu magischen Momente, die den ganzen Raum erfüllen, und die meine Wangen glühen lassen.
 

Über die Autorin

Nefeli Kavouras

Nefeli Kavouras, geboren 1996 in Bamberg. Studierte Kulturwissenschaften in Lüneburg. Sie arbeitet für den mairisch Verlag, kuratiert das Literaturprogramm der altonale, führt mit Anselm Neft den Literaturpodcast „laxbrunch“ und veröffentlicht regelmäßig Literaturkolumnen. Sie initiierte und organisierte einige Literaturfestivals, wie zum Beispiel das kulinarische Literaturfest SORBET. 2022 erhielt sie das Residenzstipendium der Hamburger Kulturbehörde für einen Aufenthalt im mare-Künstlerhaus in Wentorf. 2023 wurde sie für ihr Romanmanuskript mit dem Hamburger Literaturpreis ausgezeichnet. 

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