Auf dem Weg zur Lesung. Berlin uselt mir ungemütlichen Nieselregen gegen die Brillengläser. Kann kaum noch was sehen, aber zu faul, die Brille abzunehmen und die Gläser notdürftig sauber zu machen. Ist eh nur noch um die Ecke. Die Nervosität steigt und macht sich paradoxerweise durch andauerndes Gähnen bemerkbar – ich werde so unsäglich müde und tr..
träge.
Sorry. Egal, wird schon.
Ich weiß nicht genau, warum die mich eingeladen haben. Was könnte es für glaubwürdige Gründe geben? Okay,
stating the obvious: ich bin Schwarz. Ich bin queer. Damit decke ich schon mal einige Betroffenheiten ab, das macht sich gut. Wahrscheinlich ist auch jemand von den anderen abgesprungen und ich fungiere als Lückenfüller*in. Wahrscheinlich ein Mix aus „jemand abgesprungen“ und „eigentlich auch nicht schlecht, nicht nur
weiße peoples dabei zu haben“. Ich habe Glück gehabt. Bestimmt sitze ich da gleich und fühle mich wieder so schlimm fehl am Platz. So als gehöre ich nicht her. Eben so, als habe ich wohl oder übel eingesetzt werden müssen an der Stelle, wo jemand anderes, tolleres, erfolgreicheres, schöneres, dünneres, besondereres, talentierteres hätte sein sollen, aber mit einer Absage diesen Platz – für mich – hinterlassen hat. Ich werde da gleich reintrotten, mit zugeregneten und beschlagenen Brillengläsern und schon allein beim Versuch des Lückenfüllens mit der Begrüßung kläglich versagen. Ich werde mich entlarven. Alle werden es merken. Dass ich eben nicht
first choice, sondern
second, oder – wahrscheinlicher –
third, fourth, fifth choice dieses Abends bin. Wie auch immer, ich bin hier. Werde als
first choice performen müssen.
Fake it ‘til you make it. Let the show begin.
Okay, die Begrüßung hat ganz gut funktioniert. Auch wenn die Brillengläser beschlugen und ich den anderen kaum in die Augen sehen konnte. Irgendwie haben sie sich schon gefreut, mich zu sehen, oder? Obwohl ich das Gefühl hatte, dass die sich über die anderen Eingeladenen mehr gefreut haben – scheinbar kannten die sich alle schon aus anderen Zusammenhängen … Warum war ich da nicht? Warum kenne ich die anderen nicht? Gehöre ich nicht dazu? Egal, wird schon. Mehr als ich habe, kann ich nicht geben. Schon sitzen wir in der ersten Reihe, hinter uns das Publikum gespannt, und warten auf unsere Anmoderation. Der Wettbewerb um die tollste, längste und vollste Bio beginnt. Es wird anmoderiert: Eine erfolgreiche und bekannte Autorin, erst kürzlich (erneut) mit DEM Literaturpreis ausgezeichnet und nun – nebst anderer zahlreicher Auszeichnungen – auch noch Sonderstipendiatin dieser und jener Literaturförderungen. (Ich habe von den meisten überhaupt noch gar nichts gehört, scheiße.)
Next one in line: Wir kennen ihn alle. Eindeutig der Star des Abends und einfach der Hammer, ihn heute Abend hier zu haben! Viel muss man über ihn gar nicht erzählen, wir wissen alles über ihn. So toll, so besonders und: so unendlich oft ausgezeichnet. Jetzt, seit neuestem, auch noch Dozent für wasweißich. Einfach wow. Dann: Wie schön, dass wir die Person wieder hier haben. Ein gern gesehener, etablierter und beliebter Gast. Brandneu mit dem frisch veröffentlichten Roman in der Hand (gibt’s übrigens in der Pause beim Büchertisch zu erwerben). Auch hier wieder unnötig, so viel zu erzählen, weil:
we all know you. Und zu guter Letzt: ich. Hat weder ein Buch geschrieben, noch lassen sich Preise, Stipendien, Förderungen oder sonstige Auszeichnungen vorweisen. Ein Überraschungsgast! Wir sind gespannt, was kommt.
Letztlich zeigen sich doch alle recht erfreut über meine Texte. Aber wahrscheinlich wollten alle nur nett sein.
Nobody knows me – Nobody knows my name – welcome to the pathetic self-destruction show.
So viel zum Normalzustand junger Autor*innen und Künstler*innen, vor allem für queere, Schwarze und Autor*innen of Color. Wir werden von klein auf von der Diskriminierungsmaschine zusammengepresst. Neben dem Fläschchen hat uns das gesellschaftlich vermittelte und institutionell gefestigte Gefühl der Unzulänglichkeit großgezogen. Uns fehlte der Zugang zu Büchern von Autor*innen, die uns repräsentierten und uns Vorbild sein konnten, geschweige denn, dass in unserer eigenen Arbeit Raum für Repräsentation bliebe. Das Maximum, das uns zugestanden wird, sind Positionen bei Lesungen ‚für die Quote‘ oder themenspezifische Abende über Rassismus, Sexismus etc. Die Einladungen erfolgen in der Regel – wenn überhaupt – unterbezahlt und viel zu oft so kurzfristig, dass es verdächtig nach „
oh shit, wir brauchen noch eine*n Schwarze*n in der Runde“ schreit. Das Gleiche gilt für Preise, Förderungen und Stipendien. Ich als queere, Schwarze Autor*in habe bis vor ein paar Jahren von den meisten Möglichkeiten, die frei arbeitende Künstler*innen haben, noch nicht einmal gehört. Erst die Beziehungen zu weißen Künstler*innen ermöglichten mir Zugang zu diesem Wissen. Und noch immer fühle ich mich weit davon entfernt, einen realisierbaren Zugang beispielsweise zu Stipendien zu haben, da diese in den wenigsten Fällen auf Menschen wie mich zugeschnitten sind. Autor*innen, die sich all diesen Hindernissen widersetzen konnten, die sichtbar sind und für ihre Arbeit Preise erhalten, sind einer auffallend kritischen Beobachtung ausgesetzt und laufen häufiger als
weiße und/oder nicht-queere Künstler*innen Gefahr, durch vermeintliches Fehlverhalten gecancelt zu werden.[1] Dass wir als Impostor enden, liegt an den kolonialen und rassistischen Traditionen, die unsere Verhältnisse noch immer durchziehen. Sie bestimmen, was wir lesen, wie wir lesen, wen wir (nicht) lesen, sehen, hören, verstehen, mögen. Nicht zuletzt formen koloniale Kontinuitäten den Kunst- und Literaturbetrieb bis heute.
Wie würde aber eine Verbesserung der Verhältnisse aussehen? Unter welchen Umständen würden wir frei von finanziellen und leistungsorientierten, kolonialen und rassistischen, patriarchalen und klassistischen Zwängen arbeiten können? Wie offen müssen die Zugänglichkeiten sein bzw. wie offen können sie innerhalb eines bestehenden Systems von Wettbewerben, Auszeichnungen und Konkurrenzdruck überhaupt sein? Wo wollen wir hin oder besser, wovon sind wir bereit, uns zu entfernen? Wäre nicht jede kleine Reform innerhalb dieser Ordnung nur ein kleiner Gewinn für Wenige, denen Zugang gewährt wird, aber die sich das System direkt wieder einverleibt? Immer noch stünden Menschen draußen auf dem letzten Platz, ohne Sichtbarkeit, ohne Selbstbewusstsein, in der Hand eine Schüssel Instant-Nudeln. Der jetzige Zustand zollt weder der Kunst und der Literatur ausreichend Tribut, noch erkennt er die Menschen an, die diesen Begriffen weitaus näher sind als der x-te „Sebastian“, der erneut mit irgendeinem selbstverherrlichenden Kunstpreis ausgezeichnet wurde. Ich sage: Schluss mit neo-kolonialen, pink-gewashten, tokenistischen Wettbewerben! Gleicher Zugang, gleiches Geld, gleiche Anerkennung für alle Kunstschaffenden! Neue Ideen und Systeme von Wettbewerben, die nicht auf Herabwürdigung oder hegemonialen Strukturen basieren. Wir brauchen mehr. Das ist nicht genug. Das ist nicht das Ende. Sondern hoffentlich erst der Anfang.
[1] Beispielhaft ist hier u.a. die Situation rund um die Verleihung des Peter-Weiss-Preises (siehe u. a. Stadt Bochum, Pressemitteilung, 29.11.2023:
https://www.bochum.de/Pressemeldungen/29-November-2023/Peter-Weiss-Preis.-Erklaerung-von-Sharon-Dodua-Otoo (zuletzt abgerufen 18.12.2023)). Die Autorin Sharon Dodua Otoo, die diesjährige Preisträgerin, hat sich nach öffentlichen Vorwürfen und Verurteilungen aufgrund einer vermeintlichen politischen Haltung dazu entschieden, den Preis nicht anzunehmen. Wäre so etwas einem weißen, männlichen Autor passiert, der weniger fadenscheinige Vorwürfe aufgrund sexueller Belästigung hat? I doubt it.