Unfolding Kafka Festival 2024
“Wir alle teilen denselben Raum”

Das renommierte Unfolding Kafka Festival für zeitgenössische Performance ist in vollem Gange. Zwei Wochen vor der Weltpremiere von Mo[ram]lam hatten wir die Gelegenheit mit der künstlerischen Leitung von CocoonDance, Rafaële Giovanola, zu sprechen. Die Produktion Mo[ram]lam bildet den Abschluss des Festivals und entstand in Zusammenarbeit mit Festivalleiter Jitti Chompee.
Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Dramaturgen Rainald Endraß, entwickelt Giovanola Konzepte für das deutsch-schweizerische Performance- und Kunst-Kollektiv CocoonDance.
Im Gespräch gewährt uns Giovanola Einblicke in den kreativen Prozess hinter Mo[ram]lam sowie eine kleine Vorschau auf das, worauf wir bei dem Projekt gespannt sein können. Unterstützt vom Goethe-Institut Thailand wird die Produktion am 20. und 21. November 2024 im Sodsai Pantoomkomol Centre for Dramatic Arts der Chulalongkorn-Universität präsentiert.
Helena Lang: Euch bei den Proben zu Mo[ram]lam zu beobachten, hat meine Neugier auf die Arbeitsmethoden von CocoonDance geweckt. Kannst du uns mehr über CocoonDance und euren gemeinsamen kreativen Entwicklungsprozess erzählen?
Rafaële Giovanola: CocoonDance existiert nun seit 24 Jahren, und in den ersten Jahren habe ich auch selbst als Tänzerin in unseren Produktionen mitgewirkt. Mit der Zeit bin ich jedoch in eine eher hinter den Kulissen agierende Rolle gewechselt, die ich als äußerst erfüllend empfinde.
Eines der wesentlichen Merkmale von CocoonDance ist unsere Teamarbeit. Wir arbeiten in einer sehr horizontalen Struktur mit unseren Mitwirkenden zusammen – seien es TänzerInnen, MusikerInnen, LichtdesignerInnen oder KostümbildnerInnen. Es ist eine echte kollektive Leistung, und ich denke, dass Titel wie „künstlerische Leitung“ oder „Choreografin“ letztlich nur Etiketten sind. Was wirklich zählt, ist der kollaborative Prozess, den wir durchlaufen, um jedes Projekt zum Leben zu erwecken.
Rainald und ich haben von Anfang an alles gemeinsam geschaffen, und diese Partnerschaft war entscheidend für die Entwicklung der Tanzkompanie. Es ist etwas, das wir zusammen mit den TänzerInnen aufgebaut haben, und ich sehe es als einen fortwährenden kollaborativen Schaffensprozess.
HL: Das ist nicht das erste Mal, dass CocoonDance Teil des Unfolding Kafka Festivals ist. Wie hat die Zusammenarbeit mit dem Festival ursprünglich begonnen, und was hat zur Beteiligung an der aktuellen und letzten Ausgabe geführt?
RG: 2019 wurde CocoonDance eingeladen, Momentum auf dem Unfolding Kafka Festival aufzuführen, nachdem Jitti unsere Arbeit bei der Tanzplattform Deutschland gesehen hatte. Nach der Aufführung blieben wir in Thailand, um unsere Recherchen zu Muay Thai fortzusetzen. Während dieser Zeit stellte uns Jitti traditionelle thailändische TänzerInnen vor, was den Beginn unserer Bekanntschaft kennzeichnete. Als ich mehr von Jittis Arbeit sah, spürte ich einen wachsenden kreativen Funken, über jenen wir eine gemeinsame künstlerische Basis fanden.
Für das diesjährige Festival dachte ich zunächst daran, HYBRIDITY zu präsentieren; das Projekt, das aus unseren Recherchen entstand und Muay Thai mit romantischem Ballett verbindet. Doch Jitti schlug etwas völlig Neues vor: eine Produktion, die sich auf Molam-Musik konzentrierte. Anfangs war ich zögerlich, mit Molam zu arbeiten, aufgrund seines traditionellen Klangs. Doch nachdem ich mich mit seinen kulturellen Wurzeln und seiner kontinuierlichen Entwicklung über die Generationen hinweg beschäftigt hatte, war ich fasziniert – nicht so sehr vom Klang selbst, sondern von der dahinterstehenden Philosophie.
Da wir auch an Gesangsprojekten arbeiteten, sah ich das Potenzial in der Verwendung von Molam, sowohl männliche als auch weibliche Stimmen einzusetzen, um unsere gesanglichen Recherchen zu ergänzen.
HL: Du hast Molam bereits als Ausgangspunkt deiner neuen Produktion mit Jitti genannt. Kannst du uns mehr über Mo[ram]lam erzählen?
RG: Das Projekt ist noch in der Entwicklung, aber zusammen mit Jitti haben wir eine neue Arbeit konzipiert, die zwei männliche und drei weibliche TänzerInnen umfasst. Jeder von uns kreiert ein individuelles Werk innerhalb eines gemeinsamen Raums. Das Publikum wird in zwei Gruppen aufgeteilt, von denen jede eine der Performances sehen wird – entweder Jittis oder unsere – mit Momenten der Überschneidung, die durch die Beleuchtung ermöglicht werden. Nicht alles ist gleichzeitig sichtbar.
Während der Entwicklung der Produktion sind wir auf Herausforderungen gestoßen, wie beispielsweise Budgetkürzungen und die fehlende Möglichkeit, sich bis kürzlich persönlich zu treffen. Infolgedessen haben wir bisher weitgehend getrennt gearbeitet. Ich habe gesehen, was Jitti mit den Tänzern auf seiner Seite geschaffen hat, und wir hatten einige erste Treffen in Deutschland mit den Musikern, aber erst jetzt, wo wir in den letzten Phasen zusammenkommen, werden wir wirklich sehen, wie alles zusammenpasst. In diesem Prozess befindet sich das Projekt noch in der Entstehungsphase, sodass sich einige Aspekte noch ändern können und das Endergebnis möglicherweise von dem abweichen wird, was ich jetzt beschreibe. Aber das ist ja auch das Faszinierende daran: Je weiter die beiden Werke fortschreiten, desto mehr beginnen sie zu kommunizieren und sich gegenseitig zu inspirieren.
HL: So wie du das Projekt beschreibst, klingt es sehr vielschichtig, und die Musik scheint dabei eine relevante Rolle bei der Gestaltung zu spielen. Wie beeinflusst die Verknüpfung von Musik und Bewegung euren kreativen Prozess?
RG: Die Musik dient als Bindeglied. Auf beiden Seiten des Publikums werden dieselben Molam-Musiker zu hören sein, sowie der in Berlin lebende Gesangskünstler Justin F. Kennedy und elektronische Klänge des Komponisten und Gitarristen Szymon Wojcik, die die beiden Hälften der Aufführung miteinander verflechten. Für mich liegt die Verbindung zur Musik von Molam darin, wie sie sich von der Welt um sie herum inspirieren lässt. Die Molam-Musiker haben eine bemerkenswerte Fähigkeit, Klänge aus ihrer Umgebung zu erzeugen. Einer der Musiker, mit denen wir zusammenarbeiten, Sombat Simla, ist blind. Seine erhöhte Sensibilität für Klänge verleiht dem Prozess eine unglaubliche Dimension, da er Töne, die er um sich herum hört, nachahmen kann. Auch wenn wir nicht auf herkömmliche Weise kommunizieren können – ich spreche seine Sprache nicht und er kann nicht sehen, was wir tun – müssen wir neue Wege der Interaktion finden. Es ist fast so, als würden wir eine neue Sprache für unseren kreativen Austausch entwickeln.
HL: Inwiefern unterscheidet sich diese Zusammenarbeit von anderen Projekten, die ihr bisher realisiert habt?
RG: Diese Produktion beinhaltet Elemente, die ich von mir aus nicht aufgegriffen hätte. Als Jitti mit dieser Idee zu mir kam, war ich mir zunächst nicht sicher, aber jetzt sehe ich, wie das Projekt mich in neue Richtungen drängt. Es ist anders als bei meiner eigenen Arbeit, weil es hier Rahmen und Strukturen gibt, die ich ursprünglich nicht gewählt hätte. Aber das ist mitunter das Interessante daran – es zwingt einen dazu, die Dinge aus einer neuen Perspektive zu beleuchten.
Für mich liegt Mo[ram]lam irgendwo zwischen einem choreografischen oder physischen Projekt, einer Installation – aufgrund des ungewöhnlichen Settings – und einem Konzert. Die Brücke, die alles zusammenhält, ist die Musik und die Anwesenheit von Live-Musikern. Zeitweise stehen die Musiker im Mittelpunkt und treten allein auf, während sich der Fokus ganz auf den Klang verlagert. Dann kehren wir zu den TänzerInnen zurück und fügen alles wieder zusammen. Es ist ein komplexer Prozess, wie das Zusammensetzen eines Puzzles mit drei Schlüsselelementen: den Musikern, Jittis Arbeit und unserer eigenen.
HL: Gibt es etwas, das du besonders hervorheben möchtest oder das für dich an Mo[ram]lam äußerst bedeutsam ist?
RG: Ich denke, das wirklich Spannende an diesem Projekt ist die Herausforderung, aus zwei sehr unterschiedlichen Welten etwas Einheitliches zu schaffen. Die Kostüme, die Bewegung, die Musik – all diese Elemente sind unterschiedlich, aber gleichzeitig fügen sie sich zu einem Stück zusammen. Das ist eine Herausforderung, aber das macht es auch so reizvoll. Und natürlich ist die Idee der Trennung zwischen den beiden Seiten der Bühne wirklich spannend. Es ist, als würden wir die Art und Weise widerspiegeln, wie die Welt funktioniert – auf der einen Seite des Planeten leben die Menschen völlig unterschiedliche Realitäten, und dennoch: Wir alle teilen denselben Raum.
HL: Ich bin wirklich gespannt und freue mich sehr darauf, Mo[ram]lam zu sehen. Vielen Dank, dass du diese Einblicke in euren Schaffensprozess mit uns geteilt hast, und ich wünsche euch alles Gute für die Weltpremiere!
RG: Danke!