Internationale Koproduktionen
Grenzerfahrungen
In Seoul entwickelten koreanische Theatermacher zusammen mit Mitgliedern des Deutschen Theaters, Berlin den Theaterabend „Walls - Iphigenia in Exile“. In Bangkok kooperierte das Democrazy Theatre Studio mit dem Badischen Staatstheater Karlsruhe. Das Ergebnis: Ein performatives Projekt mit dem Titel „Happy Hunting Ground“. In beiden Fällen entstand nicht nur internationales Theater, es wurde auch kollaborative Reibungswärme frei gesetzt.
Eines der faszinierendsten Phänomene internationaler Koproduktionen ist der Funkenschlag, der während des Aufeinandertreffens ganz unterschiedlicher künstlerischer Philosophien und Organisationsformen entsteht. Sobald Theatermacher aus dem deutschsprachigen Raum beteiligt sind, können sowohl die ästhetischen als auch strukturellen Unterschiede in der Vorgehensweise der beteiligten Theater groß sein. Einer der Gründe: Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es ein derart flächendeckendes Theatersystem mit einem täglich wechselnden Spielplan und fest engagierten Schauspieler/innen, Tänzer/innen, Sänger/innen wie im deutschsprachigen Raum. In südamerikanischen, afrikanischen und asiatischen Ländern trifft man fast ausschließlich auf eine Theaterlandschaft mit freien Gruppen, die sich je nach Projekt neu zusammensetzen und in den wenigsten Fällen einen Raum für Proben und Vorstellungen zur Verfügung haben.
Auf Augenhöhe
Eine der ersten Konsequenzen: Streben solche internationale Koproduktionen einen interkulturellen Austausch auf Augenhöhe an, kostet das mehr Zeit, als wenn Theatermacher in ihren jeweils vertrauten Strukturen arbeiten. Es geht nicht nur um die Entwicklung von Ideen, Erzählstrukturen und Inszenierungsansätzen, sondern auch um ganz unterschiedliche Gesprächskulturen und Theatertraditionen in weit auseinander liegenden Kulturkreisen. Das kann sich so fremd anfühlen wie die Kommunikation in einer Fremdsprache und dürfte sich im ersten Moment auch genauso angefühlt haben, als koreanische und deutsche Theaterkünstler in Seoul zusammen fanden. Ihr Ziel: „Walls - Iphigenia in Exile“, eine Zusammenführung des Goethe-Klassikers „Iphigenie auf Tauris“ mit heutigen Erfahrungen von Grenze, Ausgrenzung, Migration und Exil.Worauf konnten die Beteiligten aufbauen? Ein Anknüpfungspunkt dürfte gewesen sein, dass Deutschland Jahrzehnte ein geteiltes Land war und die Deutschen sich bis heute mit dieser Grenzerfahrung auseinandersetzen, während in Südkorea die Grenze zum Bruderland im Norden und die stetig wachsende Zahl nordkoreanischer Asylsuchender eine bittere Realität ist. Das Thema ist anspruchsvoll, war aber nicht vorformuliert, wie Sonja Anders erläutert. „Unsere Begegnung war im ersten Moment zweckfrei. Wir wollten keinen Produktionsdruck aufbauen und uns zuerst kennen lernen. Das Thema entstand aus dem Dialog heraus.“
Verständnis für eine andere Kultur
Fragt man die Chefdramaturgin des Deutschen Theaters nach der für sie wichtigsten Erfahrung, meint sie, man stelle in so einer gemeinsamen Arbeit vor allem die eigenen Kommunikationsformen und Produktionsrituale in Frage. „Du musst Augen und Ohren aufsperren, um zu verstehen, wie so eine fremde Kultur funktioniert. Was ist zum Beispiel, wenn ein Konflikt eskaliert? Wie löst man den? Wir in Deutschland werden da gerne laut, das bedeutet aber nicht so viel. In Südkorea dagegen ist Lautstärke ein starkes Zeichen und kann bedeuten, dass man jemanden verletzt.“Das deckt sich mit der Erfahrung von Sarah Israel. Die Dramaturgin und Leiterin des Münchner Tanz- und Theaterfestivals Rodeo arbeitete während der Entwicklung der thailändisch-deutschen Performance „Happy Hunting Ground“ eng mit dem Tänzer und Choreografen Thanapol Virulhakul zusammen. Im Programmbuch zur Koproduktion schreibt sie, so eine Zusammenarbeit verlange „Verständnis für eine andere Kultur, ein anderes Land und die Lebenssituation der Menschen dort, die sich in Körper, Verhalten und Denken einschreibt“. Es erfordere Geduld, „um verstehen zu können, was hinter dem Schweigen eines Gesprächspartners liegt.“