Mediation: Kognitiv und beziehungsrelevant – Wie funktioniert das eigentlich?
Einblicke in den erweiterten Ansatz von Mediation im Begleitband zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER), Reflexion kritischer Sichtweisen und Zukunftsaussichten für das Konzept
Am 5. Juni 2021 gaben Dr. Rudi Camerer, Experte für Erwachsenenbildung im Fremdsprachenbereich, und Anna Pilaski, Expertin für Sprachdidaktik, unter der Moderation von Jörg Klinner, Goethe-Institut Bangkok, im Rahmen der FaDaF-Jahrestagung Einblicke in die Hintergründe der Entstehung, die theoretische Fundierung und Anwendungsmöglichkeiten des Konzeptes von Mediation. Dieser Beitrag stellt eine Zusammenfassung wichtiger Ausführungen aus der Veranstaltung dar.
Der Begleitband zum GER und seine Bedeutung für das Konzept von Mediation
Der Begleitband zum Gemeinsamen europäischer Referenzrahmen für Sprachen ist eine Ergänzung und Aktualisierung des bestehenden Referenzrahmens aus dem Jahr 2001; eigentlich kann man ihn aber als den „neuen“ Referenzrahmen betrachten. Die deutsche Übersetzung des Begleitbandes erschien erstmals im Mai 2020 im Klett-Verlag, übersetzt im Auftrag des Goethe-Instituts von Dr. Rudi Camerer und Prof. Jürgen Quetz. Ein umfassendes Konzept von Mediation, das kognitive und beziehungsrelevante Mediation mit einschließt und über die Bereiche Sprachmitteln, Übersetzen und Zusammenfassen deutlich hinausgeht, ist eine der wichtigen Erweiterungen.
Der Einfluss des Konzepts der Mediation nach Erscheinen des GER 2001
Wenngleich das Thema der Sprachmittlung nach 2001 seinen Weg in die Praxis, z.B. in die Curricula der deutschen Sekundarstufen, gefunden hatte, steht ihm besonders im DaF-Bereich, und gerade in Bezug auf die Umsetzung der jüngsten Weiterentwicklungen des Konzeptes, noch eine wichtige Zukunft bevor. Besonders das Gebiet der Interkulturellen Kompetenz wurde 2001 von der Fachwelt weitgehend übersehen, obwohl es explizit Im GER vorkommt. So heißt es in der Fassung von 2001 auf S.14: „In einem interkulturellen Ansatz ist es ein zentrales Ziel fremdsprachlicher Bildung, eine günstige Entwicklung der gesamten Persönlichkeit des Lernenden und seines Identitätsgefühls als Reaktion auf die bereichernde Erfahrung des Andersseins anderer Sprachen und Kulturen zu fördern.“ Weitere Publikationen erschienen z.B. mit „Developing the Intercultural Dimension in Language Teaching“ (2002) sowie „Guide for the Development and Implementation of Curricula for Plurilingual and Intercultural Education“(2016).
Die Rezeption des GER: Eine Erfolgsgeschichte?
Die Rezeption des GER seit 2001 kann durchaus als eine Mischung aus Erfolgs- und Misserfolgsgeschichte beschrieben werden. Oftmals wurde alleine die Globalskala verwendet, die weiteren Skalen fanden nur wenig Beachtung. Dabei war der GER aber keineswegs nur als ein Stufenmodell mit verschiedenen Stufen der Sprachverwendung gedacht. Insbesondere wäre es eine Fehlinterpretation des GER, hauptsächlich auf die linguistische Korrektheit abzuzielen (die nur in 4 von insgesamt 54 Skalen betroffen ist), und dabei Skalen wie „Zielorientierte Kooperation“, „Sprecherwechsel“ und viele mehr zu übersehen.
Von zentraler Bedeutung: Die gemeinsame Konstruktion von Bedeutung
Der GER trat in den Jahren 2014 – 2017 in eine Revisionsphase für die Deskriptoren-Skalen ein, ca. 1500 Expert*innen und ca. 300 Institutionen waren daran beteiligt. Eine ganz entscheidende Erweiterung betrifft das Konzept von Mediation. Auf S. 26 des GER von 2001 ist dieses wie folgt definiert: „Sowohl bei der rezeptiven als auch bei der produktiven Sprachverwendung ermöglichen die mündlichen und/oder schriftlichen Aktivitäten der Sprachmittlung Kommunikation zwischen Menschen, die aus irgendwelchen Gründen nicht direkt miteinander kommunizieren können. [….] Sprachmittelnde Aktivitäten, also die Umformung eines schon vorhandenen Textes, nehmen eine wichtige Stellung im alltäglichen sprachlichen Funktionieren unserer Gesellschaften ein.“ Im Begleitband nun rückt die „Gemeinsame Konstruktion von Bedeutung bei der Interaktion und ständigem Wechsel zwischen individueller und sozialer Ebene” an eine ganz wichtige Stelle.
Damit wird eine wichtige Lücke der Sprachwissenschaft berührt; denn der konstruktivistische Ansatz für die Herausbildung sozialer Identität ist in der Soziologie, Anthropologie und Psychologie gut aufzufinden, auch in der Geschichte und Philosophie der Wissenschaften, in der Linguistik aber fehlt er. Durch ihn erhält der jeweilige Kontext einer Situation, sei er nun sozial, kulturell, beruflich oder persönlich, einen ganz wichtigen Stellenwert.
Sprachmittlung konkret in Lehrwerken
Zwei wichtige Formen von Mediation können unterschieden werden: Die kognitive und die beziehungsrelevante Mediation. Die beziehungsrelevante Mediation ist dabei besonders interessant, da ihr bisher noch wenig Beachtung geschenkt wurde.
Wie funktioniert Sprachmittlung nun konkret in Lehrwerken? Für die praktische Anwendung ist der Anhang 5 des Begleitbandes sehr wichtig; dieser ist im Buch selbst nicht abgedruckt, aber als Download verfügbar. Beispielsweise für den Kontext der Mediation von Texten lässt sich eine Aufgabe wie folgt ableiten: Sportnachrichten in der Muttersprache werden gehört, anschließend werden die Teilnehmer*innen im Kurs auf Deutsch über interessante Meldungen daraus von den Mitschüler*innen informiert. Gestik und Mimik nehmen hier einen wichtigen Stellenwert ein und kommen ebenfalls zum Einsatz.
Ein weiteres Beispiel sind Berichte von Kursteilnehmer*innen an einen anderen Teilnehmer/eine Teilnehmerin, die nicht zum Kurs kommen konnte; besprochener Lernstoff aus dem Unterricht muss in wichtigen Punkten noch einmal wiedergegeben werden. Dabei kommen verschiedene Mediationsstrategien zum Einsatz. Z.B. werden komplizierte Informationen in kleinere Einheiten aufgegliedert und es wird darauf geachtet, dass die Informationen adressatengerecht ausgesucht sind. Auch der Einbindung von Vorwissen kommt eine besondere Bedeutung zu.
Die beziehungsrelevanten Mediationsstrategien teilen sich in die Mediation von Konzepten und die Mediation von Kommunikation. Die Erleichterung von Interaktion und Zusammenarbeit in einer Gruppe und die Gemeinsame Konstruktion von Bedeutung lassen sich z.B. anhand einer Gruppenaufgabe veranschaulichen, in der Arbeitsaufträge im Team geklärt und bearbeitet werden.
Ein weiteres wichtiges Element von beziehungsrelevanter Mediation ist die Förderung von plurikulturellen Räumen. Dazu gehört z.B., sich in interkulturellen Begegnungen positiv einzubringen und Gefühle und verschiedene Weltsichten anderer Gruppenmitglieder anzuerkennen. Ebenso ist viel Feingefühl von der Lehrkraft dabei verlangt, wenn es um Mediation von Kommunikation in heiklen Situationen geht. Im Lehrwerk kann dies z.B. dadurch umgesetzt werden, dass zuerst Probleme identifiziert, die Konfliktsituationen nachgespielt und anschließend Beobachtungen und Meinungen in der Klasse ausgetauscht werden.
Plurilinguale und plurikulturelle Kompetenzen
Man kann sich die Frage stellen, ob plurilinguale und plurikulturelle Kompetenzen überhaupt unterrichtet werden müssen/können? Ganz wichtig ist es, Schritt für Schritt vorzugehen und plurilinguale Aktivitäten z.B. zuerst auf Lernplakaten und in Projekt-Präsentation zu integrieren und die Teilnehmenden eigene Erfolgsstrategien entwickeln zu lassen. Plurilinguales Verstehen setzt zunächst dabei an, das von Kultur zu Kultur sehr verschiedene Verständnis bestimmter (meist alltäglicher) Konzepte wie „Familie“ in der internationalen Lerngruppe zu besprechen. Auf einem plurilingualen Repertoire aufbauend, indem z.B. zwischen Sprachen aus dem eigenen Repertoire abgewechselt wird, werden Angehörigen einer anderen Kultur Merkmale der eigenen Kultur erklärt. Das Thema „Pünktlichkeit“ mit seinem sehr unterschiedlichen Verständnis in verschiedenen Kulturen wäre hier ein konkretes Unterrichtsbeispiel.
Kann man Mediation testen?
Wenn Mediationsaufgaben ein wichtiger Bestandteil des Unterrichts werden, dann stellt sich schnell die Frage, ob und wie man Mediation denn testen könnte. Bewertungskriterien sind entscheidend für die Entwicklung von Curricula und daher von wichtigem Einfluss. Während es an Gymnasien z.B. bereits Bewertungsraster für Sprachmittlung gibt (etwa zur Vorbereitung eines Schüleraustausches Informationen über bestimmte Gepflogenheiten im Heimatland zusammenfassen), so gibt es hier doch noch erhebliche Spielräume zur umfassenderen Einbindung von Sprachmittlung im Sinne des Begleitbandes.
Die Kann-Beschreibungen stammen ursprünglich aus der Pflegeausbildung und es ist bemerkenswert, dass beim „Occupational English Test (OET)“ für angehende Pflegekräfte neben linguistischen Kriterien auch solche zum Einsatz kommen, die sich auf Kommunikation im Krankenhaus beziehen. Diese kommen sowohl aus dem Feld der beziehungsrelevanten Mediation (z.B. Empathie zeigen) als auch der kognitiven Mediation (z.B. entdecken, welche weiteren Informationen Patienten brauchen).
Die Bedeutung von Kommunikation und Ausblick
Als wichtige Erkenntnis soll noch einmal betont werden, dass der Referenzrahmen nicht nur mit seiner Globalskala, sondern im Hinblick auf differenzierte Kompetenzprofile angewandt werden sollte. Das Ziel ist es nicht, im Sinne eines vertikalen Stufenaufstiegs mit sprachwissenschaftlicher Kompetenz linguistisch perfekte Sprecher auszubilden; es geht vielmehr darum, Vertrauen zu schaffen, auf dessen Basis Kommunikation funktioniert. Mit dem Begleitband hat die Kommunikationstheorie innerhalb des GER einen guten Platz gefunden. Das Konzept der Mediation mit seiner Integration plurilingualer und plurikultureller Elemente spielt eine zunehmend wichtige Rolle und wird uns sicher in zahlreichen DaF-Kontexten verstärkt begegnen.