Berlinale-Blogger*innen 2022
Surreales Spiel mit der Angst
Ob Science-Fiction-Groteske oder Langzeitdoku: Gleich drei deutsche Filme widmen sich dem Leben im Hochhaus
Von Philipp Bühler
Übertragbare Krankheiten? Zuletzt durch unsoziales oder sonstwie unmoralisches Verhalten aufgefallen? Ja, die Sicherheitschecks sind hart auf der Berlinale, aber Natalia Sinelnikovas Wir könnten genauso gut tot sein dreht die Schraube noch etwas weiter. Nicht jeder kommt rein in die idyllische Hochhaussiedlung mit Parkanlage, die der Eröffnungsfilm der Nachwuchssektion Perspektive Deutsches Kino als surreale Dystopie beschreibt.
Vertrauen ist gut, ständige Kontrolle besser – dass diese Science-Fiction-Vision tatsächlich ein wenig an den Festspielort Potsdamer Platz erinnert, ist natürlich reiner Zufall! Die im Film für die Checks zuständige Sicherheitsbeauftragte Anna ist übrigens, noch so ein finsterer Kniff, unsere Sympathieträgerin.
Fragiles Sicherheitsempfinden
Die wohlsituierte, sorgsam ausgewählte Hausgemeinschaft lebt unter ständiger Angst. Die Bedrohung ist unsichtbar, vielleicht nur eingebildet, und wird mit gemeinsamen Singabenden und stetigen Aufrufen zur Wachsamkeit bekämpft. Jeder noch so banale Vorfall, wie das Verschwinden eines Hundes, attackiert das fragile Sicherheitsempfinden der Bewohner.Die Regisseurin sieht ihr absurd-humorvolles Spiel mit gutbürgerlicher Paranoia als Reflexion ihrer Kindheit in Deutschland. Als russisch-jüdischer Kontingentflüchtling kam sie 1996 mit ihren Eltern aus St. Petersburg. Das Gefühl von Fremdheit und gegenseitigem Misstrauen wird unmittelbar plausibel. Ansonsten ist der Film, das hat mir besonders gefallen, völlig interpretationsoffen. Wer will, sieht Sinelnikovas Studie über „die Macht der Angst als sich selbst reproduzierendes System“ als treffende Analyse aktueller Empfindlichkeitsdiskurse.
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