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Berlinale-Blogger*innen 2022
„Was für ein Film unsere Geschichte wohl wird?“

The Novelist's Film
Kilsoo (links, Kim Minhee) und Junhee (rechts, Lee Hyeyoung) begegnen sich durch Zufall zum ersten Mal. Nach einem Spaziergang kehren sie in ein kleines Restaurant ein und führen dort beim Essen ihre Unterhaltung fort. | Foto (Detail): © Jeonwonsa Film Co. Production

Bei den 72. Internationalen Filmfestspielen Berlin hat der koreanische Regisseur Hong Sangsoo mit „The Novelist’s Film“ den mit dem Silbernen Bären prämierten Großen Preis der Jury gewonnen. Indem er sich neuer filmischer Mittel bediente, ließ Hong Sangsoo die Zuschauer*innen im Kinosaal – auf mehr als cineastische Art und Weise – verzaubert zurück.

Von Hyejin Lee

Hong Sangsoo bannt vor allem Szenen aus dem Alltag auf seine Leinwand. In seinem neuen Werk The Novelist’s Film signalisieren daher Menschen mit Mund-Nasen-Schutz und Kinos, die wegen der Maßgabe von Social Distancing nicht voll besetzt sind, dass der Film während der Pandemie entstanden ist.

Die Romanautorin Junhee sucht die kleine Buchhandlung eines jüngeren Kollegen auf, der lange nicht erreichbar war. Dieser ersten Begegnung schließen sich weitere an, und auf einem Spaziergang trifft sie zufällig auf die Schauspielerin Kilsoo. Junhee kommt dabei der Gedanke, dass sie mit ihr gemeinsam ihren ersten Kurzfilm drehen möchte. Die Autorin und die Schauspielerin unterhalten sich während eines gemeinsamen Spaziergangs – und schließlich enden all diese zufälligen Begegnungen mit einem Trinkgelage unter Bekannten in der Buchhandlung, in der alles begann. Junhee sagt, dass ihr Film von etwas handeln sollte, das „sie wirklich mag“, und freut sich auf die Zusammenarbeit mit Kilsoo und deren Mann. 

The Novelist's Film Berlinale 2022 Die zufälligen Begegnungen der Romanautorin Joonhee haben sich alle wieder in der Buchhandlung versammelt und trinken gemeinsam. | Foto (Detail): © Jeonwonsa Film Co. Production
Die Sprache in den Filmen von Hong Sangsoo ist eigenwillig, und die geführten Konversationen können durchaus befremdlich wirken. Die Figuren unterhalten sich mit ruhiger und charakteristischer Stimme – ein konstantes Merkmal im Filmuniversum des koreanischen Regisseurs. Dass sie diesen besonderen Stil erleben können und er nicht zwischen den Zeilen der Untertitel verloren geht, ist das Vorrecht der koreanischen Zuschauer*innen. Die Schauspielerin Lee Hyeyoung, die in Hong Sangsoos letztem Film In Front of your Face erstmals als Erzählerin seiner Filmwelt auftauchte, hilft den Zuschauer*innen dieses Mal als Romanautorin Joonhee erneut mit ihrem fesselndem Spiel voller „Charisma“, in den Film von Hong Sangsoo und in den Film im Film einzutauchen. Joonhees Film ist schließlich fertiggestellt und Kilsoo schaut sich das Werk, in dem sie als Schauspielerin zu sehen ist, alleine an. So kommen Kilsoo und wir Zuschauer*innen in unterschiedlichen Kinosälen an dem von Junhee vorgegebenen Ziel an und werden in den Film im Film gezogen.

Film im Film

Als Hauptdarstellerin in Junhees Film taucht Kilsoo in äußerst intimen Kameraeinstellungen auf, die in der Handlung außerhalb des Films im Film nicht zu sehen sind. Mit der Stimme von Kilsoos Mann hinter der Kamera erweitertet sich der Raum im Film über die Leinwand hinaus in den Zuschauerraum. Es taucht Farbe auf, die es in der in Schwarzweiß gehaltenen Realität in The Novelist’s Film nicht gab. Die Zuschauer*innen sitzen nun zwischen Kilsoos Mann, der sich außerhalb der zwar existierenden, aber nicht sichtbaren Leinwand befindet, und Kilsoo. In den folgenden Einstellungen sind unentwegt die Augen einer atemberaubend schönen, unschuldigen und verliebten Frau zu sehen, und die Kamera reagiert darauf und interagiert mit ihnen. Die Zuschauer*innen, die innerhalb von Momenten in die Geschichte in der Geschichte transportiert werden, wissen oft nicht mehr, ob sie eine im Film inszenierte Szene sehen oder ob die Realität im Film abgebildet wird, ob Kilsoo in Junhees Film Kim Minhee oder Kim Minhee Kilsoo spielt.
 
Als der Abspann beginnt, finden sich die Zuschauerin Kilsoo im Film und wir in der Realität dort wieder, wo wir waren, ganz so, als wäre nichts geschehen. Innerhalb der Rahmenhandlung des „Films im Film“ beschert der Regisseur uns mit seiner subtilen und liebevollen Kameraführung und einer Ästhetik mit niedriger Auflösung fantastische Momente, in denen das Hier und Jetzt der Zuschauer verschwimmt. Hong Sangsoo, der mit dem immer gleichen Team ein um das andere Mal seine typischen Geschichten präsentiert, hat nun wohl genau die richtigen Schaffenspartner*innen gefunden und seine Filmsprache noch einmal präzisiert. Mit seiner Erzählweise präsentiert er ein kompliziertes Erbe, in der Realität und eine selbstreflektierende Inszenierung miteinander verflochten sind. Wie sie dieses Erbe aufnehmen, bleibt den Zuschauer*innen überlassen.

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