NECE-Festival 2024:
Globale Initiativen im Kampf gegen Desinformation
Auf dem NECE-Podium waren einige bekannte Gesichter zu sehen, unter ihnen auch die in Taiwan geborene Hui-An Ho, die heute in Deutschland lebt. Sie leitet den Bereich internationale Angelegenheiten am Taiwan FactCheck Center und unterstützt das gemeinsame Medienkompetenzprojekt „Facts & Contexts Matter“ der bpb und des Goethe-Instituts mit Beiträgen zu Taiwan und Hongkong. Hui-An engagiert sich in mehreren grenzüberschreitenden Kooperationsprojekten. Derzeit bemüht sie sich um den Aufbau von Faktencheck-Initiativen in Taiwan und Asien. Gemeinsam mit Noa Horiguchi, der ebenfalls am Festival teilnahm, organisiert sie in Zusammenarbeit mit Faktencheck-Organisationen in Indonesien und Thailand die Youth Verification Challenge 2024, eine Initiative, die jungen Menschen über interaktive Workshops und gamifizierte Wettbewerbe Bewertungskompetenzen für einen kritischen Umgang mit digitalen Inhalten vermitteln soll.
„Trotz unterschiedlicher Ausgangssituationen und Herausforderungen stehen unsere Gesellschaften häufig vor erstaunlich ähnlichen Problemen“, sagte Hui-An auf dem Festival. „Wenn wir aufkommende Trends und Narrative im Bereich Fehlinformationen in anderen Gesellschaften früh erkennen und uns an deren Best Practices orientieren, können wir viel Zeit sparen und Doppelarbeit vermeiden.“

Hui-An Ho berichtet von ihrer Arbeit als Leiterin des Bereichs internationale Angelegenheiten am Taiwan FactCheck Center und von ihren Beiträgen zum Projekt „Facts & Contexts Matter“. | © Zentaro Imai
„In dieser Sitzung geht es vor allem um die Förderung von Medienkompetenz und die Frage: ‚Wie machen es die anderen?‘“ sagte Anja bei der Vorstellung. „Gemeinsam wollen wir herausfinden, vor welchen besonderen Herausforderungen die betroffenen Regionen stehen und mit welchen innovativen Ansätzen sie diese bewältigen.“

Das Plenum von „Facts & Contexts Matter: How Do Others Do It?“ vor Beginn der Sitzung auf dem NECE-Festival am 15. November in Tirana. | © bpb/Goethe-Institut
Das Projekt macht deutlich, wie sich unterschiedliche soziale, kulturelle und historische Ausgangsbedingungen auf die jeweiligen Bemühungen auswirken, insbesondere in Regionen, in denen sich die digitalen Landschaften und Social-Media-Ökosysteme ganz wesentlich von denen in Europa unterscheiden. Außerdem soll es zeigen, wie Best Practices in diesen Ländern auch über die Grenzen hinaus Wirkung zeigen können. Mehrere Diskussionsteilnehmende, die auch in den Mangas zum Projekt „Facts and Contexts Matter“ erscheinen, konnten bei dieser Gelegenheit in einem direkten Erfahrungsaustausch mit etwa 30 europäischen Fachleuten für zivilgesellschaftliche Bildung einen Blick über den eigenen nationalen Tellerrand werfen. Während der Sitzung kam ein „Speeddating“-Format zum Einsatz, bei dem fünf Redner*innen an vier Tischen rotierten. Auf diese Weise konnten sich alle Beteiligten mit den einzelnen Redner*innen austauschen und einen intensiveren Dialog führen.

Die Teilnehmenden stellen sich und ihre Arbeit anderen Fachleuten für zivilgesellschaftliche Bildung auf dem Festival vor. | © Leslie Klatte
Zu Beginn der Sitzung stellte Anna-Veronika dem Publikum das von ihrem ukrainischen populärwissenschaftlichen Medienkollektiv Kunsht entwickelte Spiel Unlock My Phone vor. Es soll Teilnehmenden die Bedeutung von Datensicherheit vermitteln, indem sie mit Hilfe von Hinweisen Handy-Passwörter entschlüsseln. Das Spiel ist Teil des Kunsht-Projekts FAKELESS, einer weiteren Medienkompetenzinitiative in Kooperation mit dem Goethe-Institut, zu der 2023 eine digitale Ausstellung eröffnete, die Personen aller Altersgruppen mit Hilfe interaktiver und innovativer Ansätze einen bewussten Umgang mit Nachrichten und Medien vermitteln soll. Ihre Inhalte sind in neun westlichen Sprachen, darunter Englisch, Deutsch und Türkisch, verfügbar und somit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich.
„Durch den Krieg in der Ukraine waren wir gezwungen, unseren Ansatz zu überdenken, insbesondere was die Förderung der Medienkompetenz in unserem Land betrifft“, erläuterte Anna-Veronika. „Ein solches Wissen bildet eine grundlegende Voraussetzung dafür, Resilienz gegen Desinformation zu entwickeln und den Menschen zu zeigen, wie der Faktencheck von Informationen funktioniert.“ Vor dem russischen Einmarsch 2022 engagierten sich Anna-Veronika und ihr Team in Kiew vor allem im Kampf gegen Fehlinformationen über COVID-19 und gegen weitere Verschwörungstheorien.
Während der „Speeddating“-Session wurde Anna-Veronika an den einzelnen Tischen immer wieder gefragt, was ihr Team gegen wissenschaftliche Desinformation unternimmt. Sie berichtete von einer Initiative namens Science at Risk – einer Datenbank, die Schäden und Zerstörungen der Forschungsinfrastruktur in der Ukraine, aber auch die Geschichten betroffener Einzelpersonen und Wissenschaftseinrichtungen dokumentiert.
Auf die Frage einer Teilnehmenden, ob die Menschen in der Ukraine ihre Faktencheck-Kompetenzen hätten ausbauen können, antwortete Anna-Veronika mit einem klaren „Ja“. „Faktencheck und Medienkompetenz sind wie Sport: Muskelerhalt und -aufbau funktionieren auch nur über regelmäßiges Training“, erklärte sie. „Mit der Zeit kennen sich die Menschen besser mit der Sprache von Fake News aus und konnten durch ihre täglichen Erfahrungen neue Kompetenzen im Kampf gegen Desinformation entwickeln.“

Anna-Veronika führt Teilnehmende durch die „Fakeless“-Ausstellung auf dem NECE-Festival. | © Anna-Veronika Krasnopolska
Laut Noa zeigen Statistiken, dass sich in Japan junge Menschen am stärksten von Falschinformationen beeinflussen lassen. Der Medienkompetenzunterricht in Japan stehe häufig in der Kritik, langweilig und einfallslos zu sein. Die Lehrmethoden seien häufig einseitig, und einige Schulen ließen sogar Polizeibeamte Vorträge über Fehlinformationen halten – eine Strategie, mit der sie die Schüler*innen nicht wirklich erreichten. Um etwas gegen dieses Problem zu unternehmen, entwickelte Noa gemeinsam mit seinem Team eine kurzweilige und motivierende Methode zur Förderung des Faktenchecks.
„Ich arbeite als Volontär beim Japan Fact-Check Center“, berichtete Noa. „Dort haben wir es mit unglaublichen Informationsmengen zu tun, und der Faktencheck nimmt zu viel Zeit in Anspruch, um alles prüfen zu können. Es braucht also zusätzliche Lösungen. Deswegen wollten wir einen weiteren Ansatz erkunden.“ Laut Noa interessieren sich junge Menschen in Japan in der Regel nur wenig für Politik. Allerdings habe die Populärkultur einen prägenden Einfluss. Und viele der Fehlinformationen, die sie erreichten, stammten von Influencer*innen und Promis aus den sozialen Medien.
„Ray’s Blog“ ist inzwischen über die Grenzen Japans hinaus international bekannt. Noa hat das Spiel, das mittlerweile von über 7.000 Schüler*innen in aller Welt genutzt wird, in zahlreichen Ländern vorgestellt. Es ist in japanischer, englischer und chinesischer Sprache erhältlich und damit für viele Menschen weltweit verfügbar.

Noa stellt „Ray’s Blog“ vor, ein immersives Spiel, mit dem junge Menschen ihre Faktencheck-Kompetenzen erweitern können. | © Leslie Klatte
Ein Schwerpunkt des Podiumsgesprächs waren neben der Rolle von Chatbots bei der Erzeugung von Fake News auch die Herausforderungen von KI, die Fehlinformationen und Hassrede in Südkorea und Taiwan verbreiten. Im Publikum brachten einige Teilnehmende auch ihre Sorgen über die Schäden zum Ausdruck, die KI-Chatbots anrichten können.
Yubeen Kwon, wissenschaftliche Mitarbeiterin an einer südkoreanischen Universität, hat sich mit dem Niedergang und der Wiederauferstehung des beliebten koreanischen Chatbots „Iruda“ sowie mit den grundsätzlichen ethischen Herausforderungen der KI auseinandergesetzt. Eigentlich sollte Iruda nach ihrem Launch Ende 2020, fast ein Jahr vor ChatGPT, eine lebensnahe Gesprächspartnerin für einsame Menschen in Südkorea bieten. Doch sie habe schon bald Kritik wegen der Verbreitung diskriminierender Aussagen und Hassrede gegen Minderheiten sowie unangemessener sexueller Inhalte auf sich gezogen.
Darüber hinaus habe es grundlegende Datenschutzbedenken gegeben, weil die erste Version von Iruda mit 100 Millionen Chatverläufen einer Plattform für Beziehungstipps – „Science of Love Service“ – trainiert worden sei. Nach dem öffentlichen Aufschrei sei Iruda nur drei Wochen nach der Einführung wieder vom Markt genommen worden.
Nach grundlegenden Änderungen sei der Chatbot laut Yubeen allerdings 2022 zurückgekehrt: Die neue Version nutze ein generatives KI-Modell und habe seit ihrer Wiedereinführung keinerlei Probleme bereitet. Zu den Unterschieden zwischen den beiden Versionen merkte Yubeen an, die Öffentlichkeit habe sich durch die Verbreitung von ChatGPT an generative KI gewöhnt und könne die Grenzen von Chatbots, darunter auch ihre Neigung zum Erzeugen unangemessener Inhalte, besser nachvollziehen und akzeptieren. Darüber hinaus produziere die neue Version von Iruda im Gegensatz zur ersten Version, die mit Daten aus echten privaten Unterhaltungen trainiert worden sei, vollkommen neue Gespräche.
Im Verlauf der „Speeddating“-Runden zeigten die Teilnehmenden besonderes Interesse an ethischen Fragen im Zusammenhang mit der Nutzung privater Daten für das Training der ersten Iruda-Version sowie am Ausmaß der Geschlechterkonflikte in Südkorea. Yubeen erklärte, das Startup hinter Iruda habe den Bedenken Rechnung getragen und gemeinsam mit einer für Privatsphäre und Datenschutz zuständigen Regierungsbehörde ethische Leitlinien für KI-Chatbots definiert. „Diese Zusammenarbeit sowie einige technologische Anpassungen haben ganz wesentlich zu Irudas fortgesetztem Erfolg und zu ihrer weiten Verbreitung beigetragen“, fügte sie hinzu.

Yubeen berichtet Fachleuten für zivilgesellschaftliche Bildung von ihren Erfahrungen mit der Ethik von KI. | © Leslie Klatte
„Wir haben Fehlinformation und politische Propaganda aus anderen Ländern beobachtet und sind überzeugt, dass KI einen hilfreichen und wirksamen Beitrag zu einem schnelleren Faktencheck leisten kann“, erklärte Billion. „Menschen sind vom Faktencheck irgendwann müde und erschöpft. Also setzen wir KI und maschinelles Lernen ein, um Teile des Vorgangs zu automatisieren und so dem Chatbot die Ausführung repetitiver Aufgaben zu ermöglichen.“
Cofacts erreiche mit seiner Arbeit auch Menschen außerhalb von Taiwan. Da Cofacts vollständig auf Open-Source-Code und -Daten beruht, stünden die Cofacts-Ressourcen auch Forschenden im Bereich Fehlinformationen in Taiwan zur Verfügung und hätten sogar Organisationen in Thailand dabei geholfen, mit Hilfe des Open-Source-Codes Thai Cofacts ins Leben zu rufen. Inzwischen gebe es Cofacts auf Chinesisch, Englisch und Thai.
„Ich bin eigentlich eher schüchtern“, räumte Billion ein. „Doch bei meinem Engagement für die Gleichstellung der Ehe bin ich auf die Verbreitung von Fehlinformationen aufmerksam geworden und habe deshalb Cofacts als Projekt mit öffentlicher Beteiligung gestartet.“ Neben Angeboten für den Online-Faktencheck organisiert Cofacts auch individuelle Workshops, um den wirksamen Einsatz von Faktencheck-Methoden zu vermitteln.

Billion stellt Lehrkräften für zivilgesellschaftliche Bildung ihre grenzüberschreitenden Faktencheck-Initiativen vor. | © Leslie Klatte

Glückliche Gesichter bei den Podiumsteilnehmenden und Fachleuten für zivilgesellschaftliche Bildung nach einer inspirierenden 90-minütigen Diskussionsrunde über die Praktiken und Herausforderungen der Medienkompetenz. | © Goethe-Institut Korea/bpb
Autorin
Autorin: Hui-An Ho
Mitarbeit: Anja Troelenberg