Der Ozean als Kunstobjekt
Die Kunst als Übersetzerin
In der Kunstwelt geht es häufig sehr oberflächlich zu, kritisiert Kuratorin Anne-Marie Melster. Mit ihrem Kollektiv „Artport_making waves“ möchte sie inhaltlicher arbeiten und zeigen, dass Kunst, Wissenschaft und Politik sich in Sachen Klimawandel ergänzen können.
Frau Melster, wie kam es zum Kurator*innenkollektiv „Artport_making waves“?
Anne-Marie Melster: Bevor ich Artport lancierte, hatte ich eine Kunstberatung und Galerie in Hamburg. Für mich war das alles wahnsinnig sinnentleert. Ich hab mit großen Sammler*innen gearbeitet und versucht, Sammlungen aufzubauen, die inhaltlich ausgerichtet sind, das Interesse war aber eher limitiert. Wenn man sehr wohlhabend ist und eine große, aufsehenerregende Sammlung aufbauen will, geht es eher um andere Ziele. Ich hab dann einen Schnitt gemacht. Kommerzielles Kunstbusiness war nicht meine Welt, da gehörte ich nicht hin. In dem Jahr der Pause habe ich mich öfter mit Corinne Erni in New York getroffen, der es ähnlich ging. Wir beschlossen, zum Klimawandel zu arbeiten, weil es im Prinzip alle Themen betrifft, über die wir sprechen wollen. Wir haben 2005 „Artport_making waves“ gegründet und mit kleinen Videoproduktionen angefangen, bis wir dann 2009 den Auftrag verschiedener UNO-Organisationen und Regierungen bekamen, eine Ausstellung zum Thema „Frau und Klimawandel“ für die COP15 in Kopenhagen zu kuratieren. Diese reiste dann nach Mexiko und in die USA.
Wie hat die Kunstwelt reagiert?
Am Anfang hat uns die Kunst nicht ernstgenommen. Viele haben das Thema Klimawandel nicht verstanden – was das in der Kunst sollte. Während die Wissenschaft und die Politik, die UNO und Regierungen, wiederum nicht verstanden, was die Kunst beim Thema Klimawandel wollte. Unser Ziel war es aber, genau diese Bereiche zu verbinden: Eine Brücke schlagen, etwas Interdisziplinäres anbieten, bei dem wir Künstler*innen, Wissenschaftler*innen aber eben auch junge Leute und politische Entscheidungsträger*innen involvieren. Wir wollten alle an einen Tisch bekommen und darüber sprechen. Die Zivilbevölkerung sollte aktiv eingebunden werden, nicht nur über Bildungs- und Sensibilisierungsinitiativen. Deshalb gingen wir gleich in den Workshopbereich, also Seminare und Workshops an Schulen und Universitäten und haben die verschiedenen Stakeholder zusammengebracht, um etwas Aktives zu kreieren. Und das durchaus pionierhaft, denn es gab nicht viele Kolleg*innen, die etwas Ähnliches taten.
Mit dem aktuellen Projekt „We Are Ocean“ ist Artport Teil der UN Ozeandekade. Wie kam es dazu und was ist „We are Ocean“?
„We Are Ocean“ war eigentlich eine logische Weiterentwicklung. Vor zwei, drei Jahren hab ich gesagt, ich muss jetzt endlich zum Thema Ozean arbeiten. Vertreter*innen der UNESCO legten mir damals auch nahe, uns mit dem Programm bei der UN Ozeandekade zu bewerben. Ich habe zunächst „We Are Ocean“ in Berlin-Brandenburg lanciert. Als Partner konnten wir beispielsweise das Alfred-Wegener-Institut und das IASS (Institute for advanced sustainability studies) dazugewinnen. Es folgten Marseille, Venedig und Vancouver. Bei „We Are Ocean“ geht es darum, Lösungen für den negativen Einfluss der Menschheit auf den Ozean zu diskutieren, durch interdisziplinäre Kunst-Wissenschafts-Workshops, Panels, Performances und Konferenzen sollen Impulse für ein Umdenken, vor allem junger Leute, gegeben werden. Soziokulturelle Ansätze sind hier sehr wichtig. Wir haben gerade 15 Projekte in dem Programm in Arbeit, von Ozeanien bis Honduras und Toronto, verschiedene europäische Länder und Regionen, und Nigeria. Wir wollen lokal agieren und global denken. Beispielsweise arbeiten wir in Honduras an der Karibikküste mit lokalen Meeresforschungsinstituten, Schulen und Künstler*innen, es geht um den steigenden Meeresspiegel. In Nordeuropa, sprich in Norwegen, Finnland und Schweden sowie darüber hinaus auch in Russland, arbeiten wir zum Thema Land und Ozean und wie das Thema aus der Sicht der Indigenen Sámi-Kultur betrachtet wird. Bereits für das Projekt in Vancouver war uns die Indigene Perspektive wichtig, wir haben dort mit Cease Wyss, einer Indigenen Künstlerin gearbeitet.
Workshop mit Jayson Byles, Umweltschützer und Gründer von Eastneuk Seaweed, und Studierenden der Glasgow School of Art
| Foto: © Anne-Marie Melster
Was macht gerade den Ozean als künstlerisches Motiv so reizvoll?
Der Ozean ist meine große Liebe. Ich bin am Meer groß geworden, ich habe in der Nordsee das Schwimmen gelernt und ohne das Meer kann ich nicht das Leben führen, was mir vorschwebt. Zu dem Thema wollte ich seit langem ein großes Projekt lancieren. Und es ist klar, dass der Ozean eine reichhaltige Quelle an Inspirationen aber auch an wissenschaftlichem Inhalt ist, das heißt die Künstler*innen können sich auf viele facettenreiche wissenschaftliche Inhalte berufen und vor allem interdisziplinär mit Wissenschaftler*innen arbeiten. Viele unserer Künstler*innen sind bereits aktiv an der Schnittstelle zwischen Kunst und Forschung tätig.
Warum ist gerade der künstlerische Aspekt an dieser Schnittstelle bedeutsam? Was kann die Kunst im Vergleich zu Politik und Wissenschaft leisten?
Es ist die Sprache und das Visuelle. Denn der Wissenschaft stellt sich stets die Herausforderung, ihre Forschungsresultate verständlich an die zivile Bevölkerung zu vermitteln. Die Wissenschaft ist häufig wie ein Elfenbeinturm, dessen Inhalte sehr schwer transportierbar sind an die wissenschaftsferne Bevölkerung. Genauso mit der Politik. Es wird eine trockene Fachsprache verwendet, und Künstler*innen können das ganz anders verarbeiten und vermitteln. Sie fungieren im Prinzip als Vehikel und Übersetzer*innen, Mediator*innen zwischen Wissenschaft und Politik und der Zivilbevölkerung. Wir sprechen nicht nur das Fachpublikum in unseren künstlerischen Projekten an, sondern auch junge Leute, Schüler*innen, gerade mit besonderen familiären und nicht-privilegierten Hintergründen. Künstler*innen treten ganz anders mit ihnen in Verbindung und können sie abholen, ihre vorgefertigten Urteile zu überdenken, sie können ihren kreativen Freiraum stimulieren und sie als aktive Teile eines internationalen Projektes gewinnen. Das ist uns bislang überall gelungen.
Das Interview führte Natascha Holstein, Zeitgeister-Redakteurin.