Kunst aus Asche
Wie São Paulo Umweltverbrechen in Kunst verwandelt
In den letzten zwei Jahren hat Brasilien einen traurigen neuen Rekord aufgestellt: 30 Prozent des Pantanal-Ökosystems sind in nur einem Jahr verbrannt. Ein Künstler aus São Paulo will darauf aufmerksam machen.
Von Jonaya de Castro und Laura Sobral
Der Inspirador ist ein Projekt, mit dem Ziel, nachhaltige Städte neuzudenken, indem es inspirierende Beispiele aus mehr als 32 Orten auf der ganzen Welt identifizierte und präsentierte. Die Forschung systematisiert die Fälle und Ideen in verschiedene Kategorien, gekennzeichnet durch Hashtags.
#politische_vorstellungskraft
Themen, die bereits vorher im Alltag wichtig waren, erweisen sich nun als dringlich, und einige der entwickelten Ideen können uns dazu inspirieren, mit den Gegebenheiten bestmöglich umzugehen. Mit kreativen Kampagnen und Notfallmaßnahmen wird versucht, die Zukunft unter dem Gesichtspunkt der kulturellen Entwicklung zu beeinflussen. In dieser Kategorie stellen wir Design- und Nachhaltigkeitslabore, Beispiele von Pflegekultur, sowie Foren und Plattformen für philosophische Diskussionen vor, die sich den Themen Hoffnung, Transformation und politischer Vorstellungskraft widmen.
Die Idee dahinter ist, den Schmerz des Waldes zu spüren.
Mundano, Künstler hinter dem Projekt „Asche des Waldes“
Ein Multimedia-Projekt
Asche des Waldes bestand aus drei Teilen: einer Expedition, einer Podiumsdiskussion und einem Dokumentarfilm, in dem Artivismus als Mittel eingesetzt wurde, um Verbrechen anzuprangern und das Bewusstsein für den Umweltschutz in Brasilien zu stärken.Die Herausforderung bei der Expedition bestand darin, mehr über kriminell gelegte Waldbrände zu erfahren und freiwillige Feuerwehrleute zu treffen, um ihre Situation besser zu verstehen. Die Reise begann im Juni 2021, als sich eine Gruppe von vier Aktivist*innen von São Paulo ins Landesinnere aufmachte. Sie legten 10.000 Kilometer zurück und durchquerten dabei vier Biome: den Amazonas, den Cerrado, das Pantanal und die Mata Atlântica.
Ein wichtiger Moment während der Reise war das Treffen mit der Feuerwehr von São Jorge, einer Gruppe von freiwilligen Brandbekämpfern, die für den Erhalt des Cerrado kämpfen. Die Aktivist*innen erlebten die harte Arbeit der Feuerwehrleute aus erster Hand und lernten von ihnen mehr über das Feuer und den Wald. „Die Temperatur des Feuers war unglaublich; ich habe die Feuerwehrleute wirklich bewundert und war beeindruckt von ihrer Arbeit. Deshalb bin ich froh, dass das Projekt ihnen auch zu mehr Anerkennung verhilft“, erklärt Mundano.
Der Künstler Mundano mit dem Waldbrandbekämpfer Curva de Vento. | Foto: © André D'Elia Das Wandbild „Waldbrandbekämpfer“ ist ein Aufruf an alle, jetzt zu handeln. „Uns bleibt keine Zeit mehr. Wir werden selbst zu Asche, weil auch wir ein Teil der Natur sind“, sagt Mundano. Aber es handelt sich nicht nur um einen Protest. Es geht auch darum, die freiwilligen Feuerwehrleute zu ehren, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um das Feuer zu stoppen und unter Kontrolle zu bringen. Sie sind unsichtbare Superhelden, die nicht die Anerkennung bekommen, die sie bräuchten und verdienen, und die nicht die nötige Unterstützung für ihre Arbeit erhalten.
Farbe aus Asche
Mundano hat aus der Asche des Waldes eine eigene Farbe hergestellt. Die Technik ist primitiv: Asche aus Holzkohle wird schon seit langer Zeit zum Malen verwendet. Der brasilianische Nationalpark Serra da Capivara zum Beispiel beherbergt die größte und älteste Konzentration prähistorischer Malereien in ganz Amerika, die bis in die Zeit vor 22.000 Jahren zurückreichen.Um aus der Asche Farbe herzustellen, hat Mundano sich an alten Methoden orientiert und dem Material Lack auf Wasserbasis hinzugefügt. „Das ganze Verfahren war ein Experiment. Und bei der Verwendung der Aschefarbe erzielten wir jedes Mal ganz unterschiedliche Ergebnisse. Wenn wir ein bisschen mehr Wasser hinzufügten, oder wenn es heißer war als gestern, oder wenn wir aufhörten, weil es zu regnen begann, hat sich das Ergebnis komplett verändert“, erzählt Mundano. Ziel war es, eine Graffitifarbe zu entwickeln, die auch bei schlechtem Wetter hält.
Mundano beim Aschesammeln | Foto: © André D’Elia Das Wandbild „Waldbrandbekämpfer“ ist eine Interpretation des Gemäldes „Lavrador de Café“ (Kaffeearbeiter) von Candido Portinari, das 1934 entstanden ist. Das ursprüngliche Bild zeigt einen schwarzen Mann, der die Arbeiter*innen auf den brasilianischen Kaffeeplantagen der 1930er Jahre darstellt. Mundano hat diese Figur nun als freiwilligen Feuerwehrmann umgedeutet. Nach zwei Monaten war die Suche nach der richtigen Aschefarbe erfolgreich, und die Wand konnte bemalt werden.
Überreste von Umweltverbrechen
„Abfälle aus Umweltverbrechen sind leider ein in ganz Brasilien reichlich vorhandener Rohstoff. Das Miterleben der Waldbrände war entscheidend für die Suche nach der Asche, die in diesen Zeiten der Umweltzerstörung zu einer Anprangerung werden soll“, sagt der Künstler. Die Expedition, das Wandbild und die Bemühungen um die Unterstützung der Feuerwehrleute wurden in dem Mini-Dokumentarfilm „Asche des Waldes“ unter der Regie von André D'Elia festgehalten, der 2022 veröffentlicht wird.Für Mundano ist es nichts Neues, mit Kunst soziale oder ökologische Verbrechen anzuprangern. Im Jahr 2020 hat der Künstler ein Gemälde einer anderen brasilianischen Künstlerin, Tarsila do Amaral, reproduziert und dabei giftigen Schlamm aus Brumadinho verwendet. Diese Stadt im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais erlangte 2019 weltweite traurige Bekanntheit durch einen Dammbruch, der eine Schlammlawine auslöste, die 270 Menschen das Leben kostete. Dieses Wandbild heißt „Operários de Brumadinho“, was mit „Arbeiter*innen von Brumadinho“ übersetzt werden kann. Der Einsturz des Staudamms in Brumadinho am 25. Januar 2019 war bezüglich der Opferzahl der schwerste Betriebsunfall, den Brasilien je zu beklagen hatte, sowie die zweitgrößte Industriekatastrophe des Jahrhunderts. Es handelte sich somit um eine der größten Umweltkatastrophen in der Geschichte des brasilianischen Bergbaus.
„Operários de Brumadinho“, Mundano, 2019 | Foto: © André D’Elia
Ein Land in Flammen
Laut einer MapBiomas-Studie wurde in Brasilien zwischen 1985 und 2020 pro Jahr eine Fläche von mehr als der Größe Englands abgebrannt. Es handelte sich um 150.957 Quadratkilometer pro Jahr, beziehungsweise um 1,8 Prozent des brasilianischen Territoriums. Insgesamt wurde in diesem Zeitraum fast ein Fünftel der Landesfläche verbrannt: 19,6 Prozent. Die Abholzung hat einen neuen Rekord erreicht und zeigt den Triumph von Bolsonaros Politik, die von vielen Menschen als Ökozid angesehen wird. Die Bilanz ist verheerend und zeigt das wahre Brasilien, das die Regierung während COP26 vor der Welt versteckt hat: Die in diesem Zeitraum zerstörte Fläche betrug insgesamt 13.200 Quadratkilometer. Im vorherigen Berichtszeitraum zwischen August 2019 und Juli 2020 lag die Zahl noch bei 10.851 Quadratkilometern. Das ist ein Anstieg von 22 Prozent zwischen den beiden Berichten. Es ist das erste Mal in der Geschichte Brasiliens, dass die Zerstörung des Amazonasgebiets viermal hintereinander zugenommen hat.Alles in Teamarbeit
Über die Farbe sagt Mundano: „Alles wurde gemeinsam im Team gemacht. Niemand macht so ein Projekt alleine. Es war, als würden vier Künstler*innen zusammen malen.“ Es waren mehr als zwanzig Personen beteiligt, darunter Produzent*innen, Künstler*innen und Journalist*innen. Zur Finanzierung haben sie das Projekt anderen Organisationen vorgestellt, die sich ebenfalls für den Schutz des Amazonas einsetzen, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Auch die Zivilgesellschaft hat Geld gespendet. Es war eine bunte Mischung von Menschen, die die Stimme des Waldes hörbarer machen wollten.Der Teamgeist inspirierte auch die Organisationen, die die Realisierung des Multimedia-Projekts unterstützten. Das riesige Wandbild mitten in der Stadt entstand in Zusammenarbeit mit der Kulturbehörde von São Paulo, die die Nutzung des öffentlichen Raums genehmigte und einen Teil der Finanzierung übernahm, sowie mit Unterstützung von NGOs wie Greenpeace, WWF und Be The Earth.
Das Ergebnis spricht für sich selbst. Das Projekt hat über 400 umfangreiche Medienberichte mit Interviews auf der ganzen Welt hervorgebracht, in denen die Abholzung, Waldbrände und Klimakrisen thematisiert wurden. Und das Projekt wirkt weiter. „Ich denke, die Mission ist erfüllt“, sagt Mundano. Aber die Brände haben noch nicht aufgehört. Es gibt noch eine Menge zu tun. Das eigentliche Ziel ist es, eine Änderung im Verhalten der Menschen zu bewirken. Wenn wir den Wald retten und überleben wollen, müssen wir als Team zusammenarbeiten, und zwar schnell.
In dieser Reihe geht es um:
Das Projekt „Inspirador für mögliche Städte“ von Laura Sobral und Jonaya de Castro zielt darauf ab, Erfahrungswerte aus Bürger*inneninitiativen, akademischen Kontexten und politischen Maßnahmen zu identifizieren, die sich an Transformationsprozessen hin zu nachhaltigeren, kooperativeren Städten beteiligen. Wenn wir davon ausgehen, dass unsere Lebensweise und unsere Konsumgewohnheiten die Auslöser der Klimakrise sind bleibt uns nichts anderes übrig, als unsere Mitverantwortung einzugestehen. Grüne, geplante Städte mit autonomer Nahrungsmittelversorgung und einer Abwasserentsorgung auf Grundlage natürlicher Infrastrukturen können ein Ausgangspunkt für die Entwicklung der neuen Vorstellungswelt sein, die für diesen Wandel notwendig ist. In dem Projekt werden öffentliche Maßnahmen und Gruppeninitiativen aus der ganzen Welt vorgestellt, die auf die Möglichkeit anderer Lebensweisen aufmerksam machen.
Das Projekt systematisiert inspirierende Fälle und Ideen in den folgenden Kategorien:
#entwicklung_neudefinieren, #raum_demokratisieren,
#ressourcen_(re)generieren, #zusammenarbeit_intensivieren,
#politische_vorstellungskraft