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Tonabnehmer | Musik
Kohle, Kebab und kaltes Wasser

Malaria! spielen live auf der Documenta 7 am 20.06.1982 im Friedericianum, Kassel.
Ist das Kunst oder kann das weg? Malaria! bei der Documenta 7 in Kassel (1982) | © picture-alliance / Jazzarchiv

Im englischsprachigen Ausland als „Teutonic Band“ gefeiert, fühlte sich die Wave-Band Malaria! selbst nie deutsch – höchstens Berlinerisch. Ihr Underground-Hit Kaltes Klares Wasser, der heute weltweit einen Kraftwerk-artigen Kultstatus genießt, entstand durch Zufall. Und erhielt durch feministisches Geschick ein zweites Leben.
 

Von Sonja Eismann

In den 1980ern war West-Berlin eine eingemauerte, graue Ruinenstadt. Eine, in der es nach Kohle und Kebab roch. Eine Stadt von Rentnern und Studentinnen, von Wehrdienstverweigerern und Politniks, eine Stadt, in der es keine Sperrstunde gab und selten Strafzettel verteilt wurden. „Berlin war eine vergessene Insel“, erinnert sich Gudrun Gut, Schlagzeugerin der Band Malaria! im 2021 veröffentlichten Buch M_Dokumente. Malaria! hatte sich dort 1981 aus der Vorgänger-Band Mania D. entwickelt – die Bandmitglieder schworen sich vertraglich, all ihre Musikprojekte mit einem „M“ beginnen zu lassen – und war auf der ganzen Welt unterwegs. Sie traten mit Siouxsie and the Banshees und New Order auf, mit den Slits und John Cale, mit Nina Hagen im Studio 54 in New York. Nick Cave lernte durch Malaria! elektronische Musik verstehen. Nur in Deutschland interessierte sich niemand wirklich für sie – außer dem brodelnden Berliner Untergrund, der sich sowieso nicht deutsch fühlte.
 



Die Gründungsmitglieder Gudrun Gut und Bettina Köster schleppten auf endlosen Touren ihre Instrumente selbst, vertelefonierten ihre kargen Gagen und froren in zugigen Altbau-Wohnungen, in denen die Kohleöfen nie richtig ansprangen. In einem dieser Momente entstand die Idee zum Song Kaltes Klares Wasser: Bettina Köster lag im Bett ihrer eiskalten Wohnung und rauchte einen Joint. Daraufhin bekam sie extremen Durst, hatte aber keine Lust aufzustehen, und die Wörter „Kaltes, klares Wasser!“ frästen sich immer tiefer in ihren Kopf. Wie es bei der von Punk, Wave und Avantgarde-Strömungen geprägten Band – Bettina und Gudrun studierten beide an der Kunsthochschule – üblich war, probierten sie ihre Songs meist erst mehrfach live aus, bevor sie diese (wenn überhaupt) auf Platte pressten. So auch beim Stück Kaltes Klares Wasser, das sie spontan während zweier Off-Tage in Brüssel als 12“-Single aufnahmen, um Geld für das Hotel zusammenzukratzen. Das Resultat war ein düsterer Wave-Track mit pumpendem Bass, treibendem Schlagzeug und gleichzeitig apokalyptisch und verheißungsvoll klingenden Lyrics über das kühlende Nass. Die heutige Interpretation, die Robert Defcon unlängst anlässlich der M_Dokumente-Ausstellung im Berliner silent green textete, wäre der Band damals sicherlich absurd vorgekommen: „Malaria! verschmelzen die kühle, krypto-soldatische Mann-Maschine von Zeitgenossen Kraftwerk mit ozeanischem Gefühl und weiblicher Körperlichkeit.“
 

Kaltes klares Wasser
Über meine Hände
Über meine Arme
Über mein Gesicht

Doch obwohl Malaria! mit dem damals abklingenden, emotionsbetonten 1970er-Jahre-Feminismus mit Häkelzeug und Kerzen auf der Bühne rein gar nichts anfangen konnten, waren sie tatsächlich mit ihrem Konzept einer reinen Frauenband im prototypischen DIY-Punkstyle so etwas wie utopische role models für Nachfolgerinnen. Insbesondere Kaltes Klares Wasser legte über die Lebzeit von Malaria! und dem Nachfolgeprojekt Matador hinaus eine hartnäckige Karriere als Undergroundhit hin, der fester Bestandteil des globalen Pop-Geheimwissen-Kanons wurde. Rund um die Jahrtausendwende bewies Gudrun Gut wiederum handfeste feministische Weisheit: Nachdem sich zu Zeiten von Malaria! kein Label dazu hatte entschließen können, die Band unter Vertrag zu nehmen – Frauen in der Musik wurden von den damaligen männerbündischen Netzwerken höchstens als Girl-Friends oder Fans gecastet –, nahm die jetzige Labelchefin von Monika Enterprise die Wiederbelebung des eigenen Erbes selbst in die Hand: Sie beauftragte das weibliche, internationale, aber in Deutschland beheimatete Artpop-Trio Chicks on Speed mit einem Remix des Songs. Der stieg mit seiner damals höchst angesagten und auch heute noch unwiderstehlich kühlen Electroclash-Ästhetik 2001, ein Jahr nach seiner Veröffentlichung, in die deutschen Charts ein. Acht Wochen lang hielt er sich dort und erreichte Platz 16. So bekam das Stück ein doppeltes (Weiter-)Leben – und lädt zu immer neuen Feedbackschleifen ein.
 

 

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